Doch er hatte sich anscheinend nur über ihre bedröselte Miene amüsiert und keinerlei Rückschlüsse aus dieser Verewigung gezogen. Puh! Hetty schüttelte den Kopf. Wo war sie denn schon wieder mit ihren Gedanken! Dieser Mann war tabu. Ein Blick in den Spiegel, ein Blick in ihren Pass auf das Geburtsdatum und ein Blick auf ihren Kontostand, das genügte jedes Mal, um irgendwelche unsinnigen Gedanken für die nächste Zeit auszutreiben.
»Willst du jetzt mitten auf der Straße deine Papiere ordnen?« Die Sarkasmusabteilung meinte wieder mal, sie müsste besonders witzig sein.
Die Vernunft versuchte zu beschwichtigen. »Wir brauchen nicht nachzuschauen, wir kennen unser Mantra.«
Nachdem sie nun wieder einmal sinnlos Zeit für unnütze Gedanken verschwendet hatte, stürzte sich Hetty ins Getümmel. Aufgrund der beengten Raumverhältnisse im Camper war allerdings nur schauen möglich, kaufen stand außer Frage. Wobei ihr der Adler der aus altem Silberbesteck, also Gabeln, Messer und Löffeln gefertigt war und Originalgröße hatte, schon wahnsinnig gut gefiel. Er war auch das große Schaustück an dem Tisch, der auch Schrauben und Muttern zu ganz neuem Gebrauch verwendete. Da gab es Mutternkrabben, Windspiele mit Besteck, Mobile in dem Gabeln mit verbogenen Zinken kreisten, und alles mögliche Getier, das aus diesen Materialien gefertigt worden war. Die Preise waren in Hettys Augen äußerst angemessen, alleine die Ideen waren das Geld schon wert.
Der nächste Seufzer entrang sich ihrer Brust, als sie den wunderbaren Schmuck aus buntem Glas besichtigte. Nun trug Hetty zwar keinen Schmuck, doch sie konnte stundenlang schöne Ketten, Ringe und Medaillons bewundern. Alleine die unterschiedlichen Farben waren einfach sehenswert. Als sie sich endlich lösen konnte, kam sie vom Regen in die Traufe. Denn am nächsten Tisch war dieses tolle Geschirr aufgebaut mit dem Design australischer Tiere. Es waren immer Känguruh, Krokodil, Emu, Koala, Kakadu und Schlange, die sich in auf Tellern und Tassen spielten. Die Darstellung war eine Mischung aus Naiv und Komik. Dazu war das Geschirr von der Form auf äußerst modern gestaltet. Hetty grübelte, wie schon so oft, ob sie nicht doch eine Tasse kaufen sollte.
»Und wie willst du die heil über die nächste Piste bringen?« Die Vernunft siegte zum x-ten Mal.
»Das war jetzt dann eigentlich nicht als Aufforderung gemeint, dir einen fetten Maiskolben reinzuziehen!« Die Sarkasmusabteilung motzte.
»Essen und trinken lasse ich mir nicht nehmen, Basta!« Hetty hatte in dieser Hinsicht noch nie mit sich reden lassen.
Morgen früh würde sie eine halbe Stunde joggen und dann anschließend im Pool, vorne am Luna Park, ihre tausend Meter schwimmen, da konnte sie jetzt ohne Gewissensbisse zusätzliche Kalorien tanken. Und so saß sie unbeschwert auf einer niedrigen Mauer und nagte voller Genuss, während sie den vorbeiströmenden Massen zuschaute.
Die meisten Menschen glaubten, dass sie essen könne soviel sie wollte, ohne zuzunehmen. Gut, sie konnte sich schon eine ziemliche Menge an verwertbaren Kalorien einverleiben, ohne gleich Gewicht anzusetzen. Aber wenn sie zu sehr über die Stränge schlug, dann machte sich das auch bei ihr bemerkbar. Da half dann nur noch Sport. Das einfache Prinzip von Input und Output. Gleichzeitig hielt das die alten Knochen und Muskeln auf Trab, straffte das Gewebe und sie war einigermaßen beweglich für ihr Alter.
Und dass der Zahn der Zeit nagte »Wie du an deinem Kolben!« merkte sie, wenn sie wieder mal glaubte, tagelang faul rumzuliegen, wäre eine angenehme Alternative.
Sie putzte sich die Finger und schlenderte weiter. Nun war sie wieder bereit zu neuem Verzicht. Das fiel ihr bei den Seifen nicht so schwer, auch wenn die wunderbar nach Rosen, Veilchen, Frangipangi und sonstigen duftenden Essenzen rochen. Aber Seife beim Campen? Kopfschüttelnd ging sie weiter. Genauso sinnvoll wie Keramik, Holzgeschirr, Bilder, Muschelflaschen und sonstiges Dekozeug. War ja alles wirklich ganz schön, aber eben nicht brauchbar.
»Du willst mir jetzt einreden, zwei Stangen türkischer Nougat sind brauchbar!«
Hetty schaute schuldbewusst auf die Plastiktüte, die sie gerade in ihrer Umhängetasche verstaute. Es gab nur drei Süßigkeiten, bei denen sie schwach wurde: Marshmallows, Eis und Nougat in jeglicher Variante. Der Türkische hatte gegenüber dem Schokoladenen noch den großen Vorteil, dass er ziemlich unempfindlich gegen hohe Temperaturen war.
»Ach so, wir haben das Zeug nur gekauft, weil es nicht schmilzt!« Die Sarkasmusabteilung konnte einfach das Sticheln nicht aufhören.
Morgen früh, wenn sie sich durch die Gegend quälte, würde sie ihr dann wieder recht geben und sich selbst verfluchen. Aber sie gönnte sich sonst nicht viel und hin und wieder wollte auch sie aus dem Vollem schöpfen.
Doch nun wurde es Zeit, für einen kleinen Stadtbummel. Sie hatte gelesen, dass die neuen Büroräume in der High Street fertiggestellt waren und war schon gespannt, wie die Stadtplaner diese Herausforderung gelöst hatten. Flotten Schrittes folgte sie der Straße, die an dem Pylon vorbei und dann unter der Harbour Bridge durch, zu dem alten Wharfgelände führte.
Hier befanden sich drei lang gestreckte Piers, in denen nun Appartements, Geschäftsräume und Restaurants untergebracht waren, die natürlich auch noch Anlegestege für die Segelboote und Motorjachten der Besitzer hatten. Hetty nickte mit dem Kopf. Die alten Fassaden waren original erhalten und nur renoviert und mit frischen Farben versehen worden. Beim näheren Hinsehen erkannte man dann, dass moderne Technik völlig unauffällig und raffiniert versteckt, mit eingebunden worden war.
Da dachte man, der Blitzableiter wäre auch so ein schmiedeeisernes Teil, doch er war nur in der gleichen Farbe lackiert. Manche Bauteile wirkten nur alt, und waren aus modernen Materialien geformt, die den Brandschutz- und sonstigen zeitgemäßen Bestimmungen entsprachen. Zur Wasserseite hin waren die Fronten aufgeglast und man hatte einen guten Blick auf teuer eingerichtete Besprechungszimmer. Die ganze Anlage wurde diskret mit Kameras überwacht und durch Alarmanlagen gesichert. Gelungen, anders konnte sie die Bauten nicht bezeichnen.
Die Dekoration der Insel des Kreisverkehrs, der in die Anlage führte, musste man dagegen mit dem Prädikat „typisch australisch“ versehen. Wo sonst würde man einen zerknautschten roten Unfallwagen nehmen, darauf einen Felsen mit über einem Meter Durchmesser platzieren und das als Kunstwerk gelten lassen.
Natürlich fand sie selber das Spitzenklasse und zückte ihre Kamera. Als sie diese wieder in ihrer Tasche verstaute, seufzte sie kurz auf. Dieses schweineteure Gerät war ein Geschenk von Kai. Eine digitale Spiegelreflex der High End Ausstattung. Da er genau wusste, dass sie keine Almosen mochte, hatte er mit einem Trick dafür gesorgt, dass sie nicht mehr nein sagen konnte.
In der Meinung, ihm einen Gefallen zu tun, war sie in Darwin in einem Fotogeschäft vorbeigefahren, um etwas für ihn abzuholen. Das wurde von seinem ehemaligen Ausbilder beim Militär geführt, der ihm, wie alle Menschen die sie kannte, keine Bitte abschlug. Also hatte er die Fotografien ihrer Alben, die ihm Kai ohne ihr Wissen überbracht hatte, digitalisiert, was sie sich schon immer vorgenommen, allerdings bisher noch nicht geleistet hatte. Und zusätzlich zu den DVDs wurde ihr dann noch ein Päckchen übergeben, in dem die sich genau die Kamera befand, die Mister Brown, in einem harmlos geführten Gespräch, als ihre Wunschkamera identifiziert hatte.
Nach kurzem Überlegen hatte sie das Präsent akzeptiert. Es war als Dankeschön gedacht und da konnte sie nicht ablehnen. Schließlich hatte sie Kai, bei der etwas aus dem Ruder gelaufenen Bootsfahrt, im Kakadu mindestens einmal das Leben gerettet. Na ja, momentan waren sie mehr als quitt. Schließlich hatte er erst vor ein paar Monaten Kopf und Kragen riskiert, um sie in letzter Minute aus der explodierenden Mine zu holen.
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