Es musste Mutter und Tochter sein, sie sahen einander sehr ähnlich. Sie kamen auf die im Schatten sitzenden Männer zu, begrüßten sie einzeln, mit festem Griff. Sie blickte Felsberg prüfend ins Gesicht, lächelte ihn an und sprach mit angenehmer weicher Stimme, in makellosem Englisch.
"Hallo und Willkommen in meinem Haus… Ich hoffe, sie haben einen angenehmen Aufenthalt, hier bei uns… Ich freue mich sehr, dass sie hier sind !"
Mirwais wurde lang und heftig umarmt, sie sprachen leise miteinander, tauschten Höflichkeiten aus.
Die Tochter, ein bildschönes Wesen aus einer anderen Welt, verzauberte Felsberg in einem einzigen Augenblick, nämlich in dem Moment, als sie ihm direkt in die Augen sah und ihn anlächelte. Er spürte wie ihm ein leichter Schauer den Rücken hinunterlief, ihre Stimme war weich wie Samt, in einem liebkosenden Ton, sie sprach ebenfalls englisch.
"Sie haben gute Augen… mit vielen Lachfalten herum, sie lachen gern… und viel, das finde ich schön !"
Felsberg lächelte etwas verschämt, senkte seinen Blick, stammelte irgendeine Antwort, wollte sich für das Kompliment bedanken, kam aber zu keinem brauchbaren Ergebnis.
Das Mädchen, denn um ein solches handelte es sich, nein, es war vielmehr bereits eine junge Frau, die da nun neben ihrem Vater und ihrer Muter Platz nahm. Felsberg war wie gebannt, schüttelte seinen Kopf, schlug sich, zu aller Anwesenden Erheiterung, mit der flachen Hand ins Gesicht, schüttelte seinen Kopf, um wieder klar zu sehen.
"Verzeihen sie, aber sie sind beide so schön, ich bin vollkommen hin und weg… ich möchte hiermit sofort und unbedingt um die Hand ihrer Tochter anhalten !!"
"Mein Herr !" lachte die Tochter, konnte kaum weitersprechen, prustete los, "Ich bin bereits vergeben… und außerdem… sind sie mir viel zu alt !"
Alle lachten, man hatte Felsbergs Scherz wohl verstanden, und natürlich wusste auch er, dass dies in Afghanistan nicht so einfach ging, hatte außerdem ohnedies nicht im Ernst die Absicht zu heiraten, wen auch immer.
Ihr Name war Raudaba, einer Figur aus des berühmten Dichter Ferdausis persischen Heldenepos "Shah Nameh" nachbenannt. Und sie entsprach durchaus den alten Schilderungen, eine stolze, selbstbewusste junge Frau. Aber Felsberg wunderte sich dennoch, dass in diesem strengen Afghanistan auch solcherart Frauen zu finden waren. Denn sonst sah man nicht viel von der holden Weiblichkeit des Landes, die Burqa, der sackförmige Überwurf, den alle Frauen, laut alten Überlieferungen tragen sollten, zu ihrem eigenen Schutz, verhüllte einfach alles, ließ für die Trägerin nur ein kleines Netz, um überhaupt etwas sehen zu können.
Als 1973, der Schwager des Königs Zahir Shah, denselbigen entmachtete und dem König riet, doch gleich in Italien um Asyl anzusuchen und dort zu bleiben, ließ eben jener Usurpator der Macht, Daud Khan, eine Untersuchung durchführen. Er hatte Zeit im Westen verbracht und gefallen daran gefunden, wie Frauen sich dort verhielten, ließ den Koran durchsuchen, auf Stellen, die verhießen, dass alle Frauen die Burqa tragen mussten. Er stellte den obersten Mullahs, den Geistlichen, öffentlich die Frage, sie sollten ihm zeigen, wo denn im Koran stünde, dass Frauen komplett verhüllt sein müssten – es kam keine Antwort. Woraufhin Daud Khan die Burqa per Dekret abschaffen ließ.
Dies verhinderte zwar nicht, dass die meisten Frauen weiterhin die Burqa trugen, ganz einfach, weil ihre Männer es nicht erlaubten, aber es lockerte die Gesellschaft doch etwas auf. Im Erscheinungsbild der Stadt Kabul war es damals vollkommen normal geworden, dass Frauen unverhüllt gingen, gerade die junge Generation, die Studentinnen.
Heute, nach den Taliban und allen anderen islamistisch-extremistischen Gruppen, die wenigstens eines gemeinsam hatten, nämlich die Frauen wieder in ihre alte Rolle, ins alte Erscheinungsbild zurückzudrängen, zu unterjochen, ihnen sogar auch jegliche Bildung zu verbieten, war es nicht viel anders geworden.
Auch Jahre nach dem Hinauswurf der Taliban, hatte sich in dieser Beziehung noch immer nicht sehr viel verändert. Die Burqa gehörte nach wie vor zum gängigen Erscheinungsbild für Frauen. In Kabul, in der großen Stadt, sah man bereits wieder leichter verschleierte Frauen, nur mehr mit Kopftuch bedeckt. Aber draußen im Land, in den Tälern und Steppen, den Dörfern, hatte sich nicht viel, um nicht zu sagen, nichts verändert.
Am Abend, nach dem Essen, Felsberg hatte einen übervollen Bauch, saß er noch lange auf dem Dach des Hauses, beobachtete den klaren Sternenhimmel, konnte nicht schlafen, hatte wohl am Nachmittag bereits zu viel schwarzen Tee getrunken. Das Panorama des nächtlichen Hindukush, mit den weiß getünchten Spitzen, gleißend im hellen Licht des Mondes, die vielen Sterne, die ziehenden Wolken, die bereits den nahenden Herbst verhießen, war überwältigend. Er ging hinein, holte seinen Schlafsack aus dem Raum, legte sich auf dem Dach zum Schlafen.
Mirwais kam noch kurz zu ihm, blickte ebenfalls schweigend auf die sie umgebende Natur.
"Irgendwann, bald, werde ich wieder für immer hierher zurückkehren… in das Land meiner Väter, das Beste und Schönste das ich kenne, trotz all dem Wahnsinn hier !"
Felsberg konnte den Verlust der Heimat nachfühlen, auch er hatte ja ähnliche Erfahrungen gemacht, damals in Amerika.
"Weißt du… es ist ganz eigenartig mit den Afghanen, sie lieben ihre Heimat so sehr… und wo immer sie sind, auf dieser Welt, sie haben Afghanistan immer mit sich… und träumen alle, alle davon wieder zurückkehren zu können… sie möchten in afghanischer Erde begraben werden, so wie ihre Väter vor ihnen und ihre Söhne nach ihnen."
"Jaa, kann ich verstehen - Afghanistan ist schon etwas ganz Anderes. Ich kann's auch nicht sagen, warum gerade Afghanistan auch mich so fasziniert… es müssen schon die Menschen sein, sie sind etwas ganz besonderes… unvergleichbar mit allen anderen, in dieser Region !"
Sie schwiegen wieder, hingen eine ganze Zeit lang ihren eigenen Gedanken nach, bevor Felsberg leise das Wort an seinen Freund richtete.
"Sag mal, Mirwais, vertraust du mir ?"
"Selbstverständlich vertraue ich dir… ich würde dir, beispielsweise, auch bedenkenlos meine Frau und Tochter anvertrauen, kein Problem."
"Dann lass uns doch gemeinsam den Versuch mit den Edelsteinen wagen. Ich meine, wir können beide keine Steine kaufen, dafür fehlt es uns an Barvermögen… aber, vielleicht ginge das ja, sozusagen, in Kommission ?"
"Du meinst, wir nehmen einfach Steine mit und verkaufen sie dann… in Deutschland."
"Ja, oder auch in… Holland, Frankreich, England…"
"Da muss man aber auch Verbindungen haben, so einfach ist das nicht, da haben schon viele eine harte Landung erlebt, eine Bruchlandung !"
"Ja, natürlich, weiß ich auch, der Traum platzte bereits in den Siebzigern, als die Hippies glaubten, sie könnten mit Edelsteinen handeln, aber heute ist alles anders - wir sind erwachsen geworden und ich habe eine gute Verbindung, das erkläre ich dir noch, das mit dem Handel."
"Im Prinzip spräche nichts dagegen, wir könnten schon Steine bekommen, alles Mögliche, es gibt da im Norden auch noch Rubine…"
"Das hieße Smaragde, Rubine, Türkise und Lapis Lazuli, kein schlechtes Sortiment, für den Anfang… da müsste sich doch was machen lassen !"
"Wir sprechen morgen mit Nahim und wenn er einverstanden ist, dann machen wir einen konkreten Plan, mit allen Details, von wegen prozentualer Bedingungen, Zahlungen, Anteile und so weiter… das habe ich in Deutschland schon gelernt, man muss Dinge gut planen !"
"Brav… das hast du brav gelernt, ich bin stolz auf dich !"
Sie grinsten, Mirwais verschwand wieder im Haus, Felsberg fand kurz darauf doch den widerspenstigen Schlaf und versank nun in edelsteinhaltigen Träumen.
Читать дальше