Heike Wolf - DSA - Rabenbund

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Der Schwarze General Oderin du Metuant plant einen Feldzug, der Al'Anfa zu neuer Größe führen soll. Doch der Patriarch verweigert ihm den Segen, denn der düstere Totengott schweigt. Die Truppen stehen vor den Toren und murren, der Boronszug droht zu scheitern. Während tief unter dem Silberberg Verschwörer den Sturz des Generals voranreiben, sammeln sich in den Dschungeln vor der Stadt jene Unzufriedenen, die schon einmal die blutigen Hände gegen die Herren Al'Anfas erhoben haben. Es ist Zeit, neue Bündnisse zu schließen. Doch wem kann man vertrauen in dieser Stadt, in der sich jeder selbst der nächste ist? Rabenbund setzt die Geschichte aus Rabenerbe fort und entführt erneut in eine Welt aus Rausch, Verrat und Intrigen, in der man lernen muss zu kämpfen – oder unweigerlich untergeht.

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Heike Wolf

Rabenbund

Ein Roman in der Welt von

Das Schwarze Auge©

Originalausgabe Impressum Ulisses Spiele Band US25708 Titelbild Nikolai - фото 1

Originalausgabe

Impressum

Ulisses Spiele

Band US25708

Titelbild: Nikolai Ostertag

Aventurien-Karte: Daniel Jödemann

Lektorat: Eevie Demirtel

Korrektorat: Nora Tretau

Umschlaggestaltung und Illustrationen: Nadine Schäkel, Patrick Soeder

Layout und Satz: Mirko Bader, Michael Mingers

Copyright © 2021 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

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Ebook-ISBN 978-3-95752-692-2

I

Amir

Keuchend rang Amir Honak nach Luft, während sein Geist, noch zwischen Traum und Wirklichkeit gefangen, langsam in die dunkle Schlafkammer zurückfand. Sternenlicht schien durch das geöffnete Fenster, schimmerte auf dem nachtschwarzen Ebenholz der Bettpfosten, und aus der Ferne klangen Stimmen in der Stille der Nacht.

Amir schloss die Augen und versuchte, sein pochendes Herz zur Ruhe zu zwingen. Es war der gleiche Traum, der ihn seit Monden heimsuchte. Er hatte den Vulkan Visra gesehen, und er war ihn emporgestiegen, Schritt für Schritt, doch je weiter er hinaufstieg, desto ferner schien der Gipfel. Und dann hatte er den Raben gesehen, der ihm entgegensah, und etwas in seinem Blick hatte Amirs Herz zusammengezogen, dass er kaum noch Luft bekam. Furcht und Zweifel, tiefe Einsamkeit, als blicke er in sein eigenes Inneres wie durch einen Spiegel. Das Gefieder war stumpf und zerzaust, und als er sich schließlich erhob und mit anklagendem Krächzen gen Gipfel emporstieg, spürte Amir, dass sich etwas in seinem Rücken erhob. Er wollte herumfahren, um zu wissen, was es war, zu entfliehen oder sich ihm entgegenzustellen. Aber er konnte nicht. Sein Körper war wie versteinert, sein Blick auf den Berghang gerichtet, der ihm mit einem Mal so steil und so unüberwindlich erschien. Und dann hatte es diesen Schlag getan, der noch in seinem Kopf widerhallte, dass er sich einen Moment lang fragte, ob es überhaupt ein Traum gewesen war.

Amir atmete tief durch und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Es musste tief in der Nacht sein, noch einige Stunden bis zur Morgenandacht, doch etwas störte die Stille und das silbrige Zwielicht. Stimmen und das leise Prasseln von Feuer.

Der Boden fühlte sich kalt an unter seinen bloßen Füßen, als er sich erhob und den dünnen Seidenmantel um sich schlang. Einen Moment lang erwog er, den Novizen Boronian zu rufen, der die Aufgaben eines Kammerdieners versah, aber es gab keinen Grund, den Jungen aus dem Schlaf zu reißen. Nichts, was er nicht selbst tun konnte.

Seine Unruhe verstärkte sich, als er ans Fenster trat. Stimmen drangen vom Tempelgarten zu ihm hinauf, gedämpft zwar, doch greifbar unruhig. Feuerschein züngelte in der Dunkelheit. Auf den Wegen klangen eilige Schritte, jemand zischte einen Befehl.

Amir runzelte die Stirn, und einen Moment lang erwog er, den Novizen doch zu wecken, um sich zu erkundigen, was dort unten vor sich ging. Stattdessen fasste er den Mantel enger und wandte sich zur Tür. Er war der Patriarch, er sollte sich nicht damit zufriedengeben, nur Berichte zu hören. Was immer dort geschah, er wollte es mit eigenen Augen sehen.

Die beiden Rabengardisten fuhren zusammen und nahmen hastig Haltung an, als Amir auf den Gang hinaustrat und ihnen mit einer knappen Geste zu verstehen gab, ihm zu folgen. Eine seltsame Unruhe lag über dem Tempel, während sie die Treppen hinabstiegen und endlosen Korridoren folgten, bis sie schließlich den Durchgang zum Garten erreichten. Die Kieswege zwischen den Beeten schimmerten im Licht der Sterne, dahinter die Schatten der Palmen und Zypressen, die sich im auffrischenden Nachtwind wiegten. Weit über dem Meer zuckten Blitze in der Schwärze des Himmels und kündigten einen weiteren Sturm an.

Amir beschleunigte seine Schritte, als er in einiger Entfernung die Feuer ausmachte, die in den niedrigen Büschen beiderseits der Pfade loderten. Eine Statue war von ihrem Sockel gerissen worden und lag mit zerschmettertem Torso auf dem dunklen Kies. Verwundert erkannte Amir mehrere Rabengardisten im Ordensornat und einige hochrangige Geweihte, die sich dort eingefunden hatten und aufblickten, als er sich näherte.

»Eure Erhabenheit!« Immuel Florios eilte ihm entgegen. Selbst im unruhigen Licht der Feuer wirkte das teigige Gesicht blass und aufgelöst. »Wir wollten schon nach Euch schicken. Kommt, das müsst Ihr Euch ansehen!« Einen Herzschlag lang schien es, als wollte er Amirs Hand fassen, doch dann besann er sich und straffte die Schultern, um mit hektischem Händewedeln zu bedeuten, dass man sich beeilen sollte.

Amir spürte eine gewisse Beklemmung, als er dem Hochgeweihten an die Stelle folgte. Die Gespräche verstummten, und ehrfurchtsvoll wichen die Geweihten und Gardisten zur Seite, um ihn durchzulassen.

Amir hielt inne und sog erschrocken Luft zwischen den Zähnen ein. Fassungslos starrte er auf den Krater, der sich vor ihm auftat. Der Boden war bis in den Felsen aufgerissen, als sei eine Titanenfaust niedergegangen. Geschmolzene Reste einiger Statuen ragten aus dem Schutt hervor, der mit einem leisen Rieseln in der Tiefe verschwand.

»Was ist das?«, flüsterte er tonlos.

»Die Gardisten sagen, es sei ein Stern gewesen.« Die Stimme des Florios klang angespannt. »Er sei vom Nachthimmel gefallen. Einfach so. Es hat einen furchtbaren Lärm getan, und Feuer, und dann war dieses Loch hier. Boron sei Dank ist nichts auf den Tempel gefallen oder das Ordenshaus oder den Silberberg, denn dann ...«

»Ein Stern.« Amir spürte, wie seine Brust eng wurde, als er näher an den Rand des Kraters herantrat. Seine Augen suchten in der lichtlosen Tiefe, doch der Schein der Feuer reichte nicht weit genug, um bis zum Grund hinabzuleuchten. Er wusste um die Vorkommnisse im Norden, wo in den letzten Jahren immer wieder Sterne vom Himmel gefallen waren. Die Welt veränderte sich, etwas rüttelte an den Sphären und den Grundfesten dessen, was sie für ewig gehalten hatten. Vielleicht war dieser Stern das Zeichen, auf das er so lange gewartet hatte.

»Stellt Wachen auf!«, befahl er und fuhr zu Immuel Florios herum, der einen erschrockenen Schritt zurück machte. »Bei Sonnenaufgang will ich, dass man in den Krater hinabsteigt und nachsieht, was sich dort unten befindet. Und ich will, dass kein Wort nach außen dringt. Kein Wort!«

»Sicher, Eure Erhabenheit.« Der Florios beeilte sich zu nicken. »Kein Wort. Selbstverständlich.«

Ein Sternenfall! Wenn dies der Grund für dein Schweigen ist, Herr Boron, so werde ich alles tun, um es zu ergründen.

Amir schloss die Augen, während seine Lippen ein stummes Gebet formten. Nicht nur die Welt war im Wandel, sondern auch diese Stadt. Mochte Boron geben, dass er seinen Weg endlich klar sah und der Stadt die Stärke geben konnte, die sie von ihm verlangte.

Said

Es war ein gleichmäßiger, pochender Schmerz, der ihn aus dem Dämmern zog. Von irgendwoher nahm er Licht wahr. Stimmen drangen gedämpft an sein Ohr, und der Geruch nach Kräutern und Salben hing in der Luft wie zäher Schleim. Fliegen surrten in der Hitze, und für einen Moment wähnte er sich zurück auf der Plantage seiner Kindheit, als er verbotenerweise auf das Dach geklettert und heruntergefallen war. Tagelang hatte seine Amme über ihn gewacht, während er sich mühsam ins Leben zurückgekämpft hatte. Said öffnete den Mund, um ihr zu versichern, dass alles gut sei, doch seine Lippen schmerzten bei der Bewegung. Seine Zungenspitze tastete über spröde Haut, als sei er zu lange in der Sonne gewesen. Aber das konnte nicht sein. Er war kein Feldsklave, sondern der Sohn des Herrn, der darauf wartete, endlich nach Al’Anfa zu kommen.

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