“Und wenn der ihn schüttelt?” “Die Sardine?” “Den Mantel. Wenn er ihn auszieht und ihn schüttelt? Dann fallen wir runter.” “Wir können nicht runterfallen wenn er den Mantel schüttelt, wir kleben auf der Erde. Also können wir nicht runterfallen.” “Aber die Erde fällt runter.” “Mag sein, aber was juckt uns das. Dann sind wir längst wieder zu Staub geworden.” “Und wenn er den Mantel jetzt auszieht und in den Müllcontainer wirft? Was dann?”
“Dann passiert bei uns auf der Erde garnichts.” “Wieso?” “Weil das nicht unsere Zeit ist. Der mit dem Mantel hat seine eigene Zeit. Was für den eine Sekunde ist, ist für uns ein Jahr mit mehr Nullen als wir uns vorstellen oder aufzählen könnten. Die Kakerlaken. Die Kakerlaken werden erleben wenn er den Mantel auszieht weil Sommer geworden ist. Die Kakerlaken werden so lange durchhalten. Die sind intelligent.” “Laß mich mit solchem Scheiß zufrieden. Das ist krank.”
Sie waren angekommen. Sie standen als letzte hinter einer Reihe aus LKW, deren Spitze trotz des Bogens, den die Strasse zur Grenze hin machte, nicht erkennbar war.
“Das müssen hunderte sein ,”staunte Köwenick, ”tausende.” Sie stiegen aus und Bernd fragte einen der Fahrer, die neben der Fahrbahn etwas köchelten. “Was sagt er? Fragte Köwenick.
“Er sagt es dauert ungefähr drei Tage um bis zum Zoll zu kommen. Er sagt, wir könnten es in der Senke versuchen, aber das wäre tödlich.” Bernd zeigte auf die gelbe Wolke die links der Strasse zum Himmel wallte. Die Strasse befand sich auf einem erhöhten Damm, von dem sie einen guten Überblick über die Senke hatten, die als gelbe flache Scheibe zu erkennen war, als sich der Staub legte, weil da unten der Verkehr einschlief. Und kein LKW von rechts, der persischen Grenze nach links, türkischem Territorium preschte. Die Senke war so etwas wie eine Einbahnstrasse mit zweihundert Metern Breite.
“Hier können wir nicht bleiben,” grübelte Bernd laut, hier verhungern wir. Und verdursten.”
“Und wie willst du an die Senke herankommen? Den Hang runter? Über das Gelände? Mit diesem Gefährt?”
“Hast du eine bessere Idee?”
Sie setzten einige hundert Meter zurück und suchten eine passable Stelle, den Straßnhang hinunterzurutschen. “Wenn wir stecken bleiben, dann was?” Fragte Köwenick besorgt.
“Hast du eine bessere Idee?“ fragte Bernd. “Dann werden wir zu Fuß
weitermachen müssen. Per Anhalter. Indien kann nur noch viertausend Kilometer entfernt sein. In der Richtung.”
Sie schlitterten den Hang hinab und fanden tragfähigen Grund, den Rand der Senke zu erreichen, wo sie auf einer weiteren Böschung außerhalb des Staubs strategischen Halt einlegten um den folgenden Weg zu erkunden und zu beobachten.
“An der Böschung werden wir auch runterkommen. Bergab gehts wohl, wenn die Kiste nicht umkippt. Aber sieh dir das an. Was ist das.”
“Keine Ahnung. Könnte vielleicht Salpeter oder so was sein. Laß uns runtergehen. Hier sind wir sicher, die LKW nehmen alle die Rampe links.”
Die Senke erwies sich als ein Staubbecken, in dem man bis zu den Knöcheln versank, und der so fein und gelb war, daß man allenfalls fünf Meter weit sehen konnte und zu ersticken drohte. Aber unter dem Staub war betonharter Boden. Die LKW fuhren alle mit Vollgas und ohne jegliche Sicht. Sie fuhren im Breitkeil. Einfach durch, ohne irgendeine erkennbare Ordnung. Nur die Richtung hatte zu stimmen um die Rampe zu erreichen.
“Wenn wir da liegen bleiben sind wir tot.” sagte Bernd. “Da würde man uns noch nicht einmal finden. Die würden uns zermalen.”
“Das,” sagte Köwenick, ”das ist Wahnsinn. Das ist tödlich. Und dann noch gegen den Strom. Die fahren uns platt. Da kommen wir nie durch.”
“Kommen wir den Hang wieder hoch, zu warten bis wir verhungert und verdurstet sind?”
“Wir könnten zu Fuß an den LKW auf der Strasse entlang zum Grenzkontrollpunkt gehen,” schlug Köwenick, der praktisch veranlagt war, vernünftigerweise vor. “Können doch nur ein paar Kilometer sein.”
“Wir setzen uns hier hin und beobachten das Treiben,” entgegnete Bernd, ”vielleicht läßt der Verkehr abends nach und schläft nachts ein. Vielleicht erkennen wir eine Art Muster.”
Als es Abend geworden war, hatte sich nichts wesentlich verändert. Immer wieder kamen zwei, drei Lastwagen aus der Staubglocke herausgebraust und suchten den rettenden Hang über die Rampe zu erreichen, alles erneut aufwirbelnd. Sie fuhren stets nebeneinander, in willkürlichen Abständen.
“Das ist wie auf der Autobahn als Geisterfahrer,”stellte Köwenick fest und fuhr fort,” ohne jegliche Sicht. Im dichtesten Nebel den man sich vorstellen kann. Mit vollen Sachen um nicht stecken zubleiben”
Schließlich legte sich der Rummel und der Dunst und sie beschlossen es jetzt oder nie zu wagen. Bernd setzte sich ans Steuer. Langsam den Hang runter, dann Vollgas, in den zweiten Gang schalten, los. Sie kamen gut weg und tauchten in die Glocke ein. Der Staub war nur oben gesunken, hier unten schwappte er immer noch über das Dach des PKW. Sicht ungefähr fünf Meter, die Scheinwerfer, es war mittlerweile Nacht eingefallen, blendeten zusätzlich, im zweiten Gang mit Vollgas und etwa vierzig Sachen teils schlitternd, teils vorschießend wenn die Räder wieder Halt fanden.
“Rechts, rechts,” brüllte Köwenick gegen den Lärm, ”rechts.” Bernd
hatte ihn gerade gesehen, den in irrem Tempo links vorbeihuschenden schwarzen Riesen. “Knapp, knapp,” keuchte er, “das waren fünf Meter.” “Wie ein Panzer.” “Gas, gib Gas,” Der Wagen schlitterte und verlor Fahrt. Wenn sie hier aussteigen mußten, wohin sollten sie rennen? Nach etwa zwei Minuten Fahrt erreichten sie die persische Böschung, die flacher war.
“Das mach ich nicht noch mal,” keuchte Köwenick. “Das war eine lange Zeit.”
Sie verbrachten die Nacht mit Formalitäten in dem persischen Checkpoint und fuhren bei Morgengrauen weiter, Richtung Täbris. Auf dem Grenzposten gab es keine Telefongelegenheit. Täbris war rasch erreicht und auf geradem Wege durchfahren. “Telefonierst du halt in Teheran. Die werden Telefon haben.” Die Landschaft war flach, Acker mit irgendwas, und langweilig.
“Wenn der nun den Mantel in die Reinigung gibt?” Bernd wendete sich grinsend zu Köwenick, aber der schlief.
Sie übernachteten neben dem Auto bei einem Bauerngehöft, bekamen etwas zu essen und duschten am nächsten Morgen mit dem eiskalten Wasser des Brunnens.
Nachmittags waren sie mitten in Teheran. “Halt an,” meinte Köwenick, ”entweder suchen wir jetzt den Flugplatz, damit ich telefonieren kann, oder ich steig aus und flieg nach Berlin zurück.”
Bernd hielt am Straßenrand eines kleinen Platzes und Köwenick stieg aus, nahm einen Teil seiner Sachen und stellte sich auf, ein Taxi zu erwarten. Bernd fuhr davon und suchte das Schild und die Straße nach Mashad.
Auf der Strasse nach Mashad, solange sie noch gebirgig war, lagen unten an den Hängen überall ausgebrannte oder ausgeschlachtete, total verrostete PKW Corsos. Aber massenweise.
An Kapital war noch eine Barschaft von vierhundert Mark vorhanden, die man teils in Dollar und einheimische Währung tauschen mußte. Nicht genug um nach Indien und zurück zu kommen. Der Köwenick Teil fehlte.
An der nächsten Tankstelle tauschte Bernd somit die von Köwenick zurückgelassenen Klamotten gegen Benzin und füllte den Tank und alle fünf Kanister. Damit kam man locker tausend Kilometer weiter.
Die Straße Mashad, Grenze Afghanistan, acht Jahre zuvor die erbärmlichste Piste, die Bernd jemals befahren hatte, erwies sich als ein schnurgerades Band aus sauber gewalztem Asphalt. Für diese zweihundert Kilometer seinerzeitigem Waschbrett hatte Bernd damals, von Afghanistan kommend, einen ganzen Tag gebraucht und den verbeulten VW Bus, mit nepalesischem Nummernschild, den Bernd in Kabul erworben hatte, beinahe verschrotten müssen. Nahezu alles was abbrechen konnte, war auch abgebrochen. Nur Draht hielt die Kiste noch zusammen.
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