An der Grenze Afghanistan / Herat erinnerte man ihn daran, daß er ein Visa benötigte. Das hatte er völlig vergessen. Also fuhr er zurück und
suchte in Mashad das afghanische Konsulat auf, drehte jedoch auf der Treppe um und trat die Rückfahrt nach Berlin über die Küste des Kaspischen Meeres und Rhezaie an. In einem Wald an der aserbaidschanischen Grenze verweilte er sechsunddreißig Stunden und fuhr dann neben dem Salzsee Rhezaie in die Türkei, um einen Tee in dem ersten Dorf, das zwei Kilometer abseits der Strasse linkerhand zu erkennen war, zu sich zu nehmen.
Die Dorfstraße war leer, niemand zu sehen. Nichts was auf eine Wirtschaft irgendeiner Art hinwies. Er fuhr durch das Dorf, wendete und fuhr wieder zurück. Die Dorfstraße wimmelte jetzt jedoch mit circa fünfzig Männern, die ihm die Durchfahrt versperrten und aus dem Auto zerrten, ihn so richtig auf der Piste zu verprügeln. Oder was auch immer. Ein Mann hatte ein zerschlissenes Jackett mit Löchern an und schien den Häuptling abzugeben.
Er radebrechte etwas englisch, erfuhr daß Bernd Deutscher war, fragte, was er hier trieb und dann führten sie ihn alle in eine Stube, in die sie sich alle hineinzuquetschen begannen und spendierten ihm einen schmackhaften Chai mit Zucker. Als Bernd dreist einen zweiten Tee zu haben wünschte, zerrten sie ihn wieder auf die Straße, stopften ihn in sein Auto und traten dagegen, ihn zu ermuntern, die Flucht zu ergreifen, solange Fortuna noch gnädig gestimmt war.
Es ging entlang des Tigris, oder war es der Euphrat, immer bergauf, bis auf Paßhöhe 2300 Meter auf einer Schotterstrasse bar jeglichen Verkehrs. Weit vor ihm wirbelte ein Pickup seine Staubfahne hoch. Immer im gleichen Abstand. Fuhr er langsamer, fuhr der langsamer, fuhr er schneller, fuhr der schneller. stieg er aus, wartete der andere. So ging es bis in die Nacht hinein, in der er Hakkari, das Räubernest im Gebirge, erreichte und dort nächtigte.
Tags darauf blieb er bei einbrechender Dunkelheit irgendwo zwischen Hakkari und Dijarbakir nach der Durchquerung eines Dorfes vor diesem liegen. Verteilerschaden.
Das Dorf wurde nachts durchgehend von Scheinwerfern grell erleuchtet, schräg voraus, in den Bergen, saß jemand mit einem MG und feuerte die ganze Nacht hindurch immer mal wieder ein paar Schüsse auf das Dorf. Nach Mitternacht war Motorengeräusch zu vernehmen und ein LKW ohne Licht kroch die Piste heran. Es waren an die zwanzig Mann türkische Soldaten an Bord, von denen einer fließend deutsch sprach und anbot, Bernds Auto gemeinsam auf den LKW zu wuchten und ins Dorf zu fahren, wo es sicherer sein würde. Da Bernd kein Geld mehr hatte, ließ man von der guten Absicht ab, saß auf und verschwand im Dorf, auf das wieder eine Salve abgefeuert wurde.
Irgendwo im Raum Dijarbakir erreichte Bernd, nach Reparatur und Neueinstellung des Verteilers, eine Kolonne, die stand und sich nicht bewegte. Sie stand vor einer Brücke, die über einen Bach führte und die zusammengebrochen war. Links konnte man von dem Damm, auf dem die Straße verlief, herunterfahren, den seichten Bach durchqueren und auf der anderen Seite erneut den Damm erklimmen und die Strasse erreichen.
Mit reichlich Gas überwand Bernd auch dieses Hindernis, um auf der anderen Seite feststellen zu müssen, daß er sich ein Loch in die Ölwanne geschlagen hatte. Das nächste Dorf konnte noch erreicht werden.
An der Reparaturwerkstatt des Dorfes stand ein PKW mit Kennzeichen aus Köln.
“Ah, Besuch aus Berlin,” meinte der Türke, der aus der Werkstatt kam, in fließendem deutsch ”ich bin Gastarbeiter und bin gerade angekommen, meine Familie zu besuchen.”
Die Ölwanne wurde abgeschraubt und fachmännisch geschweißt, während der Türke und Bernd vor der Werkstatt ein paar Bier tranken. “Ich hab eine Kiste Bier im Kofferraum. Aus Köln.” Hatte er gesagt. Die Reparatur war billig, aber Deutschland war absehbar nur noch zu erreichen, wenn der Rest der Barschaft ausschließlich in Benzin versenkt werden würde. Die Nahrung mußte hinfort dem Lande entnommen werden.
“Komm mit, zu mir nach hause,” sagte der Türke, ”meine Familie wohnt in einem kleinen Dorf nicht weit von hier.”
Sie fuhren über Pisten und Sandwege, überquerten einen Bach mit reißenden Fluten auf einer wackligen Holzbrücke und hielten auf einer unbefestigten Dorfstraße vor einem Haus. Es hatte letzte Nacht ein Unwetter gegeben und alles stand unter Wasser und war schlammig. Der Türke wurde eher etwas reserviert empfangen und auch von Bernds Eintreffen schien niemand so recht begeistert. Dennoch wurde Speis und Trank gereicht und alsbald war es dunkel geworden, mithin Zeit für den Abschied.
“Habt ihr hier diese kleinen roten, zottigen Bergzeigen?” Fragte Bernd den Türken. Diese Ziegen hatte Bernd auf der Hinfahrt im Osten der Türkei überall an den Hängen gesehen. “Willst du eine haben? Ich frag mal.” Ziegen waren nicht zu haben, jedoch hatte ein Bauer in der Nachbarschaft einen Jungesel, für den er umgerechnet etwa fünf Mark haben wollte.
Der kleine Esel wurde verschnürt, die Beine wurden ihm zusammengebunden, und er wurde auf der Rückbank des Ford abgelegt, nach Deutschland gefahren zu werden.
Bernd verabschiedete sich und setzte die Heimfahrt fort. Die wacklige Holzbrücke war eingestürzt, ein Mann wies auf einen Weg, der zu einer zweiten Holzbrücke führen würde.
Die Brücke stand, sah aber wenig vertrauensvoll aus, Bernd befreite den Esel von seinen Fesseln und fuhr langsam über das schwankende Konstrukt.
Über Dijarbakir, Mardin, Gasiantep, Konia, Kytahia, Balikesir ging es nach Tschanakkale, wo übergesetzt wurde, um endlich die griechische Grenze zu erreichen. Tags grasten sie, wo immer es Gelegenheit gab. Ansonsten wurde stets am Verteiler herumgeschraubt und aufs Gas getreten. Esek, so nannte Bernd den Esel, war rasch zahm geworden und lief überall frei im Gelände herum, um nach Anruf zurück zum Auto zu kommen. Die Rückbank hatte Bernd herausgenommen und in den Büschen liegen gelassen um mehr Platz zu schaffen. So stand Esek
hinten und sah interessiert in Fahrtrichtung, gelegentlich, aber stets nur während Überholmanövern, Bernd herzhaft in die rechte Schulter zu beißen. Während dieser paar Tage waren sie ein verschworenens Team geworden, mit gegenseitiger Achtung und untrennbar.
Die griechische Grenze wurde mitten in der Nacht erreicht. Auf der türkischen Seite waren Panzer aufgefahren, die unbeleuchtet in der Finsternis ein Hindernis darstellten.
Die Griechen waren hocherfreut über den Esel und machten Anstalten, ihn hinwegzuzerren und zu schlachten. Bernd bewaffnete sich mit der Brechstange aus dem Kofferraum und überzeugte die Zollbeamten nachdrücklich, daß er den Esel nicht aufzugeben beabsichtigte. Weiter ging es nach Thessaloniki, von wo nach der Karte die Straße nach Yugoslawien abging. In Thessaloniki, einen Tag später, übernachteten sie am Rande eines städtischen Parks im Auto.
Am nächsten Morgen ging es, nach kurzem Weidehalt am Wegesrand, auf einer neuen Straße direkt zur Grenze, die nur wenige Kilometer entfernt war. Hier wurde Bernd bedeutet, daß ohne Paß mit Lichtbild kein Esel über die Grenze kommen könne. Wieder in Thessaloniki besuchte Bernd die Deutsche Botschaft und erfuhr, daß der Esel zu einem Problem werden würde. Amtliche Unterstützung wurde angeboten und ein Professor an der Universität angerufen, mit dem sich Bernd später traf.
“Esel,” sagte der Professor, ”stehen in Griechenland auf der Liste der schützenswerten Tiere und dürfen nicht von griechischem Territorium exportiert werden.”
“Dieser Esel ist kein Grieche, sondern ein Türke. Ich hab ihn vorgestern von der Türkei nach Griechenland hereingeholt. Importiert. Grenze bei Xanthe. Als Transit kann er ja wohl wieder ausreisen. Dazu benötige ich einen Paß mit Lichtbild für die Jugoslawen.”
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