Frank Buddrus - Kleiner Johann

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Johanns Mutter hieß Maria, sein Vater Josef. Dieser Umstand könnte als Zeichen göttlichen Beistands gedeutet werden. Der aber war nicht gegeben. Das wiederum war auch kein Wunder. Maria war eine faule, ungepflegte Frau, Josef ein fauler, ungepflegter Mann. Beide lernten sich auf einem Volksfest kennen. Im Suff, versteht sich. Da war sie siebzehn und er zweiundzwanzig Jahre alt. Sie arbeitete in einer Bäckerei, er auf einem Schrottplatz. Neben ihrer Faulheit und mangelnden Körperhygiene hatten sie eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die sie aber nicht automatisch zum idealen Paar machten. Beide konnten nicht besonders gut lesen und noch weniger schreiben. Beide waren gut am Glas, vertrugen aber unterschiedlich viel. Maria kotzte mehr als sie trank, Josef trank mehr als er aß. Ihre Wohnungen waren klein und miefig. Sie besaßen beide nicht viel mehr als die Kleidung an ihrem Leib und etwas Tand und Kitsch, den sie aus ihren Jugendjahren mitgeschleppt hatten.

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Frank M. Buddrus

Kleiner Johann

von der Kunst, ein Niemand zu sein

Vorwort

Es gibt kaum jemanden, der sich an Johann erinnert. Und wenn, dann findet er nicht, dass Johanns Leben einer Erwähnung wert wäre. Ich erinnere mich und bin gänzlich anderer Meinung. Trotz mannigfaltiger Versuchung fand Johann nämlich sein Glück ganz allein.

Wie Johann geboren wurde

Johanns Mutter hieß Maria, sein Vater Josef. Dieser Umstand könnte als Zeichen göttlichen Beistands gedeutet werden. Der aber war nicht gegeben. Das wiederum war auch kein Wunder. Maria war eine faule, ungepflegte Frau, Josef ein fauler, ungepflegter Mann. Beide lernten sich auf einem Volksfest kennen. Im Suff, versteht sich. Da war sie siebzehn und er zweiundzwanzig Jahre alt. Sie arbeitete in einer Bäckerei, er auf einem Schrottplatz. Neben ihrer Faulheit und mangelnden Körperhygiene hatten sie eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die sie aber nicht automatisch zum idealen Paar machten. Beide konnten nicht besonders gut lesen und noch weniger schreiben. Beide waren gut am Glas, vertrugen aber unterschiedlich viel. Maria kotzte mehr als sie trank, Josef trank mehr als er aß. Ihre Wohnungen waren klein und miefig. Sie besaßen beide nicht viel mehr als die Kleidung an ihrem Leib und etwas Tand und Kitsch, den sie aus ihren Jugendjahren mitgeschleppt hatten.

>>Hey, Kleine! <<, sagte Josef und versuchte krampfhaft, dem jungen Mädchen, das ihm gegenüberstand, in die Augen zu sehen. Es gelang ihm nicht. Weder seine Augen noch seine Beine verstanden es, mehr als einen Augenblick lang stillzustehen. Auch seine Sprache sollte bei mehr als zwei Worten in Bedrängnis geraten. Ungeachtet seiner Unfähigkeit, wichtige Körperfunktionen unter Kontrolle zu bringen, fuhr er mit der Balz fort.

>>Wie heißt Du, Süße? <

>>Maria. <>Und Du? <

>>Ich bin der … <<, er musste aufstoßen und unterbrach die freie, nicht einstudierte Rede. Leider konnte er nicht geschmeidig fortsetzen und wiederholte sich ein wenig:

>>… der Josef. Und Du? <

>>Maria! <

>>Du bist schön! <

>>Nicht hier, Josef! <<, womit sie ihn einige Meter weiter hinter eine Würstchenbude zerrte und dort ihr Kleidchen, das ein wenig von ihrem Mageninhalt beschmutzt war, über die Hüfte raffte. Josef machte sich ebenfalls nicht die Mühe, sich mehr als nötig seiner Kleidung zu entledigen, wozu er auch nicht mehr in der Verfassung gewesen wäre. Dass er dennoch in der Verfassung war, die notwendige Präzision und Technik eines koitalen Vergnügens aufzubringen, zeigte erneut, welche Schwerpunktsetzung die Evolution vornahm.

Der Vollzug körperlicher Zuneigung war ab diesem Moment bis auf weiteres schnelles Thema bei beiden und wurde kompromisslos in die Tat umgesetzt. Und so war Maria noch keine achtzehn, als die fleischlichen Gelüste ihr das erste Kind aufzwingen wollten. Zufällig aber bemerkte sie die Schwangerschaft an dem Tag, an dem sie ihren Lohn bekam. Wie auch immer man über das Recht zu leben denken mag, diese Fügung bewahrte das herannahende Leben vor einer lieblosen Jugend, jedoch nicht vor einem furchtbaren Tod. Die rostigen Werkzeuge eines groben Hinterhofpfuschers pflückten die Frucht des Leibes. Maria war immer noch keine achtzehn, als sie ihr erstes Kind austragen sollte. Der Lohn kam einen Tag zu früh, das Geld war in dunklen Kaschemmen umgesetzt und Maria fehlte später auch die Lust zur Wiederholung der blutigen Prozedur. Josef weigerte sich nicht, seine Volksfestbekanntschaft zu ehelichen.

>>Wollen Sie die hier anwesende Maria Schubert zu Ihrem rechtlich angetrauten Eheweibe nehmen, so antworten Sie mit einem deutlichen Ja! <<, forderte ihn der Standesbeamte Günther Gerke auf. Das „Ja“, das er fertig brachte, war weniger deutlich, als Gerke es gewohnt war. Es vermischte sich mit einem Gähnen, das seine Ursache in der frühen Stunde der Eheschließung hatte. Das aber war gut für den Erfolg des Vorhabens, da um diese Zeit noch gute Chancen bestanden, die Ehewilligen halbwegs nüchtern vor sich zu haben, sah man von den Resten des Vorabends einmal ab. Unsicher blickte Gerke den Bräutigam an. Der bemerkte dies und sah sich genötigt, seiner Antwort mehr Rückhalt zu verleihen. Er schrie förmlich:

>>Ja, verdammt, ich will! <

>>Und wollen Sie, Maria Schubert, den hier anwesenden Josef … <

>>Ja, verdammt, ich will! <

>>Dann erkläre ich Sie hiermit zu Mann und Frau. Bitte unterschreiben Sie hier. <

>>Was soll denn der Scheiß. Wir wollen heiraten, und keine Waschmaschine kaufen! <

>>Du kannst Dir Deine Unterschrift sonst wo hinstecken. <

>>Sie müssen verstehen, so ist nun mal das Gesetz. <

>>Scheiß auf Dein Gesetz! Wir sind jetzt Mann und Frau! <<, kam es von Josef, der sich Maria zuwandte und sie an sich zog.

>>Richtig! <<, quiekte Maria, während sie ihre Zunge in den Mundraum ihres Gemahls verpflanzte.

>>Richtig <<, bestätige Gerke kleinlaut, obwohl er wusste, dass es nicht stimmte. Akten dienen einzig und allein dazu, einige Jahrzehnte lang aufbewahrt zu werden, und das Öffnen einer Akte kann nur zwei Gründe haben: Frevelei oder dummer Zufall. Das war Gerke bewusst und so stellte er dem Brautpaar auch ohne deren Unterschrift die Papiere aus, welche dokumentierten, dass hier das Wunder der Liebe wieder einmal zugeschlagen hatte.

Maria und Josef gaben ihre kleinen miefigen Wohnungen auf und bezogen gemeinsam eine etwas größere miefige Wohnung, die sie wenig liebevoll einrichteten. Ihr erstes Kind war ein Junge, genauso wie alle weiteren Kinder, die noch folgen sollten. Sie nannten den ersten Stammhalter Horst und bestätigten damit die Vermutung, dass sie nicht vorhatten, an die biblischen Vorzeichen ihrer eigenen Namen anzuknüpfen, genauso wenig wie sie beabsichtigten, an biblische Werte anzuknüpfen. Horst wurde kein Jahr alt, da gesellte sich Helmut hinzu, binnen Jahresfrist bildete sich mit Brüderlein Harald ein Burschentrio. Bevor jedoch das Quartett mit Johann vollständig wurde, vergingen vier Jahre und drei Fehlgeburten. Zur Nummer fünf kam es nicht mehr. Johann hinterließ an Marias Gebärmutter solchen Schaden, dass von echter Fruchtbarkeit nicht mehr viel übrig war. Wir wissen, dass Maria recht teilnahmslos war und auch von dem Umstand ihrer Einschränkung vorerst nichts wusste, ansonsten hätte die fehlende Liebe gegenüber Johann den Schluss nahe gelegt, dass sie ihm das Ende der Gebärfreudigkeit persönlich übel nahm.

Die Zeugung Johanns verlief durchaus kurios. Wie gewöhnlich waren beide Beischlafpartner betrunken, wie gewöhnlich verzichteten sie auf eine irgendwie erotisch oder mindestens liebevoll geartete Einleitung und kamen praktisch mit dem Vorsatz zum Vollzug. Dieser jedoch wurde nicht beendet, was nicht an der Manneskraft Josefs liegen konnte, stand diese doch zeitlebens völlig jenseits jeden Zweifels. Auch war es nicht einer Gefühlskälte Marias oder einer Unterbrechung durch Dritte zu verdanken; beides sollte beide niemals abhalten, eine einmal angefangene Vereinigung über die Ziellinie zu führen. Es war eine Müdigkeit, die beide übermannte und die diesen Akt zu dem kürzesten ihrer Ehe- und Vorehejahre werden ließ. Schnarchend lagen sie aufeinander, als eine winzig kleine, halb verkrüppelte männliche Keimzelle, die entweder vom letzten Feldzug zurückgelassen oder als Vorhut produziert worden war, in jedem Fall ohne den Einsatz eines Katapults flügellahm daherkam, sich den Weg in die Höhle der Fruchtbarkeit erschloss und eine völlig überraschte weibliche Keimzelle, die auch schon auf dem absteigenden Ast war, erfolgreich zum Teilen aufforderte.

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