„Na gut, dann also bis gleich, Herr Doktor Eberle.“
„Auf gleich, Herr Fischer. Ich freue mich auf unser Wiedersehen.“
Auf der Fahrt zur Talstraße beschleunigte Fischer unwillkürlich von Minute zu Minute seine Trittfrequenz, wie ein Jagdhund, der Schweiß gewittert hatte. Eberle hatte grundsätzlich ziemlich interessante Aufträge zu vergeben, und wenn er Fischer nun sogar in Sportbekleidung antanzen ließ, von jetzt auf gleich, mußte das erwähnte „kleine Problemchen“ richtig spannend sein. Spannend und lukrativ – genau die Sorte Auftrag, die Fischer mochte.
Der Service, den das Bankhaus Eberle & Cie., ehemals eine Privatbank und heuer eine exklusive Untermarke der Großbank UCS, seiner betuchten internationalen Klientel bot, ging weit über die bloße Vermögensverwaltung hinaus. Selbstgestellter Anspruch der Bank war vielmehr, ebenso diskret wie effektiv alle Probleme ihrer Kunden zu lösen, die sich mit Geld, viel Geld, lösen ließen.
Mancher besonders unschönen Probleme von Eberles Kundschaft durfte sich schließlich die Fischer Security Solutions Ltd. annehmen, Fischers eigenes kleines Sicherheitsunternehmen. Bevor er Eberle kennenlernte, hätte Fischer sich das nicht vorzustellen vermocht, aber einige Multimillionäre und Milliardäre riefen tatsächlich lieber ihren Banker an als die Polizei oder ihre Anwälte, wenn sie erpreßt wurden, oder wenn ihnen etwas ganz furchtbar Dummes passiert war und das Mädchen plötzlich zu atmen aufgehört hatte.
Das Haus Talstraße 44 entpuppte sich als ein schmuckloses weißes UCS-Bürohochhaus aus den Siebzigern. Da dort kein Kundenverkehr herrschte, konnte Fischer ungehindert in die Lobby hinein marschieren und den Lift nehmen. Im zehnten Stock erwartete ihn jedoch eine doppelte Sicherheitsschleuse aus Stahl und Panzerglas. Fischer klingelte und blickte auf, um für die Überwachungskamera besser sichtbar zu sein. Nach einer knappen Minute öffnete ihm Eberle höchstselbst die Tür und schüttelte ihm herzlich die Hand: „Mein lieber Fischer, schön, Sie zu sehen und danke, daß Sie es so speditiv möglich machen konnten.“
Eberle war bekleidet mit seiner üblichen Privatbankier-Uniform, bestehend aus einem dunkelblauen Dreiteiler mit Kreidestreifen, schwarzen Maßschuhen, weißem Hemd mit Umschlagmanschetten sowie einer Marinella-Krawatte. Als sie die Sicherheitsschleuse passiert hatten, sah Fischer, daß Eberle damit genauso unpassend angezogen war wie er selbst, denn die Abteilung für Reisesicherheitsberatung der UCS war nicht gerade ein Hort des Luxus: funktionale aber sichtbar betagte weiße System-Büromöbel mit gut und gerne zwanzig Jahren auf dem Buckel, grauer Teppichboden mit deutlichen Abnutzungsspuren und etlichen Kaffeeflecken, im Flur unordentlich gestapelte Großpackungen Kopierpapier und ein leerer Wasserspender, an den Wänden einige mit Stecknadeln gespickte Weltkarten, Reisebüro-Wandkalender und, ja tatsächlich, ein paar Pin-ups.
Das Ambiente im Büro 101 war noch ein weiterer Schritt hinab auf der Skala. Dazu trug hauptsächlich dessen Inhaber bei. Dieser Mann, Mitte Vierzig und früher bestimmt nicht einmal unattraktiv, mit dunklen Locken und auffallend leuchtend grünen Augen, schien eine private Wette mit sich abgeschlossen zu haben, welche Krebsart ihn zuerst ereilen würde, Haut- oder Lungenkrebs. Seine Haut, ledrig und runzlig wie die einer Schildkröte, war derart extrem sonnenbankgebräunt und seine darin mal hier, mal dort hervorschimmernden tiefen Mimikfalten im Kontrast dazu derart weiß, daß er fast wie ein photographisches Negativ wirkte. An den Wänden seines Büros hingen mehrere große Poster mit sich sonnenden Bikinischönheiten vor Strandkulissen, offenbar sein persönlicher Fetisch, doch gegen ihn wirkten selbst die brasilianischen Mulatas blaß. Bekleidet war er mit einem Lacoste-Polohemd in Lachsrosa, den Kragen hochgeschlagen und beide Knöpfe geöffnet, damit man sein Goldkettchen besser sah, verwaschenen Designer-Jeans und Cowboystiefeln aus Schlangenleder. Er hatte die Füße auf seinen Schreibtisch gelegt, trug ein altmodisches drahtgebundenes Telefon-Headset auf dem Kopf und rauchte Kette, irgendwelche besonders übelriechenden, ovalen, filterlosen Zigaretten. Auf seinem Schreibtisch und auf dem kleinen Vierer-Besprechungstisch in der Ecke standen gleich mehrere überquellende Aschenbecher, die Luft in dem Büro war zum Schneiden. Fischer hätte sich am liebsten auf dem Absatz umgedreht.
„Das ist unser Herr Raoul“, sagte Eberle leise. „Er koordiniert die Kuriere für Europa.“ Raoul begrüßte Fischer mit einem kurzen, ruckartigen Heben seines Kinns. Während Eberle und Fischer am Besprechungstisch Platz nahmen und Eberle, ganz perfekter Gastgeber, Fischer im Flüsterton ein Fläschchen Mineralwasser aufdrängte, sah sich Fischer indes allmählich gezwungen, seine erste Einschätzung von Raoul zu revidieren: Der Mann konnte was. Am Telefon betete Raoul gelangweilt auf Portugiesisch einen Flugplan herunter, wechselte die Leitung, beschwichtigte irgendeine aufgebrachte Person mit einem Schwall Schnellfeuer-Griechisch, wechselte wieder die Leitung, riß einen gelungenen, irgendwie zotig klingenden, Scherz auf Russisch, über den er selbst heiser lachte, wechselte abermals die Leitung, stellte ein paar komplizierte Fragen in irgendeiner Sprache, die Fischer partout nicht einordnen konnte – Lettisch? Litauisch? –, und notierte sich die Antworten. Schließlich wechselte er nochmals die Leitung und bestellte sich in perfektem Italienisch eine Pizza quattro stagioni in sein Büro. Dann schaltete Raoul die Telefonanlage auf „Weiterleiten“, nahm das Headset ab und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Die Telefonanlage begann sofort, hektisch zu blinken. Sie würde während der gesamten Unterredung nicht mehr zu blinken aufhören.
„Sie sind also der Spezialist, von dem Herr Direktor Eberle uns erzählt hat!“, sagte er lächelnd zu Fischer, „Freut mich. Raoul.“ Der Anblick seiner tiefgelben Zähne in dem pathologisch gebräunten Gesicht würde Fischer bis in seine Träume verfolgen. Raouls Deutsch war klar genug, aber sein merkwürdig singender Akzent mit scheinbar wahllos auf beliebige Silben verstreuten Emphasen derart unbestimmbar, daß Fischer noch nicht einmal zu raten gewagt hätte, woher Raoul ursprünglich stammte. Als Schweizer war er jedenfalls mit Sicherheit nicht geboren worden.
„Fischer, ebenfalls sehr erfreut, Herr Raoul. Nun, was verschafft mir die Ehre?“
Raoul blickte Eberle an, wartete auf dessen ausdrückliches Einverständnis, seine Geschichte erzählen zu dürfen. Erst als Eberle stumm nickte, fuhr er fort: „Mir ist seit gestern nachmittag mein bester Kurier abhanden gekommen, Urs Wyss. Er geht nicht ans Natel, er hat jetzt bereits mehrere Kundentermine in Deutschland verpaßt, und die letzte Meldung seines GPS-Ortungssystems kam aus dem Taunus, weitab von seiner Route. Irgend öppis ist da faul.“
Fischer blickte die beiden fragend an. Ein Kurier? Man hatte ihn wegen eines vermißten Postboten herbeizitiert? Sollte das ein Scherz sein?
Eberle rettete die Situation: „Herr Fischer, vielleicht sollte ich kurz erklären, wovon hier die Rede ist. Unsere Muttergesellschaft UCS und wir haben viele Offshore-Kunden, also im Ausland domizilierte Kunden mit Konti und/oder Depots in der Schweiz. Rund neunzig Prozent der verwalteten Vermögenswerte dieser Offshore-Kunden sind nicht in ihren jeweiligen Domizilländern deklariert, also Schwarzgeld oder Simple Money, wie wir Banker sagen.“
Eberle lächelte anzüglich, denn auch Fischer selbst unterhielt solch ein diskretes Schwarzgeldkonto bei Eberle & Cie., und fuhr fort: „Im Durchschnitt haben HNWIs und UHNWIs, High- und Ultra-High Net Worth Individuals, fünf Bankbeziehungen, davon drei mit Vermögensverwaltern. Unser Ziel als Vermögensverwalter muß natürlich sein, einen möglichst hohen Share of Wallet zu ergattern, das heißt, den von uns betreuten Anteil am gesamten liquiden Anlagevermögen des Kunden zu maximieren.“
Читать дальше