»Den würden wir auch nicht von der Bettkante schubsen.« Tja, da musste sie ihrer Hormongruppe recht geben, der war auch ohne Uniform ein hübsches Kerlchen. Allerdings hatte sie bereits den Ehering gesehen und dementsprechend auch die Knuddelei als rein freundschaftlich verstanden. Und so war sie natürlich auch gemeint.
Denn hier, in Australien, war plumpe Anmache nur in gewissen Kneipen üblich, ansonsten waren die Herren äußerst gut erzogen. Man konnte sich mit den meisten einfach nur gut unterhalten, ohne dass sie sofort versuchten einen abzuschleppen. Hetty grinste in sich hinein. Außer man schleppte selber! Allerdings schlug sie in dieser Hinsicht nicht zu sehr über die Stränge, denn Beziehungen, gleich welcher Art, waren nur hinderlich für einen überzeugten Single.
Abgesehen davon war sie ja sowieso die meiste Zeit in Begleitung unterwegs. Denn damit sie sich ihren Traum vom Reisen durch ganz Australien auf die Dauer finanzieren konnte, nahm sie in ihrem Camper gegen einen entsprechenden Obolus weibliche Mitreisende mit, die sie ein Stückchen des Wegs begleiteten.
Normalerweise wäre sie auch jetzt mit ihrem Fahrzeug auf Tour gewesen, aber die Kiste hatte plötzlich Mucken gemacht. Also hatte sie Paul, einen umwerfend gut aussehenden blonden Automechaniker und Spezialist für Camperumbauten angerufen, der normalerweise ihr Fahrzeug betreute. »Ich bin kurz vor Sydney und die Kupplung macht Probleme. Was soll ich tun?«
Paul hatte sich ihren Bericht in Ruhe angehört. »Bis zu mir nach Alice hält das Teil sicher nicht mehr durch. Ich rufe Kurt an und gebe ihm Bescheid. Der soll sich um dich kümmern.«
Da sein Freund Kurt derjenige gewesen war, der ihr, in seinem Auftrag, diesen tollen Camper für wenig Geld besorgt hatte, wusste Hetty, dass sie hier gut aufgehoben war. Bald darauf traf sie in dessen Werkstatt ein und übergab ihm den Schlüssel für ihr Fahrzeug. Paul hatte ihn bereits informiert und gesagt, er sollte bei dieser Gelegenheit doch gleich den kompletten Wagen durchchecken.
An und für sich hatte sie sich gedacht, sie könnte während der Reparatur bei Kurt im Haus wohnen, doch der erklärte ihr mit einem leidvollem Blick. »Meine Hütte ist derzeit voll bis unter den Dachboden. Ich habe Verwandte zu Besuch und kann dir noch nicht mal einen Platz auf der Couch anbieten. Ehrlich gesagt, wärst mir du als Gast tausendmal lieber, aber du weißt ja, Freunde kann man sich aussuchen – Verwandtschaft nicht.«
Nachdem sie ihm tröstend auf die Schulter geklopft hatte, rief sie bei Dolly der Vorbesitzerin ihres Campers an, die hier in Sydney in einem wunderschönen Chateau lebte. Ihr Beziehung hatte sich von Kunde – Verkäufer in kurzer Zeit zu einer guten Freundschaft entwickelt und immer wenn sie in die Stadt kam, schaute sie auf einen Sprung bei ihr vorbei. Doch statt Dollys gutgelaunter Stimme hatte sie das Hausmädchen am Apparat, das ihr freundlich, aber bedauernd, mitteilte, die nächsten Monate wäre hier nichts zu holen, denn Dolly befände sich mit ihrer Tochter auf einer Europareise.
Na, da traf ja wieder mal alles gleichzeitig zusammen. Während Hetty leicht frustriert überlegte, ob sie sich in der Zwischenzeit in ein Hostel einmieten sollte, läutete ihr Handy und Chrissie meldete sich mit fröhlicher Stimme.
Nachdem ihr Hetty von ihrem Dilemma berichtet hatte, wusste die sofort eine Lösung. »Kai hat doch ein Appartement in Kirribilli, ich gebe dem Pförtner Bescheid, dass er dir den Zweitschlüssel gibt.«
»Spinnst du? Ich kann doch nicht einfach bei Kai einziehen.« Hetty schüttelte den Kopf. Das half zumindest ihr, auch wenn es Chrissie nicht sehen konnte.
»Was hast du denn? Wir alle benutzen die Wohnung, wenn wir in Sydney sind und sie steht sowieso die meiste Zeit leer. Er hat bestimmt nichts dagegen, dass du dich dort vorübergehend einnistet. Abgesehen davon, ist er momentan im Ausland und wird nicht einmal bemerken, dass du da warst.«
Der letzte Satz gab für Hetty den Ausschlag, dieses Angebot doch anzunehmen, denn er stellte sicher, dass sich ihre und Kais Wege dieses Mal nicht kreuzen würden. Denn eines stand ganz oben auf ihrer „Not to do Liste“ und das war Kai auch noch absichtlich über den Weg zu laufen. Ihr genügten schon die zufälligen Zusammentreffen, die sich in letzter Zeit gehäuft hatten.
Allerdings konnte sie ihrer Freundin zwar viel erzählen, aber sicher nicht, dass sie dem Ziehsohn ihres Vaters und ihrem gemeinsamen Lebensretter bewusst aus dem Weg ging und sie sich, nach ihrer letzten Begegnung, geschworen hatte, ihn am besten nie wieder zu sehen, immer brav nach der Devise „Aus dem Augen aus dem Sinn!“
Die Sarkasmusabteilung ihres Gehirns schüttelte den Kopf und meinte zu den anderen Parteien, die genauso verdutzt dreinsahen. »Hatte ich eine kurzzeitige Amnesie und der schwarzhaarige Typ, mit strahlend blauen Augen, an den sie dauernd denkt, ist gar nicht Kai?«
Hetty seufzte auf. Das mit dem Nicht-dran-denken musste sie noch etwas besser in den Griff bekommen, aber sie machte Fortschritte und wenn sie ihn nie wieder sah, würde sie die letzten Nachwehen sicher bald überstanden haben.
Doch jetzt musste sie erst ihr neues Quartier beziehen und dazu war eine kurze Fahrt mit der Fähre, vom Circular Quay, auf die andere Seite der Harbour Bridge nach Kirribilli nötig. Ein schneller Blick auf die Karte hatte gezeigt, dass diese Anlegestelle eindeutig näher an ihrem neuen Schlafdomizil lag, als Milton neben dem Luna Park.
Der Pendelverkehr hin und zurück fand laut Zeitplan wochentags alle zwanzig Minuten statt, was bedeutete, dass sie völlig unabhängig agieren konnte, denn somit war der zentrale Verkehrsknotenpunkt Sydneys nur einen Katzensprung weit entfernt.
Und als sie das moderne, teuer wirkende Wohngebäude betrat und an der Rezeption im Eingangsbereich nach dem Schlüssel fragte, war sie inzwischen schon überzeugt, dass diese Alternative gar nicht so ohne war. Zwangsgedrungen nahm sie den, mit viel Spiegel und Edelstahl ausgestatteten Aufzug, denn auch wenn sie kein Freund von engen Räumen war, die Frage des Pförtners, ob sie ihre Reisetasche wirklich bis ganz oben schleppen wollte, hatte sie zögern lassen.
Nach seiner Aussage befand sich das Appartement im Dachgeschoss und anscheinend war außer ihr noch nie jemand durch das Treppenhaus gegangen. Sein entsetzter Blick bei diesem Ansinnen hatte in ihr die Überlegung hervorgerufen, ob dort vielleicht irgendwelche unbekannte Gefahren lauerten.
Als sie allerdings mit angespannten Wangenmuskeln im Aufzug stand und der leise dudelnden Musik zuhörte, war sie sich nicht sicher, ob fünf Stockwerke erspartes Treppensteigen, wirklich einen frühen Tod wert waren. Erleichtert hörte sie das leise Zischen als sich der Aufzug, wider Erwarten, bequemte seinen Dienst wunschgemäß zu versehen und die Türen öffnete.
»Braver Aufzug!« Hetty war überzeugt davon, dass auch Elektronik eine Seele hatte und ein Lob hatte noch nie geschadet.
Sie lächelte vor sich hin, als sie auf die einzig sichtbare Wohnungstüre des Stockwerks zuging. In ihrem früheren Berufsleben hatte sie ihrem Computer immer erklärt, wenn er nicht spurte, würde er upgedatet. Das hatte noch jedes Mal geholfen und sie hatte diese Methode auch erfolgreich bei störrischen Kopierern und Druckern angewandt.
Auch der Zimmerschlüssel machte keine Mucken, was sie nach dem funktionierenden Aufzug schon nicht mehr verwunderte. Australische Türschlösser waren ihr an und für sich ein Greuel. Anscheinend musste man in diesem Land geboren sein, um ein inneres Verständnis für deren Bedienung zu entwickeln. Aber diese Dinger nannte jedes vom britischen Empire bevölkerte Land sein eigen und wenn sich vielleicht noch dreiundzwanzig Millionen Australier täuschten – ganz Amerika konnte nicht irren.
Doch nachdem sie die Türe aufgeschlossen hatte, waren diese Gedanken alle wie weggewischt und sie stand erst einmal ziemlich sprachlos da und sah sich mit großen Augen um. Wow! Das Ding war ja riesig. Und erstaunlicherweise äußerst behaglich eingerichtet. Sie runzelte die Stirn. Eigentlich gar nicht so erstaunlich. Auch wenn Kai wirkte, als wenn er in schwarzem Marmor und Stahl leben könnte, bevorzugte er doch eher eine entspannte Lebensweise.
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