Er kritzelt die Zahlen auf den Block. „Nun gut, das ist immerhin ein Anhaltspunkt. Wissen Sie, wie viele Gläubiger Sie haben und wie viel Sie ihnen jeweils schulden?“
Allmählich wird mir das hier echt zu intim. Was will er als Nächstes wissen? Wie der Pin-Code für meine EC-Karte lautet?
„Ziemlich viele“, erkläre ich vage.
„Mehr als zehn?“
Ich lache auf. Dann kapiere ich, dass es gar kein Witz sein sollte.
„Äh, ja. Mehr als zehn.“
„Schätzen Sie.“
„Fünfzig vielleicht?“, murmele ich kleinlaut.
Erstaunlicherweise scheint ihn das nicht im Mindesten zu schockieren. Ungerührt schreibt er auch diese Zahl auf. „Das macht die Sache natürlich etwas unübersichtlich“, konstatiert er nüchtern.
Ich nicke schuldbewusst.
„Sie haben von Ihren Kreditkarten gesprochen. Wie lange können Sie schon nicht mehr damit bezahlen?“
Dieses Frage-Antwort-Spiel wird mir langsam zu dumm. Davon werde ich meine Schulden ganz sicher nicht los. Und überhaupt – was soll das Ganze eigentlich?
„Entschuldigen Sie“, übergehe ich seine letzte Frage, „wozu wollen Sie das alles wissen?“
„Was meinen Sie?“
„Na, ich dachte, Sie sind hier, um mir irgendwelche Finanztipps zu geben oder so. Was spielen meine Kreditkarten da für eine Rolle?“
Irritiert blinzelte er mich einen Moment an. Schließlich klickt er die Miene zurück in den Kugelschreiber und legt ihn ab. „Wissen Sie, wie eine Schuldnerberatung abläuft?“
„Sie schreiben meine Ein- und Ausgaben auf ein Flipchart, reden mit ein paar Leuten von der Bank, damit sie mir meine Schulden erlassen, Sie gehen wieder nach Hause, und alle sind glücklich und zufrieden?“, witzele ich in Anspielung auf RTL's Schulden-Doku-Soap.
Er zieht die linke Augenbraue hoch. „Es ist ein klein wenig anders, Frau Herrlich.“
Sein Tonfall lässt mir das Grinsen vergehen. Mit jemandem, der mich „Frau Herrlich“ nennt, ist vermutlich nicht zu scherzen.
„Natürlich verschaffe ich mir erst einmal einen Überblick über die Lage, da haben Sie schon recht. Aber damit ist es nicht getan. Und es geht auch nicht um Finanztipps, wie Sie es nennen. Wenn ich Ihnen helfen soll, muss ich wissen, womit ich es zu tun habe. Damit ich mir eine Vorgehensweise für Sie überlegen kann.“
„Klingt nach einer längerfristigen Angelegenheit“, bemerke ich zögerlich.
„In der Regel steht man so lange miteinander in Kontakt, bis die Schulden getilgt sind oder sich zumindest in einem tragbaren Rahmen befinden, ja.“ Er nimmt den Kugelschreiber wieder auf. „Deshalb die Fragen. Wie sieht es nun aus mit Ihren Kreditkarten?“
„Äh, Moment mal“, schreite ich noch einmal ein. „Und was ist, wenn ich das gar nicht will?“
Wieder schaut er mich fragend an. „Ich war davon ausgegangen, Sie hätten sich bereits dazu entschieden, die Beratung in Anspruch zu nehmen.“
Da ist er aber von einer ziemlich falschen Annahmen ausgegangen.
„Ich dachte, ich lerne Sie erst mal kennen, und danach entscheide ich mich“, erkläre ich ihm.
„Und?“
„Was und?“
„Haben Sie sich entschieden – jetzt, wo Sie mich kennen?“
Tz. Er hat ein seltsames Verständnis von „kennen“. Das hier kann man ja kaum eine flüchtige Begegnung nennen.
„Geben Sie mir noch fünf Minuten, dann kann ich vielleicht ein Urteil abgeben“, erwidere ich ironisch.
„Bitte, wie Sie wollen“, sagt er ungerührt und packt seinen Block wieder ein. „Angesichts Ihrer Situation würde ich Ihnen zu einer schnellen Entscheidung raten.“
Was soll das denn nun wieder heißen?
„Wollen Sie damit andeuten, ich hätte keine andere Wahl?“
„Natürlich haben Sie eine Wahl“, entgegnet er beim Aufstehen. Will wohl keine Zeit verschwenden, der gute Mann. „Ich würde Ihnen die Beratung allerdings dringend empfehlen. Es sei denn, Sie wissen selbst, wie Sie von Ihren Schulden herunterkommen. Aber ...“
„Aber was?“
„Tim hat gesagt, das wäre eher nicht der Fall.“
Fassungslos schnappe ich nach Luft. Das ist ja wohl die Höhe! Mich hinter meinem Rücken als unfähig hinzustellen – das ist echt das Letzte! Das hat mein feiner Herr Bruder sich so gedacht, dass er nach der Pfeife dieses zugeknöpften Schuldnerberaters tanze, der wahrscheinlich schon im Anzug zur Welt gekommen ist. Da hat er sich geschnitten! Dem werde ich zeigen, wie ich von meinen Schulden herunterkomme.
„Wissen Sie was“, sage ich und erhebe mich ebenfalls, „ich habe mich gerade entschieden. Danke für Ihr Angebot, aber ich brauche Ihre Hilfe nicht. Ich komme nämlich sehr gut allein zurecht!“
Er zuckt unmerklich die Schultern. „Wie Sie meinen.“ Aus der Innentasche seines Jacketts zieht er eine Visitenkarte. „Falls Sie es sich anderes überlegen, können Sie mich gerne anrufen.“
Aus Höflichkeit nehme ich sie entgegen, nicht weil ich vorhabe, wirklich davon Gebrauch zu machen. „Das wird nicht nötig sein, Herr von ...“
Verdammt, ich habe ein irre schlechtes Namensgedächtnis. Hastig schaue ich auf die Karte.
„... Nettesheim“, sagen wir beide gleichzeitig.
Flüchtig lächele ich ihm zu. Er erwidert es nicht. Himmel, ich bin noch nie einem so humorlosen Menschen begegnet.
„War nett, Sie kennenzulernen“, schwindele ich und marschiere schnurstracks zur Wohnzimmertür.
Als ich sie öffne, fallen mir Tim und Carolin beinahe entgegen. Habe ich es doch gewusst!
„Ihr seid schon fertig?“, fragt Carolin, ohne sich für ihr unangemessenes Verhalten zu entschuldigen.
„Wir haben alles geklärt“, antworte ich und werfe Tim einen eisigen Blick zu. „Ich brauche keinen Schuldnerberater.“
„Wie? Du hast doch gesagt ...“
„Da wusste ich auch noch nicht, dass du ihm erzählt hast, ich wäre zu blöd, das allein in den Griff zu kriegen.“
„Das habe ich gar nicht!“, protestiert er und sieht hilflos zu seinem Uni-Freund, der hinter mir im Türrahmen aufgetaucht ist. „Stimmt doch, oder? So was habe ich nie behauptet.“
Ehe dieser sich dazu äußern kann, winke ich ab. „Ist mir auch egal. Ich weiß, dass ihr mir das nicht zutraut, aber ich werde es schon hinkriegen. Du wirst du sehen, ich schaffe es. Auch ohne dich!“
Damit rausche ich an den dreien vorbei und verlasse das Haus, ohne mich zu verabschieden. Die werden sich noch wundern. Ich kann vielleicht nicht besonders gut mit Geld umgehen. Deswegen bin ich noch lange nicht auf fremde Hilfe angewiesen. Von den paar roten Zahlen auf meinem Konto lasse ich mich nicht einschüchtern. Ich werde es schaffen, ganz sicher!
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