Saleh schwieg betroffen.
„Reich mir mal deine Hände, damit ich die Blutungen stoppen kann.”
Mit dem baugleichen Zellregenerator, mit dem er schon einmal Mouads Leben gerettet hatte, fuhr er über die verstümmelten Finger und Handballen. Knud wunderte sich, wieso Saleh nicht vor Schmerzen wimmerte.
„Tut das denn gar nicht weh?”
„Schmerzen sind mir egal, meine Existenz ist mir vollkommen gleichgültig. Ich spüre nichts mehr. Die Realität besteht für mich nur noch aus einer grauen Suppe - ohne Höhepunkte, ohne Gegensätze. Ich bin maßlos enttäuscht über mein Leben.
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Was habe ich denn schon erreicht? Menschen bestehlen, Drogenhandel, Prostitution - darauf soll ich vielleicht auch noch stolz sein? Und wenn ich mir diese neue Welt ansehe - ich erschaudere nur noch vor Ehrfurcht bei diesem Anblick. Ich habe endlich begriffen, was es bedeutet, wenn Menschen und andere Rassen etwas geleistet haben, das einer Zivilisation zur Ehre gereicht: In Einklang und Harmonie miteinander zu leben und die Natur als etwas Kostbares anzusehen. Dies hier hat etwas Göttliches. Für mich aber ist hier kein Platz - ich bin es nicht einmal ansatzweise wert, an diesem Ort weiter zu existieren.”
„Wenn du dich jetzt einfach aufgibst, nimmst du dir vermutlich die Chance auf einen faszinierenden Neustart in deinem Leben. Wir wissen doch, was du durchgemacht hast oder ahnten zumindest etwas. Auch dein Attentatsversuch in Israel ist uns inzwischen bekannt. Knud hat uns die Aufnahmen davon gezeigt”, ließ sich Aaron plötzlich vernehmen. „Aber wir wissen auch, dass du nichts dafür konntest, denn du bist von deiner Familie unter Drogen gesetzt worden, warst also nicht mehr du selbst. Und aus diesem Grunde denken wir nicht daran, dich einfach im Stich zu lassen. Deine Existenz jetzt einfach wegzuschmeißen ist natürlich eine einfache Lösung für dich - nicht mehr um sich selbst kämpfen zu müssen. Aber so einfach kommst du bei uns allen nicht davon: Wir fordern von dir nämlich, dass auch du den inneren Kampf durchstehst, dass du uns nicht enttäuscht.”
„Meinst du vielleicht, mir ist es leicht gefallen, in die IDF einzutreten, um dahingehend ausgebildet zu werden, Araber töten zu müssen?”, ergänzte Yossi.
„Was meine Familiengeschichte betrifft, so müsste ich auch mein Leben als eine einzige, große Enttäuschung ansehen, verbunden mit einem unbändigen Hass auf Deutsche und Araber. Mein Großvater starb nämlich in Auschwitz, weniger als eine Stunde, bevor die Aliierten einrückten- und zwar durch einen Wutanfall des Lagerkommandanten, der es nicht akzeptieren konnte, dass der Krieg verloren war. Er nahm damals jeden mit ins Verderben - ihn erschoss - der ihm über den Weg lief.
Meinen Vater erwischte es zudem beim letzten Einsatz im Libanon - er wurde von der Hisbollah grausam zu Tode gefoltert.
Und was mich betrifft: Schule abgebrochen wegen meinem Coming-Out und meiner Musik, zudem bin ich doch gerade selbst durch einen wunderbaren Zufall noch mal mit dem Leben davongekommen. Dazwischen lernte ich dich kennen, und musste zudem meinen stets sehr skeptischen Partner erst einmal überzeugen, dass du es wert bist, von uns betreut zu werden.”
„Bitte versprich uns, dir nie wieder so etwas anzutun”, flüsterte Aaron. „Wir waren doch bei unserem letzten Meinungsaustausch dahingehend übereingekommen, uns nicht mehr gegenseitig zu enttäuschen, indem irgendwelche Dummheiten gemacht werden.”
„Ihr... ihr werft mich definitiv nicht weg, obwohl ich doch versucht hatte, mich in Tel Aviv in die Luft zu jagen?”, stammelte Saleh. Er konnte seine Emotionen kaum mehr bezwingen. Erste Tränen liefen die Wangen herab.
„Wir wissen doch, dass du von den Al-Kuz-Brigaden unter der Einwirkung von Folter und Psychopharmaka zu diesem Anschlag als lebende Bombe gezwungen worden bist. Du konntest dich doch auch gar nicht mehr selbst entschärfen”, brummte Aaron.
Saleh kollabierte.
„Du bist ein liebenswerter, kleiner Idiot”, flüsterte Yossi, während sie ihn abwechselnd immer wieder umarmten.
„Wo bleibt ihr denn?”, vernahm man plötzlich Mouads Stimme. „Wollt ihr etwa hier draußen übernachten?”
„Kommt”, forderte Knud die Umstehenden auf, „gehen wir in Rogopols Haus.”
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