1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Moment, – den Mann kennt er doch? Ist das nicht der Italiener, der bei ihm im Hochhaus wohnt? Doch, absolut kein Zweifel, das ist er. Eigentlich ein ganz guter Typ, aber offenbar ziemlich eitel. Er sieht so aus, wie man sich einen Mafioso vorstellt: gepflegt, schwarzhaarig, mit einem kleinen Bauchansatz und natürlich mit Sonnenbrille. Die hat er auch jetzt auf, aber er hat sie sich auf den Kopf in die Haare geschoben. Was tut der denn hier?
Robert beugt sich vorsichtig vor und hört gerade noch, wie der Italiener berichtet, dass die Fracht um ein Uhr nachts ankommen wird. Was kann das sein?, überlegt Robert. Klingt eigentlich nicht nach irgendwelchen kriminellen Machenschaften. Aber warum wollten die Typen ihn dann beim ersten Mal so auffällig verjagen? Irgendetwas stimmt doch hier nicht!
Mittlerweile haben sich alle drei Männer zum Eingang hin entfernt. Robert schleicht die Eisenstufen hinunter und geht der Gruppe leise nach. Dann überholt er sie und öffnet die Tür ganz langsam.
Als Erster sieht Holger, wie sich die Tür öffnet. „Achtung, da ist jemand am Eingang“, ruft er alarmiert. Daraufhin zieht der Italiener blitzartig eine Pistole und versteckt sich rasch hinter einem Frachtstapel, während sich Hiller vorsichtig der offenen Tür nähert. Robert verhält sich im sicheren Gefühl der Unsichtbarkeit absolut ruhig. Dicht an Robert vorbei, streckt Hiller den Kopf aus der Tür, dreht sich suchend nach links und nach rechts, kann aber nichts auffälliges entdecken. Schwerfällig wendet er sich um: „Falscher Alarm, da ist niemand“, schnauft er. „Francesco, Sie haben höchstwahrscheinlich die Tür nicht richtig einschnappen lassen, als Sie hergekommen sind.“ Damit schließt er mit einem heftigen Ruck die Tür von innen. Unterdessen hat Robert die Chance genutzt und die Halle verlassen. Auf dem Parkplatz steht nur der Alfa des Italieners.
Als Robert nach Hause kommt, warten seine Eltern schon mit dem Abendessen auf ihn. Ein seltenes Ereignis, dass Vater und Mutter gleichzeitig da sind. Robert kann nun endlich mit ihnen über seinen Kummer reden. Er erzählt ihnen von den geheimnisvollen Blitzschlägen, die alles angreifen, was sich diesem Grundstück nähert. Dass immer wieder versucht wurde, endlich mit den Baumassnahmen zu beginnen und dass alle Versuche fehlgeschlagen sind. Arbeiter wurden verletzt und Kräne sind umgefallen. Bagger, die auf dem Grundstück eingesetzt wurden, hatten Maschinenschaden. Vor allem erzählt er von Fred, der auf der Intensivstation im Koma liegt. Beide Eltern hören ihm aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. „Woher hast du diese Informationen?“, fragt sein Vater erstaunt, nachdem Robert fertig ist.
„Ihr habt vor einiger Zeit doch mal Hauptkommissar Werner kennen gelernt, er hat mich angerufen und mir das alles gesagt.“ Robert hat Schwierigkeiten, seine Stimme unter Kontrolle zu halten. Tränen lauern richtig gemein im Hintergrund. „Mir macht nur Kummer, dass es Fred so schlecht geht. Kein Mensch weiß, ob er es überleben wird.“
Zu gerne hätte er auch über seine weiteren Infos gesprochen, aber es tut schon gut, überhaupt mit jemandem reden zu können. „Robert, du musst keine Angst haben“, beginnt seine Mutter, die natürlich bemerkt, was ihren Sohn quält. Sie informiert ihn jetzt ziemlich genau über die Abläufe auf einer Intensivstation. Als OP-Schwester kennt sie sich da aus, denn oft werden Patienten nach einer Operation erst mal auf die Intensiv verlegt. Robert geht es zunehmend besser, als er aus erster Hand hört, wie sorgfältig Patienten in der Klinik behandelt werden.
Spät genug kommt er an diesem Abend ins Bett. Er geht sofort in seine bevorzugte Stellung, mit dem Kopf unter die Bettdecke, und lässt die Ereignisse des Tages vorbeiziehen. Dass Wissen und die Überzeugung, dass Fred alle Chancen hat, wieder gesund zu werden, gibt ihm wieder Ruhe. Aber jetzt kommt das nächste Thema: Die Halle und das Grundstück. Was hat er denn nun erreicht? Nichts! In der Halle wirkte alles harmlos. Die Leute dort scheinen Penner zu sein, aber das geht ihn nichts an. Aber halt, was ist mit dem Italiener los, diesem Francesco? So schnell und gekonnt, wie der seine Pistole gezogen hat und wie er sich, ohne zu überlegen, sofort in Sicherheit gebracht hat, um von dort aus schießen zu können – das zeigt schon absolute Professionalität! Und was ist das für eine ominöse Fracht, die so spät ankommen soll, um ein Uhr nachts? Jetzt kommt doch nicht schon wieder eine Schmuggelbande mit ins Spiel?, überlegt Robert. Aber zugleich ist er doch wieder neugierig, das scheint immerhin eine brauchbare Spur zu sein! Gleich morgen will er sich noch einmal vergewissern, was da los ist. Seine Gedanken schweifen ab, er sieht wieder Fred vor sich, wie er da so unbeweglich und blass an die Apparate angeschlossen daliegt. Noch vor kurzem haben sie miteinander gesprochen, sich verabredet, und nun das. Gespenstisch! Es dauert lange, bis Robert die Müdigkeit überfällt und er endlich einschläft.
Nie und nimmer hätte er das Amulett erwartet, aber es ist da! Im milden Licht schwebt es plötzlich vor ihm.
„Robert, was hast du in der Halle vorgefunden?“, ertönt die sanfte Stimme in seinem Traum.
„Nichts, das scheint eine ganz normale Lagerhalle zu sein.“
„Ist dir was Besonderes aufgefallen?“, fragt das Amulett nach.
„Anscheinend wird geschmuggelt oder irgendetwas Geheimnisvolles angeliefert. Ich habe gehört, wie sie von einer Lieferung gesprochen haben, die mitten in der Nacht ankommen soll. Erst habe ich mir nichts dabei gedacht, aber als ich sah, wie dieser Italiener gleich mit der Waffe zur Hand war, begann ich nachzudenken. Die Büros in der Lagerhalle liegen auf einer Empore, die Arbeiter und der Lagerleiter sitzen da oben ...“ Nach einigem Zögern fügt er hinzu: „Doch, mir ist noch etwas da oben aufgefallen. Im hinteren Büro habe ich auf einem großen Foto, das extra beleuchtet wurde, an der Wand hinter dem Schreibtisch eine wunderschöne Scheibe aus Gold gesehen, in der die zwölf Tierkreiszeichen eingraviert sind. Ein seltenes Stück, ich habe mich gefragt, wem das wohl gehört!“
Robert hat den Eindruck, als verblasse das Amulett etwas. Dann wiederholt es hastig, mit ungewohnt vibrierender Stimme: „Was sagst du da Robert, eine Scheibe aus Gold mit den zwölf Tierkreiszeichen?“ So aufgeregt hat Robert das Amulett noch nie erlebt. „Ja.“
Nach einer kleinen Pause hört er wieder die hypnotische Stimme: „Robert, wenn es das ist, woran ich denke, kommt eine Riesenaufgabe und eine schreckliche Gefahr auf dich zu! Es ist höchstwahrscheinlich das Zirkulum, das lange Zeit verschollen war. Versuche herauszubekommen, wo es sich befindet. Wer es besitzt, hat die Fähigkeit, alle Naturkräfte zu beherrschen. Wehe, es kommt in die falschen Hände.“ Das Licht verblasst und das Amulett verschwindet wieder im Hintergrund.
Während des Frühstücks kreisen Roberts Gedanken unablässig um diese Zirkulum, wie das Amulett es genannt hat. Wie in Trance löffelt er sein Müsli und schüttet seinen Tee in sich hinein und wundert sich immer noch darüber, wie das Amulett plötzlich so aufgeregt wurde, als er diese merkwürdige Scheibe erwähnt hat. Wie kann er es bloß anstellen, mehr darüber zu erfahren? Es muss ja wirklich etwas ganz Außergewöhnliches sein, denn noch nie hat er das Amulett so außer Fassung erlebt. Jetzt muss er sich unbedingt was einfallen lassen.
Vor dem Hochhaus trifft er seine beiden Freunde. Gemeinsam gehen sie zur Schule.
„Hey, Robert, hast du wieder was von diesen geheimnisvollen Blitzen gehört?“, fragt Chris sofort. Robert schüttelt nur stumm den Kopf. Chris wirkt enttäuscht. „Aber wenn du wieder was in der Richtung mitkriegst, dann sag uns auch Bescheid, wir wollen mit dabei sein!“
Tim rückt sich mit Nachdruck seine Brille zurecht. „Von uns bekommst du jede Unterstützung, das weißt du ja hoffentlich!“
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