1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Hörte kürzlich eine Rede von Wolfgang Leonhard. Staunte, dass auch er „die Zonenmachthaber“ sagte.
Diskussion über Westberlin. Ein Funktionär: Wir werden Westberlin zumachen. Dann müssen die Amis usw. bei der DDR erbitten, nach Westberlin fahren und fliegen zu dürfen. Dann kontrollieren wir in Tempelhof, wer da an- und wegkommt. Allerdings müssen wir dann Westberlin mit versorgen. Die Bundesrepublik ist dann Ausland. Dorthin darf dann nur ein bestimmter Personenkreis reisen. Wenn wir ganz Berlin haben, wird sich manches ändern. Dann werden wir nicht mehr alles dulden, was wir jetzt noch erlauben müssen.
Bekannte (Intelligenz) verstehen nicht, warum der Westen nicht mit Ulbricht verhandelt. Er existiert. Ein Realpolitiker mit klarem Ziel müsse Tatsachen ins Auge sehen.
Ich sollte heute für die Partei geworben werden.
Ich ließ mir gerade von einem jungen Arbeiter seine Maschine erklären, als der Hauptparteiwerber freundlich lächelnd auf uns zukommt: „Na, wie steht es denn bei euch?“ „Womit?“, scharfe Gegenfrage von mir. „Na, mit dem Parteieintritt.“ Ich: „Ist für mich sinnlos.“ Diskussion: „Wir brauchen junge Genossen, die politisch sind.“ „…“ „Unser Parteisekretär kann viel mehr als der Werkleiter. Ihr wollt auch Intelligenzler werden. Wollt viel Geld verdienen. Sollt ihr auch. Aber dafür müsst ihr in der Partei sein. Wir sehen jetzt, wie viele abhauen von den Fertigstudierten. Die vergessen, dass sie der Partei verdanken, dass sie studieren durften.“ „Ich will nicht noch eine Karteileiche mehr werden.“ „Wir brauchen Studenten, die in der Partei sind.“ In dem Moment kam uns eine Hilfe. Ein Meister, ein erstklassiger Fachmann. Nur deshalb ist er Meister. Der zum Parteiwerber: „Hältst du schon wieder zwei Leute von der Arbeit ab?“ Der Werber passte auf mich nicht auf, ich um die Maschine herum und fort.
Hatte Worte G.E.s in der Zeitung gelesen, dass ihm auf einen Lehrgang in der Dübener Heide der Sinn eines Friedensvertrages erst richtig klar geworden wäre. Erfuhr von ihm, dass seine „goldenen Worte“ erfunden worden waren.
(G. E. = Freund aus der Oberschule)
Ein Arbeiter: „Aus einer faulen Wurzel kann kein gesunder Baum wachsen.“
Hörte an der Tür meines Meisters, dass der Meister sich telefonisch verpflichtete, Kollegen, die „schief diskutieren“, der Parteileitung zu melden.
Die Schließung der Berliner Sektorengrenzen wirkt wie ein k.o. Leute machen bedrückte Gesichter wie nach einer totalen Niederlage. Aber Stacheldraht ist schon immer ein schlechtes Argument gewesen.
Meinungen: „Ich begrüße das voll und ganz – was sollten die denn andres machen?“ – „Der Westen sollte die Flüchtlinge zurückschicken.“ – „Ich glaube, die siegen wirklich.“ Manche hatten sich betrunken.
Am Mittwoch musste ich in das FDJ-Zimmer des Betriebes. Ein halbes Dutzend Armeewerber saßen oder standen um mich herum. Man erklärte mir, die internationale Lage erfordere, dass ich sofort den Arbeiter-und-Bauern-Staat schützen müsse. Ich: Noch vor der Arbeitertätigkeit hätte ich meine Bereitschaft bekundet, zur Armee zu gehen. Auf Grund der Ablehnung erst durch die Armee hätte ich zu arbeiten begonnen. Einer: Wer auf Kosten der Arbeiter-und-Bauern-Macht studieren wolle, müsse dafür etwas leisten. „Wir werden uns genau überlegen, wen wir studieren lassen.“
Ich bekam Bedenkzeit. Noch während dieser Bedenkzeit kam ein „Arbeiter“: „Wer für den Frieden ist, geht zur NVA, wer nicht zur NVA geht, ist nicht für den Frieden.“ Ich fertigte ihn ab, dass ich noch Bedenkzeit hätte.
Hatte heute Spätschicht. Sie begann mit einer anderthalbstündigen Versammlung. Wir hörten, es gäbe ein neues „Betriebsgesetz“: Alle Jugendlichen zwischen 18 und 23 werden zur NVA delegiert. In drei Schüben. Man dürfe nicht kündigen. Ein anderer Betrieb dürfe uns nicht einstellen. Ein Anwesender fragte, ob er noch warten dürfe, bis seine Frau niedergekommen wäre. Das wurde abgelehnt. Ein Funktionär sagte: Wir erklären euch die Lage, wir beseitigen Unklarheiten. Das kann Stunden dauern. Aber dann müsst ihr einsehen, was wir sagen.
Gewitzigt durch frühere Veranstaltungen hatte man nicht nur ein Funktionärs-Präsidium aufgebaut, vorn, sondern auch über den Raum jugendliche Parteimitglieder verteilt.
Einer der jungen Leute meinte in der Veranstaltung: Wenn Atombomben fielen, wäre sowieso alles kaputt. Ein Leutnant der NVA schrie ihn an: Die Kriegsbrandstifter wollen unzerstörte Fabriken erobern, sie werden keine Atombomben werfen.
Ich höre von einer Entschließung gegen West-Fernseh-Antennen. Und Handwerker verpflichten sich in der Zeitung, keine neuen mehr zu bauen.
Woran liegt unsere heutige Misere in Deutschland? Offenbar daran, dass unsere Eltern 1933 Hitler wollten.
Man liest in der hiesigen Presse, dass viele westdeutsche Geschäftsleute zur Leipziger Messe kommen wollen. Und das nach dem 13. August.
Ein Genosse: „Eine Regierung, die Regierung bleiben will, kann nicht mitansehen, dass ihr die Bevölkerung, die sie zu regieren hat, davonläuft.“
Studenten im Landeinsatz. Sie haben „Westhörverbot“. Ein Bekannter: „Das hat wenig Zweck. Ich höre Radio London mit der Decke über dem Kopf.“
Ein höherer Produktionsausstoß in den sozialistischen Staaten kann durch eine Deformation der Wirtschaft hervorgerufen sein. Beispiel: Wir brauchen für unsere Elektrokarren dringend neue Batterien. Diese gibt es nicht, also müssen wir ganze Elektrokarren bestellen. So kann in zehn Jahren die Elektrokarrenproduktion pro Kopf im Osten höher liegen als im Westen.
H. wurde von einem Parteileitungsmitglied gefragt: Bist du ideologisch klar? Auf seine Antwort. Ja, natürlich bin ich ideologisch klar, meinte das Parteileitungsmitglied: Also kann ich dich als Kandidat unserer Partei aufschreiben. Als H. daraufhin sagte: Nein. Davon war nicht die Rede, bekam er zu hören: Also bist du doch nicht ideologisch klar.
Ich gelange – wie andere kommunistisch Erzogene – inzwischen zu sozialdemokratischen Auffassungen zurück.
Nach dem 13. August pfiff ein (künftiger) Student im Betrieb den Freiheitschor aus „Nabucco“. Er wusste, sein Parteisekretär kannte den nicht.
Wenn eine Minderheit die Revolution durchführt und die Macht im Staate ergreift, müssen wir weiterhin um Demokratie kämpfen.
Ein ausländischer Student klagte, seine deutschen Kommilitonen würden auf Versammlungen immer zu allem „ja“ sagen, obwohl sie in Privatgesprächen immer eine ganz andere Meinung vertreten würden. Ich antwortete ihm: Worauf bekämen sie eine gute Note – auf das Sagen der eigenen Meinung oder das Aufsagen der Meinung von Höhergestellten?
Ein „Bürger“: 1945 wurden wir befreit. Nur hat es niemand gemerkt, dass die Freiheit kam.
Die einzelnen Genossen sind nur Nullen, die gleich anderen Nullen die Macht und das Prestige der 1. Sekretäre oder Parteiführungen, denen sie zugehören, vergrößern oder verkleinern. (Nach Zschokke)
Das, worüber ich hier seit Wochen und Monaten nachdenke, ist im Westen sicher vielfach gedruckt schon nachlesbar vorhanden. Trotzdem kann ich meine eigene Suche nach neuen Erkenntnissen nicht missen.
1962
Ich höre Stimmen aus dem Westen, die Einheit Deutschlands sei auf immer verloren. Wie wenig Vertrauen in uns Deutsche selbst spricht daraus. Deutschland war doch schon über Jahrhunderte zersplittert und gespalten. Und dann kam die Idee von der Einheit in den Köpfen der Intelligenz wieder auf.
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