„Jetzt hat der Boss angerufen, er kommt her, eine Stunde haben wir nur noch Zeit!“, ruft der Dicke und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Schafft sofort die Leiche hier weg, es darf nichts zu sehen sein.“ Er wirft einen besorgten Blick auf die gestapelten Kisten. „Und achtet darauf, dass hier alles in Reih und Glied ist und dass keine der Waffenkisten auffällig wird, klar? Na los, wird’s bald, schlaft nicht ein!“ Damit dreht er wieder ab und schlurft in sein Büro zurück.
Robert wundert sich immer mehr über die Kaltblütigkeit, die hier an den Tag gelegt wird. Gehören Leichen für diese abgebrühten Typen zum täglichen Geschäft? Wohin wollen die beiden den Toten denn so schnell bringen?
Jakob hat inzwischen einen kleinen Transportwagen herbeigebracht, auf den sie jetzt ihre gruselige Fracht legen. Holger zischt mit belegter Stimme: „Hol schon mal dein Auto vor die Tür und öffne den Kofferraum. Wir legen ihn momentan da rein. Wichtig ist nur, dass er sofort von hier verschwindet!“ „Hoffentlich entdeckt der Kellermann die Waffen nicht!“, brummt Jakob zurück.
„Darüber mach du dir keine Sorgen. Du hast deine Aufgabe und wirst auch fürstlich dafür bezahlt.“ Holger stößt ihn in die Seite. „Komm, jetzt mach schon die Fliege!“ Er geht noch einmal sorgfältig die Reihe der Kisten durch und kontrolliert, ob alles in Ordnung ist, dann schiebt er den Wagen langsam zum Ausgang. Von oben durch das Bürofenster wird er von Hiller mit Argusaugen beobachtet.
Robert sprintet gerade noch rechtzeitig hinter Jakob her und kann mit ihm durch die Tür nach draußen schlüpfen. Noch einmal will er dem Dicken nicht das Spektakel einer unsichtbar aufgehenden Tür bieten! Jakob holt sein Auto vom Parkplatz und manövriert es zum Ausgang, wo Holger schon wartet. Im Halbdunkel der Abenddämmerung sieht Robert, wie die beiden nun das lange Paket in den Kofferraum ihres kleinen Autos drücken und schieben. Robert überläuft eine Gänsehaut. Diese Gangster verstauen den Toten, als wäre er eine Ware aus dem Supermarkt. Holger wartet, bis Jakob sein Auto wieder eingeparkt hat, dann verschwinden beide wieder in der Halle.
Robert überlegt fieberhaft, was er jetzt tun könnte. Er muss jetzt unbedingt Hilfe haben! Bald wird es ganz dunkel sein. Wie soll er je dahinter kommen, wohin die Typen dann mit der Leiche abziehen werden? Guru!, durchzuckt es ihn plötzlich. Natürlich, warum hat er nicht längst schon an die Eule gedacht? Die Nacht ist doch ihre beste Zeit! Robert geht eilig hinter die Halle zum Rhein hin und ruft leise: „Guru – hörst du mich? Guru, komm, komm schnell…ich brauch deine Hilfe!“
Nichts geschieht. Klar, denkt Robert, sie kann mich nicht hören, sie ist sicher sehr weit vom Rhein entfernt irgendwo im Wald auf Futtersuche. Ich hätte es wissen müssen. Er will sich schon enttäuscht abwenden, da sieht er, wie etwas lautlos auf ihn zugeflogen kommt. Und plötzlich ist sie da. Obwohl er immer noch unsichtbar ist, findet sie ihn sofort und landet weich auf der kleinen Mauer neben ihm. Sie stößt einen dunklen Freudenlaut aus. „Hallo Robert, wieder im heißen Einsatz? Und ich darf dir helfen?“
Robert schaut in ihre orange leuchtenden Augen und kann erst mal gar nichts sagen, so überwältigt ist er von seinen Gefühlen. Er streckt nur stumm seinen Arm aus und streicht der Eule zart über die weichen Federn. Allmählich fühlt er, wie er ruhiger wird.
„Du, Guru, ich bin so froh, dass du da bist“, sagt er leise. „Wie hast du mich gehört? Warst du etwa zufällig in der Nähe?“
„Wenn ich in der Nähe gewesen wäre, hättest du nicht so lange warten müssen“, sagt Guru und gibt ein Geräusch von sich, das wie ein leises Lachen klingt. „Nein, ich musste erst ein ganzes Stück fliegen. Aber egal, wo ich bin, wenn du mich brauchst, höre ich dich immer und mache mich sofort auf den Weg zu dir. Wenn es um einen Freund geht, dann hören wir Tiere sogar Gedanken und sehen auch Unsichtbares. Darauf kannst du dich verlassen!“
Robert ist ganz warm ums Herz. Wie gut, dass es solche Freunde gibt! Das gibt ihm Mut, es mit den kaltblütigen Gangstern in der Halle aufzunehmen. Da muss einfach etwas geschehen. Die dürfen nicht immer so weitermachen!
„Guru,…eben ist hier in der Halle ein Mann…ermordet worden“, beginnt er stockend. „Ich…ich konnte ihm leider nicht helfen. Aber ich weiß, wer der Täter ist.“
Die Eule hat ihre riesigen Augen aufmerksam auf ihn gerichtet und lauscht ihm mit hoch aufgestellten, langen Federohren.
„Diese zwei Mistkerle – die wollen mit ihrem kleinen Auto die Leiche wegbringen und irgendwo verscharren“, berichtet Robert weiter. „Sie warten nur noch, bis es absolut finster ist, und dann fahren sie los. Du, Guru, – für dich ist das doch kein Problem, stimmts? Bitte beobachte die Typen und sag mir morgen, wo sie den Toten hingebracht haben.“
„Geht klar. Du kannst auf mich rechnen!“ Schon breitet Guru ihre großen Flügel aus und schwingt sich lautlos wieder in die Luft. Robert schaut ihr noch nach, bis sie im Dämmerlicht mit dem Hintergrund verschmilzt. Er fühlt sich erleichtert und beruhigt.
Doch Zeit zum Ausruhen bleibt ihm nicht. Plötzlich hört er ein Motorengeräusch hinter sich, und als er schnell um die Ecke läuft, sieht er einen großen grünen Wagen auf den Parkplatz einbiegen. Das ist sicher der Boss, dieser Kellermann, dem diese Lagerhalle gehört.
Der Mann steigt aus und geht zielstrebig auf den Eingang zu. Robert hat keine Zeit, lange zu überlegen. Er schleicht sofort hinterher, um gemeinsam mit ihm in die Halle zu kommen. Erst jetzt bemerkt er, dass eine Klingel neben der Tür ist, die Kellermann eben betätigt. Einen Augenblick später reißt Holger die Tür weit auf und verbeugt sich.
Im Hintergrund ist das asthmatische Keuchen Hillers zu hören, der sich ungewöhnlich schnell die Stufen heruntergewälzt hat und eifrig herbeigeeilt kommt. „Guten Abend, Herr Kellermann, wir erwarten Sie schon“, ruft er dem Eintretenden mit öliger Stimme entgegen.
Speichellecker!, denkt Robert. Er nutzt die Chance und huscht hinter Kellermann durch die weit geöffnete Tür. So, nun ist er wieder in der Halle und kann diesen Kellermann ausgiebig betrachten. Er ist eine imposante Erscheinung, nicht mehr ganz jung, hat volles, weißes, gewelltes Haar, ist braun gebrannt und sehr gepflegt gekleidet: eine zart gemusterte Krawatte zum weißen Hemd unter einem dunkelblauen Anzug. Seine hellblauen Augen stehen ziemlich eng über der gerade Nase und leuchten intensiv aus dem ausdrucksstarken Gesicht.Aber komisch ist, dass diese eng stehenden Augen, und die leichten Tränensäcke darunter, dem Gesicht einen eigenartigen Ausdruck geben. Dem Mann kann man nicht trauen, denkt Robert instinktiv. Irgendwie wirkt der unehrlich!
Nachdem Kellermann alle freundlich begrüßt hat, geht er selbstsicher voraus und die Eisentreppe hoch. Hiller ist ganz unglücklich, dass er nicht so schnell folgen kann. Er keucht gotterbärmlich hinter dem Boss die Eisenstufen hoch. Sie schließen die Tür hinter sich, es ist nichts mehr zu hören. Holger verschwindet schnell mit Jakob nach hinten. Robert bezieht gegenüber der Treppe Position und wartet gespannt ab, was jetzt geschehen soll. Durch die Glastür sieht er die beiden oben diskutieren.
Nach einigen Minuten geht die Tür auf und Kellermann kommt in Begleitung Hillers wieder heraus. Hiller ruft laut nach Jakob und Holger. „Ihr könnt jetzt Schluss machen, lasst nur die Nachtbeleuchtung an. Ich komme gleich mit euch nach draußen.“
„Augenblick bitte“, schaltet sich Kellermann ein. Hiller schaut erschrocken zu seinem Boss auf. „Jetzt, da ich Sie alle drei mal zusammen habe, muss ich Sie etwas fragen.“ Mit ruhiger, sonorer Stimme hat sich Kellermann Gehör verschafft. „Heute Nachmittag hat es hier gedonnert, ohne dass es ein Gewitter gab. Haben Sie das auch registriert?“
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