Schweigend fuhren sie weiter. Am Hagnauer Freibad und an dem kleinen Kurpark entlang. Bei einem der äußeren Festmacher hielten sie die Yacht an, holten die Segel ein und tuckerten langsam in den kleinen Hafen, an den für die ‚ Alva ‘ reservierten Liegeplatz. Nilsson zeigte ihr noch die gebräuchlichsten Seemannsknoten, so dass Nora beim Anlegen und Festmachen des Bootes richtig gut mithelfen konnte.
Obwohl das Mädchen bettelte, es nicht zu tun, gingen sie gemeinsam durch das Dorf zu ihrem Elternhaus. Nilsson bemerkte die verwunderten, vielsagenden Blicke der Dorfbewohner und es kroch ein leiser Zweifel in ihm hoch, ob er das hier jetzt richtig macht oder ob er wieder einmal einen Schritt zu weit gegangen ist. Dort draußen auf dem See fühlte es sich noch sehr gut an, in der Gesellschaft dieses Mädchens zu sein. Sich hier im Ort jedoch, vor aller Augen mit ihr, die ja fast noch ein Kind war, gemeinsam zu zeigen, das war schon eine andere Liga. Dabei ging es ihm überhaupt nicht um sich, aber ihr schaden, das wollte er auf keinen Fall. In einer schmalen Nebenstraße vor einem ziemlich alten, kleinen Fachwerkhaus blieb Nora stehen. Sie war inzwischen sehr aufgeregt und das blieb ihm natürlich nicht verborgen. Im Gegenteil, es übertrug sich sogar auf ihn. Durch den verwilderten Vorgarten gingen sie zu einer offen stehenden Haustür. Leise konnte man ein kleines Kind weinen hören. Drinnen erwartete sie bereits eine zierliche Frau, offenbar Noras Mutter. Sie hatte einen bunten Kittel an, um sie herum standen einige Körbe mit Wäsche.
Als sie ihre Tochter und den Fremden sah, stemmte sie ihre Arme in die Hüften und rief: „Wo kommst Du denn jetzt her, Nora? Und wer ist dieser Mann? Hast Du etwa was angestellt? Oder was sonst haben Sie mit meiner Tochter zu schaffen?“ „Mama, das ist Herr Nilsson. Wir waren segeln.“ „Mama, das ist Herr Nilsson. Wir waren segeln“, äffte die Frau sie nach. „Sag` mal, spinnst Du total? Du gehst morgens aus dem Haus, ich weiß nicht, wo Du bist und kommst abends mit einem fremden Mann wieder, mit dem Du die ganze Zeit unterwegs warst? Das glaub‘ ich jetzt nicht!“
Das weinende Kind hatte die Stimmen gehört und schaute vorsichtig durch einen Spalt der geöffneten Küchentür zu den dreien hinüber. „Frau Merz, ich bin mitgekommen, um mich Ihnen vorzustellen und die ganze Sache zu erklären. Mein Name ist Lars Nilsson. Nora hatte mich heute Morgen gefragt, ob sie mitsegeln darf und dann haben wir uns ordnungsgemäß beim Hafenmeister abgemeldet. Ich bin hier im Ort bekannt, wohne schon ein paar Monate bei Ludwig auf dem Campingplatz. Zwischen Ihrer Tochter und mir ist absolut nichts geschehen, was Unrecht ist. Ich verstehe aber sehr gut, dass Sie sich Sorgen gemacht haben, dafür bitte ich um Entschuldigung.“ Noras Mutter war sehr ärgerlich und gestikulierte ungehalten. „Ich entschuldige gar nichts, verstehen Sie? Nora, ich bin enttäuscht von dir. Du schläfst doch auch nicht auf dem Baum und weißt genau, dass manche Kerle auf junge Mädchen scharf sind und schreckliche Sachen mit ihnen anstellen. Versprich mir jetzt sofort, dass so etwas nie wieder vorkommt!“
Nora holte tief Luft, um etwas zu erwidern, aber Nilsson hob beschwichtigend seine Hände. „Frau Merz, vielleicht sollten wir uns erst einmal besser kennenlernen.“ Noras Mutter erhöhte ihre Tonlage und trat einen Schritt vor, ganz nahe an den Mann heran. „Warum, wieso, weshalb denn? Damit Sie sich in Zukunft noch besser an meine Tochter ranmachen können? Das wäre ja nicht das erste Mal, dass man von so was hört.“ „Mama, jetzt reicht es aber. Du bist oberpeinlich! Herr Nilsson wollte einfach nur nett sein und mir einen Wunsch erfüllen. Ichhabe ihn gefragt, verstehst Du? Übrigens hatte ich mich vorher schon im Ort über ihn erkundigt. In dem kleinen Laden, wo ich aushelfe, bei Andreas im Bootsverleih und bei Fritz, dem Hafenmeister. Und außerdem, die meisten Sachen vor denen Du Angst hast, passieren doch sowieso in der Familie - darüber haben wir nämlich auch schon in der Schule gesprochen! Und jede Woche steht ein neuer Fall davon in der Zeitung!“
„Nora, ich habe Dir schon auf dem Boot gesagt, dass ich als Vater dieselben Sorgen hätte, von denen Deine Mutter jetzt spricht, deshalb kann ich sie sehr gut verstehen.“
„Ja, ja, weiß ich auch, dass in den Familien viel Schlimmes passiert, aber das eine schließt ja das andere nicht aus, oder? Dass Sie im Ort bekannt sind, beruhigt mich etwas, ich will mich ja auch auf meine Große verlassen, muss ich ja auch. Einsperren kann ich sie eh` nicht. Ich denke, mein Ausrasten war wohl etwas überzogen, entschuldigen Sie bitte. Aber ich bin etwas dünnhäutig geworden in letzter Zeit und heute ist sowieso alles schief gelaufen.“ Sie strich sich die strähnigen, blonden Haare aus dem Gesicht und ihr Mund zuckte. Sie war dem Weinen nahe. „Nein, nein, bitte – Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie haben ja Recht. Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?“ „Ja gerne, wenn Sie eine Waschmaschine reparieren können, dann kommen Sie gerade wie gerufen!“, sagte Sie etwas spöttisch und zeigte in den Raum hinein auf das Gerät.
Die Waschmaschine hatte offensichtlich ihre beste Zeit schon seit langem hinter sich. Bestimmt war die Pumpe hinüber oder das Lager ausgeschlagen. Möglicherweise war auch die Elektrik defekt oder alles zusammen. „Gestern ging sie doch noch!“, sagte die Frau verzweifelt, während sie mit den Tränen kämpfte. Ihre Tochter ging zu ihr und legte tröstend den Arm um die aufgewühlte Mutter. Der Mann sagte: „Nora hat mir erzählt, dass Sie mit Waschen und so Geld verdienen. Dafür brauchen Sie doch gute Geräte!“
„Ja toll, ich gehe also rein in ein Geschäft, lege reichlich Geld auf den Tisch und kaufe mir eine neue Waschmaschine, nichts einfacher als das, oder? Schön wär`s! Ich hab` ja kaum was für die Miete und Lukas kann auch nicht in den Kindergarten gehen, weil ich`s nicht bezahlen kann. Möchten Sie noch mehr wissen?“
Nilsson merkte, dass die Frau mit den Nerven völlig am Ende war. Er sagte ruhig: „Nein, nein, ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen. Ich sehe aber, dass Sie dringend Hilfe brauchen. Haben Sie einen Gewerbeschein?“ „Ich habe eine vorläufige Erlaubnis, dass ich die Wäscherei führen darf. Der Bürgermeister war so freundlich, mir dabei zu helfen.“ „Das ist ja super, dann werden Sie die neuen Maschinen leasen also mieten. Die Raten kann man nämlich von der Steuer absetzen, das ist für Sie günstiger als welche zu kaufen. Mit einerWaschmaschine allein ist es jedoch nicht getan, zweimüssen her und Sie brauchen auch einen großen Trockner und eine neue Mangel.“ Noras Mutter sah den Fremden mit offenem Mund staunend an „Sind Sie etwa Unternehmensberater oder so etwas?“
Nilsson schüttelte den Kopf. Er erzählte ihr von Siegfried Pelz, dem Installateur, den er zusammen mit einem guten Steuerberater im Frühjahr aus der Pleite gerettet hatte und der jetzt wieder Chef einer erfolgreichen Sanitärfirma ist. „Ich erfahre heute Abend, wann Sie die Maschinen bekommen werden und sage Nora morgen Bescheid. Lassen Sie sie in den Ferien bei mir ruhig etwas Spaß haben. Ich meine auf dem Boot, beim Segeln natürlich. Das Mädchen hat Ihnen doch auch das ganze Jahr über geholfen. Und jetzt sind endlich Sommerferien!“ „Ja, aber --- ! Wieso tun Sie das alles, wir sind doch fremde Leute für Sie?“ „Ich hoffe, das wird sich bald ändern. Es ist doch klar, dass Sie jetzt Hilfe brauchen, und ich sehe wirklich keinen Grund, weshalb diese Hilfe nicht von mir kommen sollte. Und ich spreche von Hilfe und nicht von Almosen. Meine Ideen und Verbindungen werden Ihnen nun beim Start behilflich sein. Eines Tages jedoch, werden Sie sehr stolz auf sich selber sein, weil Sie nach diesem Neubeginn wirklich alles andere aus eigener Kraft geschafft haben.“
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