Ich sah auf das Bier in meiner Hand und fragte mich, ob ich deswegen jemals Freundschaftsangebote bekommen hatte.
>> Selbsthilfegruppe von Nichtsnutzen << , nahm sie mir das Wort aus dem Mund, >> die graben mich an, sobald Du auf dem Klo bist. <<
>> Dich würden die nicht mal angraben, wenn ich auf dem Mond wäre << , kehrte er ihren Angriff um, >> die haben nämlich Geschmack. <<
>> Das glaubst Du << , schrie sie und man hörte, dass sich Tränen in das Geschehen einmischten, >> eins ist aber sicher, sowas würden die sicher nicht zu ihrer Freundin sagen. Das sagt niemand zu seiner Freundin. <<
Die Tränen zeigten keine Wirkung. Die Lage war meiner Bewertung nach aussichtslos. Mehrfach am Tag wurde die Frage nach der Versorgung des Hundes neu verhandelt, ohne dass sich eine Vereinbarung abzeichnete. Insbesondere seine Freude an dem unausweichlichen Zeitvertreib mit Rocky konnte man an der Lautstärke, mit der er die Haustür zuwarf, ablesen.
Ich hatte Hannelore einige Male im Treppenaufgang getroffen. Meinen freundlichen Gruß hatte sie kühl erwidert. Ob diese Abstand fordernde Erwiderung im Treppenhaus für mich einen Reiz darstellte, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Auf jeden Fall war ich von meiner Nachbarin angezogen und hoffte, irgendwann in ein Gespräch mit ihr verwickelt zu werden. Ich spielte mit mehreren Phantasien. Sie stand vom Regen durchnässt vor der Haustür und hatte ihren Schlüssel vergessen während ich gerade heimkam. Dann wärmte sie sich bei mir auf und wartete auf den Schlüsseldienst. Ich traf sie auf der Straße mit einem Einkauf, der zu schwer und sperrig für sie war und bot meine Hilfe an, die sie dankbar annahm. Sie stand in der Schlange der Supermarkasse vor mir und hatte nicht genug Geld dabei. Ich half ihr aus. Ich saß im Kino durch Zufall neben ihr.
Das Warten auf Zufälle hatte ich lang genug betrieben. Nach reiflicher Überlegung besorgte ich mir einen Termin in ihrer Praxis. Sie erkannte mich nicht, als ich im Behandlungszimmer auf dem Hocker saß. Auch Name und Anschrift auf dem Patientenbogen erweckten nicht ihre Aufmerksamkeit.
>> Mit Ihrer Lunge ist alles in Ordnung << , diagnostizierte sie, nachdem sie mich mit ihrem Stethoskop auf meiner Brust hatte tief ein- und ausatmen lassen und meinen Brustkorb abgeklopft hatte, >> und schon gar keine Tuberkulose. <<
>> Mir war so << , feixte ich ruhig. Sie rollte mit ihrem Stuhl einen Meter zurück und betrachtete mich mit durchdringendem Blick.
>> Dafür bekommen Sie keine Krankschreibung von mir << , sagte sie ernst.
>> Daran war mir auch nicht gelegen << , antwortet ich sachlich, >> ich wollte nur ausschließen, vorzeitig zu versterben. << Ich glaubte ein leichtes Schmunzeln auf ihren Mundwinkeln zu erkennen und fügte hinzu: >> Ich habe doch noch so einiges vor. << Sie bewegte ihren Stuhl zu einem kleinen Tisch und griff die dünne Akte, die sie zur Behandlung abgelegt hatte.
>> Das ist schön für Sie. Ihr Körper steht Ihnen dabei nicht im Wege. Zumindest nicht mit Fehlfunktionen. Und soweit ich das überblicken kann. <<
>> Meinen Sie nicht, dass das gefeiert werden muss? << , näherte ich mich meinem eigentlichen Ziel.
>> Feiern Sie ruhig!. << , folgte sie mir nicht.
>> Feiern Sie mit? << , wurde ich deutlicher.
>> Auf Wiedersehen! << , wurde Sie deutlicher, stand auf und verließ das Behandlungszimmer. Ich war zufrieden mit mir, zog mich an und schlenderte aus der Praxis. Die Sprechstundenhilfe, so schien mir, senkte verschämt ihren Blick, als ich mich von ihr verabschiedete.
Es sollte eine Weile dauern, bis wir uns vor ihrer Wohnungstür wieder begegneten. Sie erkannte mich erst, nachdem sie ihren beiläufigen Gruß ausgesprochen hatte.
>> Sind Sie nicht? << , fragte sie, den Satz bewusst nicht abschließend.
>> Mir geht es schon viel besser << , entgegnete ich freundlich.
Sie runzelte die Stirn und formulierte fortgesetzt bruchstückhaft: >> Wie habe ich das? <<
>> Sie sind meine eigene Empfehlung << , sagte ich zweideutig.
>> Sie sind mir nie << , setzte sie an und errötete, weil die Fortsetzung des Satzes ihr nicht gefiel.
>> Sie mir schon << , versuchte ich einen peinlichen Moment zu verkürzen und eine noch peinlichere Vollendung oder gar Diskussion erst gar nicht zu ermöglichen, >> daran hat auch Ihre Weigerung, mich krankzuschreiben, nichts geändert. <<
>> Sie wollten also doch << , rang sie sich ein Lächeln ab.
>> Mit Ihnen feiern << , verwirrte ich den Dialog vollends. >> Ich gebe Ihnen eine Stunde, dann werde ich bei Ihnen klingeln. Wenn Sie öffnen, werden wir ausgehen. Wenn nicht, werde ich mir eine andere Krankheit holen. <<
>> Ich werde mich nicht in meiner Wohnung verstecken und das Licht ausmachen << , war sie fast beleidigt, setzte aber hinzu: >> und ich behandle Sie nur bei richtigen Krankheiten. <<
>> Umso besser << , lachte ich, >> wenn Sie die Klingel abstellen, klopfe ich. <<
Sie hatte inzwischen ihre Wohnung aufgeschlossen und beanspruchte das letzte Wort, bevor sie die hinter Tür hinter sich zuzog: >> Ich werde sicherheitshalber die Kette vorlegen. <<
Ich ging mit ihr aus und versuchte zu verbergen, dass ich das Ausgehen nicht wirklich im Blut hatte. Schon die Wahl der Örtlichkeiten bereitete mir einigermaßen Schwierigkeiten, konnte ich die frittierte Kartoffel des Franzosen geschmacklich nicht von der einer amerikanischen Imbisskette unterscheiden und mochte auch keinen großen Mehrwert durch gutgekleidetes Personal oder gutgekleidete Gäste am Nachbartisch verspüren. Mein mühsam erlerntes Vermögen, mein eigenes Empfinden nicht zum Maßstab anderer zu machen, war mir bei meinem weiteren Bestreben aber nützlich. Ich wählte die Lokalität stumpf nach Preis und Lage, wodurch mir Lob zuteil und guter Geschmack attestiert wurde. Jedoch musste ich in den folgenden Wochen der kulinarisch kommunikativen Treffen meinen verbliebenen Hunger anschließend heimlich mit dem Inhalt einer Dose italienischer Teigtaschen in Tomatensauce stillen.
Ich genoss die Stunden der Unterhaltung mit Frau Doktor Lamprecht und schrieb die Tatsache, dass sich die Zeit unserer Annäherung aus meiner Sicht in die Länge zog, unserem Alter und einer gehobenen Anspruchshaltung meiner Angebeteten zu. Ein Treffen in meinen Räumlichkeiten konnte und wollte ich für körperliche Offensiven nicht ausnutzen, und so wartete ich, bis eine Einladung mich in ihre Wohnung bugsierte. Ihre Kochkünste waren, anders als ihre Routine in Speiselokalen, eher bescheiden, das Wissen um die Dinge, die bei ihr passieren sollten, aber durchaus präsent. Hatte ich mit hölzernen Versuchen, das zu imitieren, was vor zwanzig Jahren eine Selbstverständlichkeit war, gerechnet, so sah ich mich getäuscht und um genau diese zwanzig Jahre zurückversetzt. Im Detail gab es aber durchaus Unterschiede. Vor allem durch den Einsatz einer ganzen Batterie von Hilfsmitteln, die zu entdecken Privileg des Älterwerdens zu sein scheint. Reichlich Schminke. Reichlich Zahnersatz und -aufhellung. Duftwässerchen reichlich. Straffende Wäsche fast überall. Aufpolsternde Wäsche an entscheidenden Stellen. Hätte ich nicht den eigenen Hormonen gehorchen und in den Teich der Wollust eintauchen müssen, hätte sich mir die Frage aufgedrängt, ob ich durch die Hilfsmittel betrogen worden war oder Mitleid empfinden sollte. Mein Repertoire, das Alter zu kaschieren, beschränkte sich auf eine Pfefferminzpastille gegen schlechten Atem, auch wenn mir nicht verborgen geblieben war, dass auch außerhalb eigener Eitelkeit und eigener Sehnsucht nach Jugend der Einsatz käuflicher Mutationspräparate zur Attraktivitätssteigerung opportun erscheinen konnte.
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