1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Warum sie zum Telefonieren den Campingplatz verlassen und sich eine einsame Parkbank gesucht hatte, konnte sie nicht sagen. Aber irgendwie wollte sie ihren Kai für sich alleine haben, deshalb hatte sie auf Anfragen von Britney auch behauptet, sie wäre Single. Es war absolut unüblich für Hetty zu lügen, aber Britney hatte sich für sie noch nicht zu jemandem entwickelt, mit dem sie engere Gefühlsbeziehungen diskutieren wollte. Und ihre Beziehung zu Kai war kompliziert genug. Da brauchte sie niemanden, der noch seinen Senf dazu gab.
Da Britney keinen Stress mochte, gingen sie die nächsten Tage sehr gemütlich an. Viel zu gemütlich für Hettys Vorstellung, aber was sollte sie machen.
Als erstes Häppchen stand also am folgenden Morgen die Fahrt zum Le Grand Nationalpark an. Die einfache Strecke maß sechzig Kilometer, das war für australische Verhältnisse ein kurzer Hüpfer und nicht weiter erwähnenswert. Die Teerstraße wechselte auf dem letzten Stück von zweispurig auf einspurig und vorsichtiges Weiterfahren war angesagt, denn bei Gegenverkehr musste man auf das Bankett ausweichen und bei dem Gewicht ihres Campers, war das nicht das Ungefährlichste, was man machen konnte. Etwas zu viel Geschwindigkeit und Hetty konnte die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren.
Ihre Beifahrerin hatte erst nur genickt, als sie ihr das erklärt hatte und sich schließlich überwunden einen ganzen Satz hinzuzufügen. »Bei deiner Fahrweise fühle ich mich absolut sicher, man merkt, dass du schon sehr viele Kilometer in diesem Land absolviert hast.«
Hetty freute sich über das unverhoffte Kompliment und dachte sich. »Wird schon!«
Kurz darauf parkten sie neben dem schneeweißen Sandstrand der Bay des Le Grand und stiegen aus, um einen ersten Blick auf die langgezogene Bucht zu werfen, die auf der linken Seite von einem kleinen Berg eingegrenzt wurde. Von hier aus konnte man mit dem Geländewagen kilometerlang in den auslaufenden Meereswellen dahinfahren und es gab genügend Leute die fanden, dies wäre ein angebrachtes Freizeitvergnügen. Hetty fand es mehr als pervers, im klimatisierten Auto zu sitzen und wie blöd durch das Wasser dahin zu brettern. Sie zog einen gemütlichen Spaziergang vor. Die Schuhe in der Hand und die Zehen von den auslaufenden Wellen umspielt. So stellte sie sich Strandleben vor.
Nach einem Kilometer machte Britney schlapp. »Du kannst ruhig noch weitergehen, aber mir wird das zu viel.«
Also händigte ihr Hetty den Schlüssel für den Camper aus und setzte ihren Weg alleine fort. Eine gute Gelegenheit wieder mal an Kai zu denken.
»Das ich nicht lache! Wieder mal! Ha, Ha, Ha! Du denkst doch die ganze Zeit an nichts anderes!« Ihre Sarkasmusabteilung ließ sich nicht von einem überflüssigen Kommentar abhalten.
Doch Hetty sah, statt Sandstrand, nur strahlend blaue Augen und ließ sich in ihrem Denken nicht beeinflussen.
Zurück beim Camper fand sie eine schlafende Britney vor, die erhebende Landschaft um sie herum hinterließ anscheinend keinerlei aufmunternde Wirkung bei ihr, wie Hetty kopfschüttelnd feststellte. Allerdings war sie nun ausgeruht und bereit auch noch den Thistle Rock, einen Felsen, der an eine aufrechtstehende, innen abgeflachte Bohne erinnerte, zu besichtigen.
Hetty hatte bei ihrem ersten Besuch die Tafel mit der Bezeichnung des Felsens schlampig gelesen und mit Twistlerock also „Pfeiffelsen“ übersetzt. Dann hatte sie nachdenklich vor dem Ding gestanden und sich zusammengereimt, dass der wohl, wenn der Wind um ihn herumstrich, irgendwie pfeifen oder heulen würde. Bei nochmaliger Begutachtung des Hinweises entdeckte sie dann, dass ein „Mister Thistle“, also nicht Twistle, einst in grauer Vorzeit hier in dieser Bucht mit seinem Segelschiff angelegt hatte und der Felsen deshalb so hieß. Leicht enttäuscht war sie anschließend von dannen geschlichen – die andere Story hätte ihr besser gefallen.
Die Erzählung ihres Irrtums nahm Britney mit einem höflichen Nicken zur Kenntnis, ohne in das normalerweise übliche Lachen auszubrechen, das diese Geschichte bei anderen Leuten auslöste. Hetty stöhnte innerlich auf – mit der Frau kam sie irgendwie nicht klar. Sie lagen einfach nicht auf der kleinen Wellenlänge.
»Wir befinden uns noch nicht mal auf dem gleichen Planeten.« Da musste sie ihrem Verstand recht geben.
Doch die kurze Fahrt zu der Lucky Bay und der Rotary Bay ließ Britney klaglos über sich ergehen und gab sich interessiert. Beide waren ganz nett anzusehen, nur Hetty hatte wieder mal ihr altes Problem – für sie war nach den ersten ein, zwei Buchten mit dem Entzücken über die fantastische Landschaft Schluss. Es war eben immer das Gleiche: Schneeweißer Sand, dazu grünes – türkises – blaues – dunkelblaues Meer. Die Wellen brachen mit einem knallenden Rauschen an den menschenleeren Strand. Hin und wieder lockerten ein paar runde Überbleibsel ehemaliger Felsen den Anblick auf und wirkten wie schlafende Elefanten oder Seehunde. Wunderschön! Doch wenn man nicht ein absoluter Sandstrandfetischist war, dann wurde das Ganze auf die Dauer etwas langweilig.
Sie brauchte etwas anderes – den genauen Gegensatz. Auf dem Rückweg stoppten sie am Frenchman Peak, einem kleineren Berg, der auf der ganzen Fahrt durch den Le Grand Nationalpark immer wieder ins Blickfeld kam. Er fiel einem vor allem durch seine seltsame Kuppelform auf – in der Mitte des Gipfels war nämlich ein ausgeprägtes Loch zu sehen. Hetty ahnte schon im Voraus, was Britney zu ihrem Vorschlag sagen würde, auf dieses Teil zu klettern.
»Also ehrlich gesagt, ich verfahre nach dem Prinzip „Sport ist Mord“ und da hinauf! Um Gottes Willen! Ich bin nicht schwindelfrei und das ist mir viel zu anstrengend. Aber weißt du was? Ich schlage vor, du kommst morgen nochmal alleine hierher und ich mache dafür einen gemütlichen Bummel auf der Promenade. Da habe ich ein nettes Lokal gesehen, da kann ich mir einen schönen Tag machen. Was hältst du davon?«
Was Hetty davon hielt, am nächsten Tag noch einmal dieselben hundertzwanzig Kilometer zu fahren, behielt sie lieber für sich. Aber es war ihr auch vollkommen bewusst, dass Britney wohl kein Verständnis dafür aufbringen würde, wenn sie jetzt sagte, sie sollte die nächsten drei Stunden hier im Camper auf einem öden Parkplatz auf sie warten. Sie verbiss sich ein genervtes Auflachen – geschlafen hatte sie nun anscheinend genug – jetzt war sie wach und wollte zurück in die Zivilisation. Was für diese Frau bedeutete, eines der Lokale zum schnellen Abendessen aufzusuchen und dann früh ins Bett zu gehen.
Hetty starrte die Decke ihres Campers an und versuchte zu schlafen. Aber da sie nicht ausgelastet war, war sie auch nicht müde. Von was sollte sie denn müde werden? Sie war ein Mensch, der sich ganz gern bewegte und ein Strandspaziergang war ihr einfach zu wenig. Abgesehen davon, dass sie normalerweise nicht vor Mitternacht schlafen ging und jetzt schon um zehn Uhr in den Federn lag. Das musste anders werden!
Also fuhr sie am nächsten Tag alleine in den Nationalpark, stellte ihren Camper beim Parkplatz an dem Berg ab, zog die Wanderschuhe an, schnappte sich ihren kleinen Rucksack, verstaute darin ihre Wasserflasche und ging los. Die Warntafel am Beginn des Tracks machte sie darauf aufmerksam, dass man nicht alleine gehen sollte.
»Wir sind doch immer zu zweit! Für was sind wir persönlichkeitsgespalten?« Ihr Verstand kicherte. Schizo war schizo – da halfen keine Pillen!
Tja, da konnte man nichts machen, sie war halt alleine, aber das war sie oft genug gewesen und wenn man aufpasste, wohin man die Füße setzte, konnte einen gebürtigen Bayern ein australischer Wandertrack nicht sonderlich herausfordern. Den Zusatz, dass man auch noch auf Bienen achten sollte, die wären hier gefährlich, ignorierte sie komplett. Hetty war glücklicherweise keine Bienengiftallergikerin und die Teile würden ja wohl nicht in Schwärmen über sie herfallen, wenn sie ihnen nichts tat. Aber in der Hinsicht waren die Aussies übervorsichtig und zumindest konnte den Tourismusverein dann hinterher keiner verklagen. Die gingen da, wie die Amis, auf Nummer sicher, denn man konnte nie wissen, welche Touristentrottel durch die Gegend liefen.
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