Sie schlenderten über scheinbar freischwebende Plätze, unter denen durch raffinierte Rohrsysteme, die verborgen angebracht waren, silbrige Wasserfälle in die Tiefe stürzten. An einem besonders großen Exemplar wollten alle den weiteren Verlauf dieses künstlichen Wunderwerks in die Tiefe verfolgen. Dabei konnte man feststellen, dass sich der Raum zwischen den einzelnen Säulen mit zunehmender Tiefe immer mehr weitete: Die Emporen, die um die einzelnen Stockwerke gebaut worden waren, wurden allmählich immer schmaler, je weiter man sich dem Grund dieses riesigen Gebäudes näherte. Und so schritten sie eine Etage nach der anderen ab, bis sie schließlich nach knapp dreistündiger Kletterei feststellten, dass sie erst auf halber Höhe dieses, in Myriaden silberne Tropfen zerstiebenden, künstlichen Katarakts angekommen waren. Von hier hatten sie einen prächtigen Ausblick auf Vorhänge von Sternenblumen, einer Lebensform, die vom Südkontinent dieses Planeten stammte. Ihre symmetrisch oktogonal geformten, tiefschwarzen, sich rhythmisch öffnenden und schließenden Fallen, die winzige fliegende Luftbewohner verschlangen, zeigten beim Öffnen ein phosphoreszierendes Leuchten in allen Farben des Regenbogens. Dadurch hatten Betrachter den Eindruck, sich inmitten eines funkelnden Sternenhimmels zu befinden. Besonders prächtig war diese Erscheinung natürlich bei Einbruch der Nacht. Deshalb waren die Wasserfälle, die dieses prächtige Schauspiel an ihren Rändern zeigten, auch immer von unzähligen Besuchern umlagert, die sich häufig schon am Nachmittag die besten Plätze reservierten.
Der Professor bestand darauf, den weiteren Weg bis an den Grund dieser Stadt doch bitte mit einem Lift fortzusetzen, da seine Füße zu schmerzen begannen. Knud führte sie um den Zwischenraum zweier Wohnsäulen der Stadt herum, wobei linker Hand die Gischtwolken hinabdonnerten und eine angenehme Kühle und Frische erzeugten, die ihre Müdigkeit einfach wegzublasen schienen.
Immer wieder blieben sie auf ihrem Weg zu einem Liftschacht vor weiteren Geschäften stehen. Schließlich stoppte die Gruppe vor einem Schaufenster, wo man Beispiele für das Interieur in hiesigen Wohnungen bewundern konnte. Eine Laufschrift wies zudem darauf hin, dass man sich hier über Wohnungseinrichtung und -stil beraten lassen konnte. Knuds Freunde debattierten angeregt über zukünftige Anschaffungen, wenn sie später einmal irgendwo sesshaft geworden wären. Der Professor war zudem ganz fasziniert von einem edlen, uralten Sessel, den er in einem Antiquitätengeschäft ausfindig gemacht hatte und der ihn mit seinen Schnitzereien an ein Barockmöbel erinnerte.
„Der würde doch sehr gut zu unserer bestehenden Wohnungseinrichtung passen”, meinte er. „Darin muss ich zur Probe einmal sitzen.”
Er stürmte in das Geschäft.
Knud und Rogopol realisierten zu spät, was er vorhatte. Denn als er sich mit Schwung hineinplumpsen ließ, landete er ziemlich unsanft auf dem Boden. Es handelte sich nämlich lediglich um eine holographische Projektion.
Der Verkäufer war ein überaus höflicher Vertreter einer Händlerrasse. Er bestand aus einer gallertartigen, zylinderförmigen Masse, die sich auf kriechenden Schleimfüßchen fortbewegte und an seiner Oberseite eine Serie foto- und signalempfindlichen Rezeptoren besaß. Der Einrichter erläuterte dem völlig verdutzt dreinschauenden Wahid mit Hilfe eines Universalübersetzers, dass er bereits für ein Probesitzen auf dem realen Möbel Geld bezahlen müsste:
Da die Herstellung eines beliebigen Sitzmöbels Energie kostete, war auch ein einfaches Ausprobieren ein recht kostspieliges Unterfangen. Aber nur so könne man die Ex- und Hopp-Mentalität, die es früher auch ansatzweise bei einigen Rassen in der Föderation gab, unterbinden.
Als er sich wieder aufrappelte, beschwerte er sich, da ihn die Erläuterungen nicht zufrieden stellten:
„Wie soll man sich denn hier eine neue Wohnung einrichten, wenn man die Sachen noch nicht einmal anfassen kann und nur derartige Projektionen zur Verfügung stehen?”, grollte er, während er sich noch sein schmerzendes Gesäß massierte.
„In dieser Wirtschaft”, erläuterte Knud, „muss alles, was konsumiert wird, in Energieäquivalenten bezahlt werden. Auf nichts Anderem basiert letztendlich unser Geldsystem. Man ermittelt, wie viel Energie und Rohstoffe für die Herstellung eines Produktes gebraucht werden. Auch der Transport muss daher mit berücksichtigt werden. Nahrungsmittel beispielsweise, die auf dieser Welt selbst hergestellt werden können, sind verhältnismäßig billig. Aber Güter, die von anderen Planeten importiert werden müssen, werden sofort erheblich teurer. Wenn man also ein langlebiges Produkt, wie beispielsweise eine echte Küche aus original Massivholz oder edle Antiquitäten kaufen will, so ist das hier sehr kostspielig. Das hat aber den großen Vorteil, dass hier nichts weggeworfen wird und alle Gegenstände auf lange Lebensdauer von zum Teil mehreren hundert Jahren und 100 Prozent Wiederverwendbarkeit, ausgelegt sind.
Bestes Beispiel sind bei uns Getränke und Konservenverpackungen. Diese sind, wie ich schon einmal angerissen hatte, aus einem fast unzerstörbaren Glas hergestellt. Es gibt in der ganzen Föderation nur 50 verschiedene Größen und Formen davon, einschließlich standardisierten Trinkgläsern, Schalen und Schüsseln für den Hausgebrauch. Wer Weingläser aus echtem Glas wie auf der Erde haben will, muss umgerechnet etwa zehnmal mehr bezahlen als für vergleichbare Produkte auf Sol III.”
Knud wandte sich seinem Freund zu.
„Vielleicht, Mouad, erinnerst du dich noch auf unserer Flucht von der Erde an diese Ölfässer, die wir an Bord des Zyklopen mitführten.”
Mouad nickte.
„Stahl ist hier ziemlich teuer, so dass sich auch das Material, aus dem das Fass besteht, hier zu Geld machen lässt und einen Teil der Expeditionskosten deckt.
Aber das ist nichts gegenüber dem Rohöl, was in den Fässern steckte: Wie ich schon mal angedeutet hatte, ist das hier eine Kostbarkeit, die nur zur Herstellung bestimmter Spezialmedikamente und als Zusatz zu einigen extrem haltbaren Kunststoffen verwendet wird. Der Preis für einen Liter Öl lässt sich vergleichen mit dem, der auf eurer Welt für einen Liter extrem teuren Rotwein zu bezahlen ist: Ungefähr 200 Luna pro Liter, also 31 800 Luna für einen Barrel Rohöl, was Öl hier etwa 400 mal teurer macht als auf der Erde. In der Föderation käme schon aus diesem Grund niemand auf die Idee, Erdöl oder Erdgas, wobei letzteres hier auch wesentlich teurer ist im Vergleich zu den Notierungen auf dem Spotmarkt auf der Erde, zu verbrennen.”
„Das hast du uns noch gar nicht erzählt: Wie funktioniert die Energieversorgung auf dieser Welt? Fossile Energieträger scheint ihr somit offensichtlich nicht zu nutzen”, meinte Mahmoud.
Rogopol lächelte verschmitzt, als er an Stelle von Knud antwortete:
„Im Grunde ist die Technologie für einen sinnvollen Umgang mit Energie schon auf eurer Heimatwelt vorhanden. Aber die Energieversorger, die in der Vergangenheit in den Industrieländern ein Oligopol auf Grund ihrer energiewirtschaftlichen Interessen aufbauten, haben viele Jahrzehnte dagegen gearbeitet und so der sinnlosen Ressourcenvergeudung Tür und Tor geöffnet. Hier sind diese energieeffizienten Grundideen bereits seit Urzeiten angewendet worden. Sie basieren auf folgenden Schwerpunkten:
1 Zunächst sind sämtliche Gebäude erst einmal auf so genannte Nullenergienutzung ausgelegt. Durch hervorragende Isolierung, Berücksichtigung des Sonnenstandes und intensive Energierückgewinnung werden über das Jahr nur äußerst wenig Strom und Wärme verbraucht.
2 Schon allein die Dachkonstruktionen aller Häuser, die mit Solar- und Warmwasserkollektoren lückenlos ausgerüstet sind, verursachen einen solchen Energieüberschuss, dass damit ein großer Teil des Wasserstoffs produziert werden kann, der für Flüge innerhalb der Atmosphäre und zum Kochen verwendet wird.
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