Eine Woche später war seine Mutter am Telefon. Wie kalt war ihre Stimme! Und wie schroff!. Erst als es dem lungenkranken Geliebten wieder besser ging, durfte sie mit ihm sprechen, aber auch jetzt klang er unnahbar und unverbindlich. Was war bloß geschehen?
Schließlich hielt sie es zu Hause nicht mehr aus. Sie ging stundenlang ruhelos im Ayala Park spazieren, schaute weg, wenn Liebespaare ihren Weg kreuzten und wollte mit keiner Menschenseele sprechen. Eines Nachmittags führte der Weg sie wieder in den Rizal-Park. Ihre Erinnerungen wurden fast unerträglich. Vor etwas über einem Jahr hatte sie Marian hier kennengelernt. Schon während ihrer ersten Begegnung hatte sie etwas gespürt, an was sie nicht mehr glauben wollte: Liebe auf den ersten Blick. Und jetzt? Nichts als Leere, Melancholie, Traurigkeit. Warum meldete er sich nicht öfter? Vermisste er sie nicht? Hatte er sie schon vergessen? Sie lief durch den Park Richtung Uferpromenade am Denkmal von José Rizal vorbei. Genau an dieser Stelle hatten sich ihre Wege zum ersten Mal gekreuzt. Tränen liefen ihr über das Gesicht, aber niemand beachtete sie. Die vorbeiziehenden Menschen waren fröhlich, Paare lachten ausgelassen und Kinder ließen Luftballons steigen. Es war, als würde sich jener denkwürdige Nachmittag vor dem Ereaserheads -Konzert wiederholen, aber ohne Imelda und Marian.
Im Chinesischen Garten setzte sie sich auf dieselbe lauschige Parkbank, auf der sie sich zügellos und ohne Scheu geliebt hatten. Ihr einziger Begleiter war jetzt ein Buch mit Kurzgeschichten, in das sie sich vertiefte. In der Abgeschiedenheit und Harmonie des Ortes kam sie endlich zur Ruhe und vergaß für einige Stunden ihre Sorgen. Ein leichter Wind kam auf. Die angenehm kühle Brise tat ihr gut.
Am darauffolgenden Taghielt Diwata ihre selbst gewählte Einsamkeit und Abgeschiedenheit nicht mehr aus. Es war der Vormittag des zwölften Januars 1992, eines grauen Tages. Sie rief Imelda an. Die Freundinnen vereinbarten, im japanischen Café Akiba um vier Uhr nachmittags über die Ereignisse seit Jahresbeginn zu sprechen. Diwata fühlte sich etwas besser. Sie freute sich auf aromatischen Kaffee, leckeren Kuchen und ein Gespräch mit ihrer besten Freundin, das – so ihre Hoffnung – sie seelisch wieder aufbauen würde. Doch es kam alles ganz anders.
Imelda, die sie seit ihrem Geburtstag nicht mehr gesehen hatte, umarmte sie schon vor dem Café. Beide Frauen freuten sich über ihr Wiedersehen. Lange Zeit konnten sie sich nicht für den Kuchen entscheiden. Sollte es der cremige Yoghurtkuchen sein oder doch lieber der exotischere Süßkartoffelkuchen? Auch Schokoladen,- und grüner Teekuchen sahen vorzüglich aus. Schließlich entschieden sich beide für ein Stück grünen Teekuchen mit Sahne. Schwierig war es auch, den passenden Kaffee auszuwählen, zumal alle nur erdenklichen Geschmacksvarianten angeboten wurden, von Zimt, Pfefferminz und Nougatschokolade bis zum klassischen Cappuccino, Espresso oder Latte Machiato. Sie nahmen einen Mokka mit Sahne. Kuchen und Kaffee waren Kalorienbomben, aber Diwata störte das nicht. Das Leben war hart genug. Es war Zeit, dass sie sich selber mal wieder etwas Schönes gönnte, wenn auch nur für einen Nachmittag. Sie setzten sich an einen Designertisch aus Holz im modern, aber nicht ungemütlich eingerichteten Café. Die Gäste an den Nachbartischen waren meist junge Leute oder philippinische und japanische Liebespaare.
Nachdem sie zunächst über alles Mögliche geredet und herumgealbert hatten, kam Imelda auf den Punkt: „Um ehrlich zu sein: Du siehst ziemlich fertig aus. Was ist los mit dir? Marian kommt doch bald zurück!“ „
„Das stimmt“, entgegnete Diwata, „doch er ist so komisch. Wir hatten einen fantastischen Urlaub auf der Insel Palawan. Seit wir zurückgekommen sind, ist er jedoch wie ein anderer Mensch. Er wirkt genervt und bedrückt, spricht kaum noch mit mir, wirkt geistig abwesend. „Nach einer Schweigeminute sagte sie traurig: „Hör zu, Imelda!“ Sie nahm die Hände ihrer Freundin in ihre eiskalten Hände und sah sie mit ihren großen braunen Augen an. „Irgendetwas stimmt nicht mit uns. Ich habe das Gefühl, dass in den nächsten Tagen etwas Schlimmes passieren wird. Normalerweise bin ich lebensfroh und optimistisch, aber jetzt geschieht etwas, was ich nicht verstehe.“
„Was verstehst du nicht?“, fragte Imelda entgeistert.
„Er ruft kaum an, sogar am Telefon ist er so….so…“
„Wie ist er?“, unterbrach sie Imelda.
„So unnahbar“, fiel Diwata das passende Wort ein. „Ich habe das Gefühl, ich spreche mit einem Fremden.“
„Hmm“, entgegnete Imelda etwas ratlos. „Das hört sich ja gar nicht gut an.“
Für eine kurze Zeit schwiegen sie, schlürften ihren Mokka und aßen einige Stücke ihres Teekuchens. Obwohl er sehr gut schmeckte, konnte Diwata ihn nicht wirklich genießen. Dann folgte eine Frage, mit der Diwata schon gerechnet hatte:
„Sag mal, Diwata, wie ist euer Sex?“
Diwata antwortete detailliert, wie wild sie es getrieben hatten und wie unvergesslich ihre Erlebnisse waren.
„Das hört sich alles nach einem sexuellen Abenteuer an. Nimm mir die Bemerkung nicht übel, aber ich glaube, du hast jede Nacht seinen Schwanz gelutscht, als Marian noch da war“, sagte Imelda mit leiser Stimme, damit die anderen Gäste sie nicht hören konnten. Diwata traute ihren Ohren nicht. So etwas Vulgäres und Primitives hatte ihr noch niemand gesagt, erst recht nicht ihre beste Freundin. War sie zu weit gegangen? Noch niemandem hatte sie jemals so ausführlich ihr Intimleben berichtet. Sie spürte, wie die Schamröte in ihr Gesicht stieg. Dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen: „Ich habe seinen Schwanz geblasen, weil ich Marian liebe“, tobte sie. „Außerdem war es kein sexuelles Abenteuer. Wir sind seelenverwandt.“
Sie sagte es so laut, dass sich viele Gäste neugierig nach ihnen umdrehten. Der Mokka schwappte über, so kräftig schlug sie auf den Tisch.
„Seelenverwandt“, lachte Imelda verächtlich. „Soll ich dir mal was sagen: Dieser Typ nutzt dich nur aus. Ich glaube dir, dass du ihn wirklich liebst, doch er liebt dich nicht, das garantiere ich dir. Er spielt nur mit dir. Er genießt, was du ihm gibst, ohne dir etwas zurückzugeben.“
„Woher weißt du das“, schrie Diwata sie an. „Du kennst ihn doch gar nicht richtig.“
„Ich kenne ihn nicht wirklich?“, schrie Imelda zurück, „Und ob ich ihn kenne. Diwata“, sagte sie mit einer etwas gefassteren und ruhigeren, aber immer noch erregten Stimme, „hör endlich auf zu träumen. Wir waren doch zusammen im Eden-Club. Hast du nicht gesehen, wie er die Mädchen im Pool angestarrt hat, sogar mich? Er nimmt die Nächstbeste, die ihm über den Weg läuft, solange sie attraktive Beine, eine tolle Figur und schöne Augen hat.“
„Das tut er nicht“, fauchte Diwata sie an. Einen kurzen Augenblick wurde es ruhig. Imelda schien sehr konzentriert über etwas nachzudenken. „Oder“, sagte sie ernst, doch das, was sie sagen wollte, schien so schlimm zu sein, dass sie es nicht aussprechen konnte.
„Was oder ?“, fragte Diwata ungeduldig. Dann sagte Imelda mit gefasster Stimme:
„Ich habe einen furchtbaren Verdacht. Dieser Typ war überhaupt kein Single, als wir ihn vor knapp über einem Jahr im Rizal-Park kennen lernten. Er war noch nicht einmal ledig. Ich glaube, er war verheiratet. Vielleicht lebte er in Trennung von seiner Frau und suchte eine Affäre, um über den Schmerz hinwegzukommen.“
„Oh du Schamlose“, schrie Imelda sie jetzt außer sich vor Wut an. „So etwas denkst du über Marian, der für mich alles bedeutet? Halt lieber deine Klappe, wenn du nichts Besseres zu sagen hast. Verheiratet! Verheiratet! Ich glaube, du spinnst. Nie im Leben würde er mir das antun. Er würde auch nicht seine Frau betrügen, dessen bin ich mir hundertprozentig sicher.“
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