Auf dem Weg himmelwärts hatte die Knarre beträchtlichen Schaden angerichtet: Ein am Straßenrand geparkter grüner Renault Espace mit einem großen Aufkleber „Leah & Torben on Board“ am Heck sah aus, als sei der Van amerikanischen Söldnern in einer miesen Ecke Bagdads im Dunklen begegnet. Ein paar Häuser weiter die Straße hinunter regnete es immer noch Solardach-Fragmente.
Wie zur Bekräftigung ließ der Kurier im Audi langsam die Hände sinken, legte sein Kinn auf die Brust, als wolle er ein kurzes Nickerchen halten, kippte weiter nach vorn und blieb schließlich mit der Stirn auf der Hupe seines Wagens liegen.
„Tja, den hast du sauber weggepustet, Django!“, sagte Fila-Frank genüßlich. „Möchtest du hier noch ein bißchen herumhängen und an der Mündung deines verfickten Colts schnuppern, oder könntest du deinen symbiotischen Nexus, deinen schwarzen Arsch, jetzt endlich mal in die Gänge kriegen?“
Ein kleiner Bub, vielleicht drei Jahre alt, der in einem nahen Vorgarten gemeinsam mit seinem Schwesterchen im Sandkasten spielte, nahm jauchzend sein Schäufelchen, legte es wie ein Gewehr an und zielte mit dem Plastik-Schaufelblatt auf JoJo: „Babababa! Bababababa!“
„Wahrscheinlich gehört der Renault Espace seiner Mami!“, dachte Fila-Frank zynisch.
Immer noch völlig verstört rannte JoJo zu dem Audi hin. Wo waren die verfickten Einschußlöcher? Der Audi müßte doch eigentlich völlig durchsiebt sein, bei so einer vollen Salve auf kurze Distanz, aber JoJo sah keinerlei Einschußlöcher. Außerdem, wie konnte es sein, daß es den Kurier erwischt hatte, obwohl kein Loch in der Frontscheibe war?
Daß er den Kurier getroffen hatte, daran konnte es jedoch keinen Zweifel geben. Als JoJo die Fahrertür aufriß, reagierte der Kurier überhaupt nicht; er lag immer noch mit der Stirn auf der Hupe. JoJo packte den Kurier an den Schultern, richtete ihn auf, versuchte ihn wachzurütteln, gab ihm ein paar Ohrfeigen: nichts, keine Reaktion.
JoJo lehnte sich vor, öffnete den Sicherheitsgurt und zerrte den Kurier auf die Straße. Der Körper des Kuriers war so schlaff wie eine Marionette mit gekappten Fäden, totes Gewicht wie ein Sandsack.
JoJo hielt den Kurier unter den Achseln fest, Fila-Frank hob seine Beine an; gemeinsam bugsierten sie den Leblosen in den Fußraum des Fonds. JoJo warf ihm die nutzlose, leergefeuerte Kalaschnikow in den Fonds hinterher, setzte sich in den Fahrersitz und raste mit Vollgas aus dieser verdammten Spießerstraße, deren Bewohner zweifellos längst die Polizei gerufen hatten.
An der Einmündung zur Straße wartete bereits Big Tam in dem Ford Focus. Big Tam mußte die Schüsse gehört haben, wunderte sich bestimmt, was da abgelaufen war, aber jetzt war keine Zeit für Erklärungen.
JoJo nahm die Kurve wie ein Rallye-Champion, mußte dabei eine volle Lenkradumdrehung gegenlenken, riß sich unmittelbar darauf die Sturmhaube vom Kopf und verfolgte im Rückspiegel, wie Big Tam ebenfalls beschleunigte.
Ungefähr eine Minute später bemerkte Fila-Frank, der mit der Kalaschnikow auf dem Schoß im Fonds des Audi kauerte, seine Füße auf dem Oberkörper des Kuriers wie auf einer Fußbank abgestützt, trocken: „JoJo, der Typ ist abgekratzt.“
JoJo wollte es nicht wahrhaben: „Ja, aber … Wie denn? Warum denn? Hast du Blut gesehen? Ich habe kein Blut gesehen. Da müßte doch überall Blut sein, wenn der eine Kugel gefangen hat. So eine Scheiße aber auch! Wo ist er denn getroffen?“
„Der ist überhaupt nicht getroffen, soweit ich das überblicken kann. Sieht eher so aus, als sei er vor lauter Schreck tot umgefallen. Oder er ist an Altersschwäche gestorben, was weiß ich. Jedenfalls ist er tot.“
„Bist du sicher, daß er tot ist? Ganz, ganz sicher?“
Zur Antwort nahm Frank sein Feuerzeug aus der Tasche, zog Urs’ Kopf an den Haaren hoch und schwenkte die Flamme vor dessen Augen hin und her. „Meine Zeit als Consultant Spezialarzt in der Harley Street ist zwar schon eine Weile her, aber, ja, ich bin mir tatsächlich sicher, daß jemand ohne Puls und ohne verfickten Pupillenreflex die Schwarze Essensmarke gezogen hat. Außerdem, riechst du das nicht?“ Er fächelte mit der flachen Hand Luft in JoJos Richtung. „Der hat sich eingeschissen. Ist mir vorhin schon direkt aufgefallen.“ Er fügte bösartig hinzu: „Bei deinen Körperpflegegewohnheiten kriegst du so was natürlich nicht mit.“
„Na ja, wenn ich ihn nicht getroffen habe, dann habe ich ihn auch nicht auf dem Gewissen“, sagte JoJo erleichtert.
„Auf dem Gewissen? Seit wann interessierst du dich denn für so was? Warst du wieder an den Frauenzeitschriften, entdeckst du gerade deine weibliche Seite, oder was?“
„Nee, Frank, ich meine nur, rein juristisch gesehen, falls das hier irgendwie schiefgehen sollte. Wenn ich ihn nicht getroffen habe, kann es auch kein Raubmord gewesen sein. Ist doch logisch, oder?“
Fila-Frank schüttelte den Kopf, amüsiert ob soviel Naivität, und lachte: „Guck mal in den verfickten Spiegel, JoJo, und sag mir, was du siehst. Ich helfe dir: einen Nigger. Und weißt du, was der weiße Richter sieht, wenn du vor ihm stehst? Lebenslänglich, mit besonderer Schwere der Schuld. Mann, du bist schwarz, darum war es Mord, heimtückischer Mord! Als ob ich das ausgerechnet dir noch groß erklären müßte! Also, sorge du lieber mal dafür, daß hier nichts schiefgeht.“
Insgeheim hoffte Fila-Frank, daß er irgendwo ganz, ganz weit weg sein würde, wenn bei JoJo endlich der Groschen fiel, daß er, Frank, sich vorhin geirrt hatte: Die verdammte Kalaschnikow schaltete direkt mit dem ersten Klick des Sicherungshebels auf Dauerfeuer.
Nach rund zwanzig Minuten zielloser Fahrt durch die Wälder des Hochtaunus erspähte JoJo schließlich an der Einmündung eines Forstwegs ein Schild, das auf einen Parkplatz für Wanderer hinwies. JoJo blinkte, bog ab und tastete sich langsam in den Forstweg hinein. Der Parkplatz war leer und ideal für ihre Zwecke.
Er fuhr auf den Parkplatz und stellte den Audi fein säuberlich in einer der Parkbuchten ab, die es diese arschgefickten anal-retentiven Krauts selbst in dieser Einöde zu markieren für erforderlich gehalten hatten.
Dann ging alles ziemlich schnell. Nach dem Austausch einiger gutgelaunter Frotzeleien mit Big Tam – „Hey, ihr Jungs solltet nur den Kurier überfallen, nicht dem ganzen verdammten Volk der Krauts den Krieg erklären!“ – „Was ist denn das auch für eine verfickte Scheißbank, die Halbtote für sich arbeiten läßt?“ – zogen sie sich sicherheitshalber wieder die Sturmhauben über und öffneten den Kofferraum des Audis. Darin lagen zwei absolut gleich aussehende, große schwarze Samsonite-Hartschalenkoffer mit Zahlenschlössern. Beide Koffer waren verschlossen, doch Werkzeug hatten die Bushwhackers nicht dabei. Wer würde denn auch an so was denken? Verfickte Scheiße!
Fila-Frank war schon drauf und dran, die Schlösser der Koffer mit der Kalaschnikow aufzuschießen – schließlich funktionierte diese Technik in Hollywood-Filmen immer ganz hervorragend –, als JoJo endlich das Bordwerkzeug des Audis fand und den ersten Koffer mühelos mit dem Schraubendreher aufhebelte.
Bingo! In dem Koffer befanden sich ein kleines schwarzes Kästchen, das zusammen mit einem Akku-Pack an den Kofferdeckel geklebt war, offenbar der GPS-Peilsender, vor dem sie Dave gewarnt hatte. Ferner eine Geldzählmaschine, zwei Formularblöcke mit dem UCS-Logo – und eine Unmenge Geldbündel, säuberlich nach Nennwerten geordnet und jeweils mit klarer Stretchfolie zu großen Quadern geformt. Tatsächlich, das waren gut und gerne drei Millionen Euro. Meine Fresse, was für ein erhabener Anblick!
JoJo hatte ihnen zuvor von „Security Packs“ erzählt, als Geldbündeln getarnten Farbbomben, die bei Auslösung die gesamte Beute und den Täter mit einer kaum abwaschbaren Farbe grellrot einfärbten. Darum behielten sie die Handschuhe, die Overalls und die Sturmhauben an, öffneten jedes der Geldbündel einzeln, in einigem Abstand von dem Koffer, und warfen dann erst die Scheine lose in ihre mitgebrachten Sporttaschen. In dem Koffer befand sich jedoch kein Security Pack.
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