Bernd klärte Herrn Weber auf. Am nächsten Tag war der tägliche Gang zur Post erfolgreich, das Geld war da, aber bereits schon wieder verbraucht. Es wurde Benzin herbeigeschafft, die Hotelrechnung bezahlt, anständig zu Abend gegessen und eine Vereinbarung mit Jugosped getroffen, wonach eine Ausnahme gemacht werden sollte. Bernd durfte Esek mit dem PKW durch Jugoslawien kutschieren, gegen Jugosped Rechnung über siebenhundert Dinar und Jugosped Transport Dokument.
Die österreichische Grenze Wurzenpaß wurde nachmittags erreicht.
“Sie müssen warten, der Amtsveterinär kommt gleich.”
Der Amtsveterinär kam drei Stunden später als es dunkel wurde. Er eilte über den Parkplatz der Grenzstation, hob den Schwanz von Esek, lugte darunter und hatte es eilig.
“Können sie nicht durchkommen, hier.” Sagte er fickrig. “haben sie die Abnahmegenehmigung des bayrischen Freistaats ? Und die Abnahmegenehmigung der Bundesrepublik Deutschland? Nein? Da haben sie aber Pech gehabt.”
“Wird dunkel, muß los. Bin vielbeschäftigt. Sollte gar nicht hier oben in den Bergen sein. Kommen sie morgen wieder, dann untersuche ich das Tier. Kommen sie morgen wieder.” Er entschwand wieder über den
Parkplatz.
“Morgen? Was Morgen. Ich lebe hier nicht. Wann morgen,”rief Bernd ihm wütend nach.
“Morgen, ich bin Morgen wieder hier.” Der Amtsveterinär entschwand mit seinem Auto bergabwärts.
“Hier können sie aber nicht bleiben,”sagte der Grenzbeamte. “Das hier ist Österreich. Hier können sie nur bleiben, wenn sie eingereist sind.”
“Na gut, dann reise ich hiermit ein.”
“Sie können nicht einreisen. Sie haben doch gerade gehört, daß Papiere für ihren Begleiter fehlen.”
“Aber morgen kommt der Amtsveterinär wieder.” Sagte Bernd etwas
hilflos, ”dann kann auch der Begleiter einreisen.”
“Mag sein, aber heute ist der Begleiter noch nicht eingereist. Sie müssen den Begleiter wieder auf die yugoslawische Seite schicken, er darf nicht in Österreich verbleiben, wenn er nicht eingereist ist.”
“Aber der Begleiter hat keinen Reisepaß, die Yugoslawen werden ihn nicht wieder hereinlassen. Nach Yugoslawien.”
“Mag sein, aber hier können sie nicht verweilen. Wenn es sie nach Österreich zieht, müssen sie einreisen und wenn sie eingereist sind, müssen sie uns hier droben verlassen und sich im Tal unten eine Unterkunft suchen. Wir verweigern ihnen aber die Einreise.”
“Sie verweigern mir die Einreise? Ich bin Deutscher.”
“Wir müssen ihnen die Einreise verweigern, weil sie Gepäck zurücklassen, das nicht einreisen kann. Wir dürfen nicht zulassen, daß Teile des Einreisenden zurückgelassen werden.”
Bernd rauchte vor Wut, stieg mit Esek ein, wendete und fuhr wieder auf die yugoslawische Seite zurück. Die Beamten waren kooperativ und machten keine Schwierigkeiten.
Bernd fuhr die Bergstraße herunter, fand einen schmalen Abzweig, der ein paar hundert Meter weit in den pechschwarzen Gebirgswald führte, stellte den Motor ab, machte die Tür weit auf und ließ Esek raus. In einer Minute war er auf dem Fahrersitz eingeschlafen.
Eine Stunde später drückte ihm jemand den Lauf einer Maschinenpistole in den Bauch und hielt ihm eine Taschenlampe vor das Auge. Man sprach deutsch.
“Sie befinden sich hier in der militärischen Sperrzone der Republik Yugoslawien. Das ist ein Strafvergehen. Was betreiben sie hier?”
“Ich werde wohl eingeschlafen sein,” entgegnete Bernd lahm.
“Sie dürfen hier nicht bleiben, sie müssen das Gebiet räumen. Hier wird scharf geschossen,” fügte er drohend an. Sein Kollege, der jetzt sichtbar wurde, nickte bestätigend mit dem Kopf.
“Okay,”sagte Bernd gereizt,”ich geh ja schon. Ich sammle nur meine Familie ein,” und rief Esek in den pechschwarzen Wald hinein. Die beiden Wachen mochten eine Finte vermuten, sie hoben die Mündung ihrer MPs.
“Esek ist mein Esel,”erklärte Bernd vorsorglich,”kleiner Eselhengst.” Esek kam von talwärts hoch, man konnte den einen und anderen Ast knacken hören, stieg wortlos ein und nahm hinten Platz.
Zehn Kilometer weiter talwärts gab es Platz und Ruhe. Morgends wurde in einer Pfütze, es hatte nachts noch geregnet, gewaschen und rasiert; dann fuhren sie wieder bergauf, die Österreichische Grenze zu besuchen.
“Sie müssen warten,” sagte ein anderer Grenzbeamter, ”der Amtsveterinär wird kommen.”
Der Amtsveterinär kam um vierzehn Uhr und war nervös wie tags zuvor.
“Ja, da sind sie ja wieder. Haben sie meine Brille gesehen?,” er fuchtelte mit den Händen in der Luft herum und es schien Bernd, als ob er ihm gleich in die Hosentasche fassen würde, seine Brille zu suchen.
“Brille? Ich habe keine Brille.”
“Meine Brille, haben sie meine Brille gesehen? Sie waren doch gestern
hier, sie müssen doch meine Brille gesehen haben.”
Aber Bernd hatte seine Brille nicht gesehen.
“Was machen wir jetzt mit dem Esel?” Fragte er, die Hektik des Doktors unterbrechend.
„Was können wir schon mit ihrem Esel machen. Ich muß ihn untersuchen. Wegen Viren. Einhufer haben auch Viren. Wir wollen uns keine Viren leisten. Nicht war? Wenn wir nicht müssen.” Er hob sachkundig den Schwanz von Esek hoch und gab sich Mühe, darunter auch ohne Augengläser etwas zu erkennen.
”Die Pest hat er nicht,” stellte er fest, ”aber man kann nie wissen. Das kann man nie wissen. Geben sie mal die Papiere.”
Bernd gab ihm die Papiere aus Edirne, die in türkisch waren und die noch niemand bisher zu lesen vermochte.
“Stempel sehen gut aus,” stellte der Doktor zufrieden fest, ”wird schon stimmen. Kompliziert die Sache aber erheblich. Macht die Sache aussichtslos.”
“Wieso? Das sind doch gute Papiere, die Stempel sind doch hübsch.”
“Sicher, das macht den Esel zu einem türkischen Esel. Wenn sie mir das gestern gesagt hätten, hätte ich mir die Bergfahrt ersparen können.”
“Was ist verkehrt an einem türkischen Esel?”
“Alles. Ein türkischer Einhufer ist ein Einhufer der in das zivilisierte Europa nicht eingeführt werden darf. Weil die Türkei in Asien liegt. Und der Esel somit Asiate ist. Sie hätten sich einen yugoslawischen Esel kaufen sollen. Sie haben ihn doch gekauft?” Er sah Bernd forschend an. ”Ist ihnen der Begriff Maul und Klauenseuche geläufig?”
“Und nun?”
“Nun haben sie sich etwas ans Bein gebunden. Ich darf ihnen noch nicht einmal erlauben ihn hier an Ort und Stelle zu schlachten. Weil er nicht eingereist ist.”
“Schlachten? Was reden sie da. Schlachten? Eher lasse ich mir den linken Arm bis zur Biege amputieren. Ich gäbe den Blattern den Vorzug. Esek ist Familienmitglied, Kumpel.” Bernd war wütend geworden und machte einen Schritt auf den Doktor zu.
“Ja, ja, schon gut, war nur so eine Idee. Wollte ihnen nur einen Weg aufzeigen die unausbleiblichen Konsequenzen zu vermeiden.”
“Wie werden die Konsequenzen aussehen?” Fragte Bernd, Hoffnung schöpfend.
“Schauderhaft, wenn sie Pessimist sind.”
“Werden sie sie mir in optimistischem Umriß schildern?”
“Freilich. Der Esel muß in einer yugoslawischen Universität, Abteilung Veterinärwesen, in eine Quarantäne. Vier Monate lang. Kriegt er in der Zeit keine Pickel oder sonst was, müssen sie mit den dann auszustellenden Papieren die Abnahmeverpflichtung des bayrischen Agrarministeriums beantragen. Parallel dazu müssen sie mit einer Kopie die Abnahmegenehmigung des Agraministers der Bundesrepublik Deutschland einleiten. Sie wollen doch sicherlich einen jungen Esel. Nicht wahr? Zu hause, wenn es so weit geworden sein sollte.”
“Allerhand. Meinen sie das im Ernst?”
“Toternst. Wie das mit Berlin ist, weiß ich nicht. Da müssen sie ja durch die Ostzone. Keine Ahnung was den Russen an Schikane einfallen wird. Die sind ja nicht gerade bekannt für humoristische Anwandlungen.”
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