Ortrud Battenberg, Karin Hübener, Heike Wulf
Unverhofft tot
Kriminalroman
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Ortrud Battenberg, Karin Hübener, Heike Wulf Unverhofft tot Kriminalroman Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Nachwort
Impressum neobooks
Hilde, 26. September
Ekelhaft, dieser süßlich-saure Geruch der Graupensuppe. Hilde spürte ein flaues Gefühl im Magen. Verstohlen schaute sie zum Teller ihrer Tischnachbarin. Grauer Schleim mit weißen Klümpchen. Die arme Ruth. Warum nur hatte sie sich ausgerechnet Graupensuppe bestellt? Das war bestimmt nicht ihre Absicht gewesen. Immer wieder spielte ihr die blöde Sprachstörung solche Streiche. Geistig noch halbwegs fit, aber es fehlten die Worte.
Hilde wählte mittwochs meist Kartoffelsuppe. Doch heute mischten sich unter den Duft von Majoran und Brühwurst die Geruchsschwaden von Ruths Graupenschleim. Sie überlagerten die Aromen des Kartoffeleintopfs derart, dass Hilde schon gar keinen Appetit mehr hatte.
Meist kochten die Bewohner der Senioren WG ihr Mittagessen selbst. Das organisierte immer Annika, die nette Auszubildende. Aber mittwochs und sonntags hatte Annika frei. Dann bestellte die Leiterin Frau Sommerfeld das Essen bei der AWO.
Ruth hielt den Kopf gesenkt und blickte traurig auf den grauen Brei in ihrem Teller. Wahrscheinlich kriegte sie heute keinen einzigen Löffel herunter.
Als Kind hatte Hilde bei Graupensuppe immer würgen müssen. Dafür gab es von der Mutter regelmäßig eine Kopfnuss. Die Hexe stand immer schon in Bereitschaft neben Hildes Stuhl und lauerte auf den Brechreiz der Tochter.
„Die gute Suppe! So eine Verschwendung!”, sagte sie dann nach der Züchtigung. „Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester. Die isst alles, was auf den Tisch kommt. Und in Afrika würden sie Schlange stehen dafür!”
Bei dem Gedanken an diese Worte zwickte Hildes Magen. Nach Mutters Tirade hatte Hilde oft noch stundenlang vor dieser Mischung aus Graupen und Erbrochenem sitzen müssen. Der einzige Trost war gewesen, dass die kleine Reni den Zorn nicht abbekam. Sie musste stattdessen zum Mittagsschlaf. Manchmal löste der Gestank dieses speziellen Eintopfs bei Hilde erneute Brechanfälle aus. Saure Bröckchen landeten zwischen den Zähnen und in der Nase, brannten auf der Schleimhaut. Im Mund ein ekliges Gefühl von halb verdauten Nahrungsmitteln. Aber keine Erlaubnis ins Bad zu gehen. Den Mund auszuspülen. Zum Schluss immer dieser erniedrigende Gang zum Schweinekoben. Die Nachbarskinder kamen herbei, guckten über den Zaun und verfolgten Hildes Büßergang mit Interesse. Denn Mutter wetterte von der Terrasse laut genug hinter der armen Unglückshilde her, um alle Neugierigen herbeizulocken.
„Schweine gehören in den Stall!”
Mitleid und Häme der Kameraden taten gleich weh. Die stinkende Masse im Suppenteller schwappte beim Gehen über Hildes Daumen, kleckerte manchmal gegen die Brust. Hinterließ eklige Flecken auf dem Kleid.
„Geh grade und stolpere nicht!”
Suse, die große Sau im Stall, kam angerannt, grunzte und quiekte wie wild und schlabberte Hildes Vergehen ratzfatz aus der Futterrinne. Wenigstens eine, die sich freute.
Ein Klaps gegen Hildes Schulter beendete ihre Erinnerung an die Kindertage. „Na, auch die falsche Suppe erwischt?”, schrie Doris Wurzbach ihr ins Ohr. Sie war die dritte Pflegekraft in der WG. Hilde rieb sich das Ohr. Empört sah sie Frau Wurzbach an.
„Bin doch nicht schwerhörig!“
Doris Wurzbach lachte. „Na, wenn Sie das sagen, Frau Körner!”
Die Ironie in Frau Wurzbachs Stimme ärgerte Hilde. „Blöde Kuh!“
„Aber Hilde!” Almut, die links neben Hilde saß, stieß ihr mit dem Ellenbogen in die Seite. „Was ist denn los mit dir?”
Frau Wurzbach kicherte. „Ach, lassen Sie nur, Frau Borchers. Wir kennen ja unsere Pappenheimer. Heute so, morgen so.” Abwägend drehte sie die rechte Hand in der Luft. Während sie den Tisch weiter umrundete, wackelte sie mit dem Hintern. Hilde fand das provokant. Die Olle hielt sich wahrscheinlich für attraktiv in ihren pinkfarbenen Leggings. Dabei betonten diese Strickdinger jedes Fettpolster einzeln. Sah direkt nuttig aus.
„Na, Herr Diedrich, Ihnen schmecken die Graupen wenigstens. Man sieht's deutlich am Malheur.” Mit Schwung platzierte Frau Wurzbach eine Serviette über Herberts bekleckerte Brust und verknotete die Zipfel in seinem Nacken. Herbert Diedrich hatte Parkinson. Seine Hand zitterte beim Essen. Da schlabberte er natürlich. Die Wurzbach hätte ihm die Serviette wirklich früher umbinden sollen. Aber mit vorheriger Bitte um Erlaubnis. Entwürdigend, ihn wie ein Kleinkind zu behandeln. Ihn coram publico zu blamieren. Nun sah er gekränkt aus. Herbert war zwar ein intriganter Giftzwerg, aber öffentliche Demütigungen machten Hilde immer wütend. Egal, wen sie trafen.
Dabei war die Wurzbach selbst ein Schwein. Aber ein richtiges. Nämlich ein Umweltschwein. Hilde hatte oft beobachtet, wie die Pflegerin ihre Zigarettenpause am Gartenteich hielt. Zum Schluss warf sie die Kippen einfach zu Boden. Noch während sie die letzten Qualmwolken aus ihren Nasenlöchern stieß wie ein Drache im Fantasyfilm, trat sie die Stummel in die Ufererde. Widerlich. Die arme Trauerweide daneben kriegte täglich eine Teer- und Nikotindüngung ab. Und für die Teichenten war das ja auch nicht gerade gut. Oder noch schlimmer, wenn eines der Kinder aus dem Generationenhaus so ein Ding verschluckte. Hilde hatte die Kippen bisher nach dem Mittagsschläfchen immer sorgfältig aufgeklaubt. Heute aber nahm sie sich vor, Doris Wurzbach gleich nach dem Essen zu folgen. Sie quasi am Teich in flagranti zu ertappen und dann zur Rede zu stellen.
Jetzt blickte die Umweltschlampe mit gerunzelter Stirn auf Ruths gefüllten Suppenteller. „Aber Ruth, Sie haben ja noch überhaupt nichts gegessen!”
Falsche Schlange, dachte Hilde. Mit ihrer fortschreitenden Aphasie konnte die arme Ruth sich kaum noch verbal äußern. Sich also auch nicht wehren. Im Kopf war sie trotzdem noch helle. Jetzt spielte die Pflegeschlampe die Besorgte. In Wirklichkeit wollte sie Ruth einschüchtern. Das gelang ihr auch. Ruth zog die Schultern ein. Dann schüttelte sie beschämt den Kopf. Scheu wie ein Kleinkind.
„Aber Sie müssen essen! Schau'n Sie doch mal Ihre mageren Ärmchen an. Denken Sie an früher! Ein Löffelchen für den Papa, ein Löffelchen für die Mama.”
Alle neun Bewohner der Senioren WG hoben den Kopf.
„Mehr Respekt, Frau Wurzbach. So redet man nicht mit einer erwachsenen Frau.” Bei Almut hörte man immer noch die Lehrerin heraus. Meistens störte das Hilde. Aber in diesem Fall gefiel es ihr. Deshalb unterstützte sie die Freundin: „Ja, merken Sie sich das gefälligst, Sie Biest von Pflegerin!”
Frau Wurzbach lachte erneut. „War doch nur Spaß, meine Damen.”
„Trotzdem sollten Sie Frau Scheuer mit ihrem Nachnamen anreden.”
Doris Wurzbach zuckte die Schultern. „Hab's nicht bös gemeint.” Sie wollte Ruth über den Kopf streichen. Aber die duckte sich weg. Gut so, fand Hilde.
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