Er nickte Markus zu, der das Ergebnis wiederholte. Die Männer schüttelten ungläubig die Köpfe.
»Was machen wir jetzt?«, fragte von Gaisberg.
»Das, was wir die ganze Zeit schon machen. Wir beobachten, wir sorgen für Ruhe und Sicherheit. Aber wir müssen einiges ändern. Ich will, dass niemand mehr alleine in die Stadt geht. Patrouillen sind immer zu dritt zu gehen. Volle Bewaffnung! Jeder achtet auf seine Kameraden. Bordell- und Wirtschaftsbesuche sind vorläufig gestrichen. Die Messen werden von allen besucht, ebenfalls bewaffnet.« Astheimer wollte etwas sagen, aber von Waldow schnitt ihm das Wort ab. »Ich weiß, Waffen in der Kirche. Aber das ist eine Ausnahmesituation und ich hoffe, dass wir das nur für eine kurze Zeit machen müssen. Ich will nicht unvorbereitet sein, falls dieser Rothmann die Massen aufwiegelt.«
Er entließ die Männer und sah Markus an.
»Markus, du bist jetzt schon viele Jahre bei uns. Auch, wenn du eine Weile, nun ja, dich nicht mehr zu uns zugehörig gefühlt hast, so bist du doch wieder der, den ich in dir immer gesehen habe. Darum werde ich morgen früh verkünden, dass du ab sofort mein Vertreter bist.«
Markus fiel die Kinnlade nach unten.
»Hauptmann … wieso … ich meine, sollte nicht eher von Gaisberg …?«
»Es war seine Idee. Er meinte, er wäre zu alt für den Posten. Du bist jung, du bist gescheit. Und«, er sah ihn lange an, »du hast es dir verdient.«
In der Tat hatte Markus in den letzten Monaten mehr als eifrig seinen Dienst versehen. Er hatte die Wachpläne ausgearbeitet, die Männer eingeteilt und dafür gesorgt, dass immer genug Proviant vorhanden war. Außerdem war er ruhig, besonnen und gerecht, und die Soldaten mochten ihn und vertrauten seiner Führung.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Sag nichts. Ich möchte, dass du die Patrouillen zusammenstellst und für Disziplin sorgst. Ich weiß, dass die Männer murren werden, weil sie nicht mehr ins Wirtshaus und ins Bordell dürfen. Vielleicht fällt dir eine Lösung ein?«
Von Waldow grinste. Er wusste, dass Markus sehr gute Kontakte in der Stadt hatte. Nicht nur in den Wirtshäusern war er gern gesehen, auch bei den Huren war er ein willkommener Gast. Es hatte bisher nie größeren Ärger wegen der Soldaten gegeben, dafür waren ihm alle dankbar.
»Ich werde sehen, was ich organisieren kann«, lächelte Markus zurück.
Dann verließ er das Zelt, um die neuen Pläne auszuarbeiten und den Männern die schlechten Neuigkeiten mitzuteilen. Welch ein gelungener Auftakt seiner neuen Position!
Zweiter Teil
Vor den Toren Münsters, August 1533
Es war brütend heiß. Die Sonne brannte unbarmherzig auf die Erde und die Männer, die in ihren stickigen Zelten saßen, nieder. In Anbetracht der großen Hitze hatte Hauptmann von Waldow alle Tätigkeiten auf ein absolutes Minimum reduziert.
Er trat aus seinem Zelt, sah sich um. Die Hitze ließ die Luft flirren. Seine Soldaten waren ausgelaugt. Die ständige Anspannung machte sich bemerkbar. Seit im März der gesamte Stadtrat von Münster evangelisch geworden war und man Rothmann mit der Ausarbeitung einer neuen Gottesdienstordnung beauftragt hatte, waren sie in ständiger Alarmbereitschaft. Als Rothmann die Erwachsenentaufe einführen wollte, war es zu Streitigkeiten gekommen, in dessen Verlauf sich die evangelische Gemeinde gespalten hatte und alle Kirchen geschlossen worden waren. Die Bevölkerung war jedoch auf der Seite Rothmanns.
Im Moment herrschte wieder Ruhe in der Stadt. Es war ein wackeliger Frieden, das war von Waldow klar. Es genügte ein einziger Funke, um einen Flächenbrand zu entzünden, in dessen Zentrum er mit seinen Männern stehen würde. Dazu kam die unerträgliche Hitze, welche die Menschen in der Nacht nicht schlafen und zunehmend aggressiver werden ließ.
Von Waldow hatte seine Männer daher beauftragt, nur Präsenz zu zeigen, sich aber nach Möglichkeit aus allen Streitereien herauszuhalten. Er hielt eine Hand hoch und beschattete seine Augen, die den Himmel nach Wolken absuchten.
»Nichts«, murmelte er, »keine Wolke. Kein Regen. Ein weiterer Tag in der Hölle. Wir werden bei lebendigem Leib gebraten.«
»Und es wird noch schlimmer, Hauptmann«, drang eine Stimme von rechts in sein Ohr.
Er drehte sich um.
»Markus! Was hast du zum allgemeinen Elend heute beizutragen?«
»Es gibt Gerüchte, Hauptmann.«
»Und was sagen sie?«, brummte der Hauptmann.
»Es ist jemand gekommen.«
»Markus, bitte, ich habe heute keine Lust auf Ratespiele. Mein Hirn ist weichgekocht.«
»Ja. Es ist …«, er stockte, dann fuhr er leise fort. »Auf der anderen Seite der Stadt wurde ein Wagen gesehen.«
Der Hauptmann ahnte, was kommen würde.
»Sag mir bitte, dass ich mich irre, aber es ist unser alter Freund, oder?«
»Ja. Von Ravensburg ist mit seinen Leuten angekommen. Ihr wisst, was das bedeutet?«
»Dass wir jetzt richtig in der Scheiße sitzen! Auf der einen Seite der Konflikt in der Stadt, dann dieser Anabaptist und jetzt der Inquisitor! Das riecht gewaltig nach Ärger.«
Markus nickte. Seit Schmalkalden hatten sich ihre Wege nicht mehr gekreuzt. Man hörte zwar immer wieder von den Prozessen des von Ravensburg, aber er schien lange nicht mehr so schlimm zu wüten, wie es seinerzeit in Rothenburg geschehen war.
»Ich hoffe, dass wir nicht zwischen alle Fronten geraten«, sinnierte der junge Mann, als er plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme hörte.
»HALT! HOL MICH DER TEUFEL!! WENN DAS NICHT MEIN FREUND MARKUS IST!«
Dieser drehte sich langsam um, als wenn er Angst hätte, in das Antlitz des Teufels zu sehen. Doch stattdessen blickte er in das grinsende Gesicht von Silvanus.
»Oh mein Gott!«, entfuhr es von Waldow, der bereute, am heutigen Tag aufgestanden zu sein. »Ihr fehlt uns noch zu unserem Unglück.«
»Hauptmann! Ich freue mich auch, Euch wohlbehalten zu sehen.«
»Was zum Kuckuck wollt Ihr hier?«
»Wir sind Fahrensleute, Gaukler, Komödianten. Wir sind überall, wo es etwas zu verdienen gibt.«
Markus sah sich indes hoffnungsvoll um. Etwas entfernt entdeckte er die Wagen der Truppe und auch einige bekannte Gestalten, aber Annas unübersehbarer Rotschopf war nicht dabei. Er griff Silvanus an die Schulter, ein unruhiges Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus.
»Wo … wo ist Anna?«
Das Grinsen Silvanus’ reichte nun bis fast zu seinen Ohren, und er zwirbelte den schwarzen Schnurrbart, der seit ihrer letzten Begegnung deutlich gewachsen war.
»Schau dich um in unseren Wagen der Wunder! Sicher wird auch für dich etwas dabei sein!«
W
Im Wagen war die Luft wie zum Schneiden, die Temperaturen standen einer Sauna in nichts nach, aber die kleine Gruppe im Inneren wagte es nicht, die Fenster zu öffnen.
Anna starrte konzentriert auf das kleine Feuer, das in einer Keramikschale unter dem gusseisernen Töpfchen brannte, und zählte leise vor sich hin. Der Mohnsaft, den sie herzustellen versuchte, durfte nicht zu lange kochen, sonst war er verdorben.
Tariq der Sarazene beobachtete sie zufrieden und ein wenig amüsiert.
»Du wirst sehen, bald weißt du instinktiv, wann du ihn von der Flamme nehmen musst.«
Anna wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Im Augenblick habe ich das Gefühl, dass ich es nie lernen werde!«
Elisabeth sah kurz zu ihr hinüber.
»Das wirst du. Wahrscheinlich schneller als wir alle zusammen. Du hast ein helles Köpfchen und einen Ehrgeiz, von dem ich nur träumen kann.«
Anna warf der Hebamme einen dankbaren Blick zu. Das Haar der älteren Frau war mittlerweile fast völlig ergraut. Seit ihre Tochter in Ravensburg bei der Hexenprobe umgekommen war, hatte sie sich nicht nur äußerlich verändert, was die Haarfarbe mehr als deutlich zeigte. Sie misstraute jedem und war ständig auf der Hut, was sich auch jetzt wieder darin zeigte, dass sie aus dem Fenster spähte und mit Argusaugen die Umgebung beobachtete.
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