Sie versuchte, die Lösungen von der Ersten abzuleiten und schrieb dann schließlich die Ergebnisse hin, die sie am ehesten vermutete. Ausnahmsweise kam ihr Gehirn sogar auf Touren. Wer hätte das gedacht.
Schließlich klingelte es zur Pause und sie war froh, den Stift endlich aus der Hand legen zu dürfen. Sie hatte zwar alle Aufgaben gelöst, aber wer wusste schon, ob die Ergebnisse auch stimmten. Jetzt war ihr Gehirn vollkommen überfordert und hatte sich redlich eine Pause verdient.
Frau Peters sammelte die Arbeiten ein und entließ ihre Schüler in die willkommene Pause.
„Und, was hast du für ein Gefühl?“, wollte Tina nach der Arbeit unterwegs zum Pausenhof wissen. Sie selbst musste lachen, als sie die Aufgaben sah, denn eine so leichte Arbeit hatte sie schon lange nicht mehr geschrieben. Nicht nur, dass die Aufgaben einfach waren, für Tina war die ganze Arbeit schon fast ein Witz gewesen. Ein bisschen schwerer hätte es Frau Peters schon machen können. Tina liebte das Lösen von Matheaufgaben, die sie herausforderten.
„Frag mich doch so was nicht! Aber ich glaube, ich war diesmal gar nicht so schlecht. Hoffentlich stimmen auch die Antworten. Mein ganzer Kopf dreht sich und mir ist schlecht. Bekommt man vom Denken eigentlich auch eine Gehirnerschütterung?“, lächelte Jenny und hielt sich den Kopf während sie eine Grimasse schnitt.
„Nicht, dass ich schon einmal davon gehört habe! Obwohl, bei dir wäre ich mir da nicht so sicher!“, stichelte sie ihre Freundin.
„Wird schon gut gegangen sein, schließlich haben wir das ganze Wochenende geübt. Nach der Pause haben wir Geschichte, oder?“, grübelte Tina über den Stundenplan nach. Noch eins ihrer Lieblingsfächer. Sie war fasziniert von den alten Brauchtümern und Kulturen. Wenn sie wenigstens Frau Peters nicht in Geschichte hätten. Ihr Unterricht war ziemlich eintönig und Tina schlief meistens fast ein. Alles, was sie da erzählte, hatte Tina sich schon selbst aus Büchern beigebracht und wollte eigentlich endlich mal über etwas anderes reden. Doch Frau Peters war davon überzeugt, dass es nichts Wichtigeres als das Römertum gab. Man hätte meinen können, dass sie selbst dabei gewesen war.
„Ja genau, bei deiner Lieblingslehrerin!“, versetzte Jenny ihr einen kleinen Rippenstoß und lachte. Selbst für Jenny war der Matheunterricht aufregender als Geschichte und das sollte ja schon etwas heißen.
„Vielleicht kommt ja auch mal ein spannendes Thema und nicht immer nur die langweiligen Römer!“ Gelangweilt ging sie den Stoff noch einmal im Kopf durch, denn, wie sie Frau Peters kannte, würde sie sicherlich wieder eine Hausaufgabenüberprüfung schreiben lassen. In Geschichte war sie ein richtiger Drachen. Doch auch das war keine Herausforderung für Tina. Sie kannte sie jetzt schon seit der vierten Klasse und hatte sich nie geändert. Manchmal fragte sich Tina, warum eine Frau wie Frau Peters nicht mehr aus sich machte. Wenn sie wenigstens ab und zu ein wenig Make Up auftragen würde, wäre sie wahrscheinlich gar nicht so hässlich. Und natürlich müsste sie auch ihre Kleiderwahl überdenken, denn mit dem blassgrauen, knielangen Kleid, das dazu auch noch weit geschnitten war, glich sie eher einer alten Zofe anstatt einer modernen Lehrerin. Aber das würde Tina wohl nicht mehr erleben.
„Ach komm schon, das ist die letzte Stunde, die werden wir jetzt auch noch überleben!“, stöhnte jetzt auch Jenny. Sie schien gerade denselben Gedanken gehabt zu haben.
Sie wurden aus ihren Gedanken gerissen, als es zur nächsten Stunde klingelte und dabei hatten sie nicht mal ihre Bücher aus dem Schließfach geholt. Sie beeilten sich, um noch vor Frau Peters im Klassenzimmer zu sein, denn sie verstand überhaupt keinen Spaß, wenn jemand zu spät kam. Jenny musste schon oft genug die Hausordnung abschreiben.
„Verdammt, das war knapp!“, rangen Jenny und Tina nach Luft. Gerade als sie saßen, kam sie auch schon hereingeschneit, warf wie immer ihre Bücher auf das Pult und ließ sich stinksauer auf ihren Stuhl sacken. So hatten sie sie noch nie erlebt. Nicht einmal, wenn sie Blödsinn anstellten, was ziemlich häufig vorkam, war sie so drauf. Sie waren gespannt, was jetzt wieder los war.
Jenny wartete auf den Standardspruch „Hefte raus, Hausaufgabenüberprüfung.“ Doch diesmal wartete sie vergebens. Sie sah fragend zu Tina herüber, aber auch sie zuckte nur verdutzt mit den Schultern.
„Also gut“, stöhnte sie, „da der Direktor meinte, ich soll euch mehr über unsere Geschichte beibringen“, schüttelte sie sich vor Ekel, „werden wir das jetzt tun. Auch wenn ich ganz und gar nicht dieser Überzeugung bin!“ Jenny musste innerlich lachen. Man sah ihr an, dass sie nicht gerade begeistert von der Entscheidung des Direktors war. Alles, was von ihrem Stundenplan abwich, war Humbug. Da hatte sich der Direktor wohl das erste Mal in seinem Leben bei ihr durchgesetzt. Vielleicht hatten sie Glück und es kam endlich mal ein spannenderes Thema als die Römer dran.
„Ich werde euch die Legende der weißen Rose vorlesen und ihr werdet bis zur nächsten Stunde einen Aufsatz darüber schreiben und nächste Woche werden wir dann noch zu allem Überfluss an den Ort des Geschehens fahren!“, gab sie ein gelangweiltes Stöhnen von sich. „Aber denkt dran, dieser Aufsatz macht die Hälfte eurer Zeugnisnote aus! Gut, dann zu dieser Legende“, stöhnte sie wieder, „es geht um zwei unterschiedliche Kulturen. Der japanischen und unserer und, wie schon der Name sagt, um eine weiße Rose!“, stockte sie und allen war klar, dass Frau Peters mit diesem Thema vollkommen überfordert war.
„Nein, das ist mir doch zu dumm. Ich gebe euch die Blätter, lest es euch selber durch. Erstens bin ich nicht in einer Vorlesestunde und zweitens habe ich keine Zeit für so einen Blödsinn. Ich muss mich um wichtigere Themen kümmern!“ Und welches Thema das war, wusste sogar Jenny, ohne groß nachzudenken. Sie ließ Peter, einer ihrer Lieblingsschüler, die Blätter austeilen, setzte sich wieder an ihr Pult und steckte ihre Nase in das dicke Geschichtsbuch.
Das roch ganz nach Selbstaufgabe. Immer noch besser als das langweilige Geplapper von Frau Peters, wovon eh fast alle einschliefen, und besser, als einen Test zu schreiben und da freute sich Frau Peters schon jeden Tag drauf. Da sie die Römer so sehr liebte, wurde sie auch regelmäßig von den Schülern damit aufgezogen und konterte jedes Mal damit, dass sie einen ganzen Aufsatz von mindestens zehn Seiten schreiben mussten. Da überlegte man sich das dann doch.
Jenny nahm das Blatt in Empfang und legte es vor sich hin. Leise begann sie zu lesen.
„ Die Legende der weißen Rose!
Einst, vor jetzt mehr als fünfhundert Jahren, war eine Zeit der Hoffnung und des Friedens angebrochen. Nur einer der Stammesführer wollte immer mehr an Macht als ihm Zustand und wollte sich mit der ganzen Welt anlegen. Sein Name war König Malvin, der Herrscher der südlichen Länder.
Doch die restlichen drei Könige der nördlichen, westlichen und östlichen Länder waren nicht damit einverstanden, was er tat und stellten ihm ein Ultimatum.
König Malvin jedoch dachte nicht im Traum daran, sich durch ein Ultimatum von seinem habgierigen Unterfangen abbringen zu lassen.
Er stellte eine Armee zusammen und ließ die drei Könige und seine Nachkommen töten, damit er als alleiniger Herrscher des Landes sein Ziel erreichen konnte.
Nur das Kind des Königs aus dem Norden, seines eigenen Bruders, konnte er nicht töten lassen. Er zog es wie sein eigenes auf, da seine Frau keine Kinder bekommen konnte.
Nach fünfzehn Jahren Krieg hatte er bereits über die Hälfte der Weltmacht an sich gerissen und zog nach Japan ein.
Der damalige Kaiser Sato jedoch ließ Nachforschungen anstellen und fand sein düsteres Geheimnis heraus. Der Junge, den König Malvin fünfzehn Jahre lang aufgezogen hatte, war in Wirklichkeit ein Mädchen gewesen, die eine unglaubliche Kraft hatte und in der Kriegskunst eine der Besten war.
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