Eine blasse, milchige Wintersonne warf ihre Strahlen durch das Fenster jenes Zimmers, in dem der geknebelte Marian aus tiefem Schlaf erwachte. Tochter Eliza war zu dem Zeitpunkt schon längst in der Kindertagesstätte. Was war los? Er versuchte aufzustehen. Da merkte er, dass er gefesselt war. Er wollte etwas sagen. Warum gelang es ihm nicht? Er spürte, dass etwas in seinem Mund steckte und er außerstande war, auch nur ein einziges Wort zu sprechen. Und dann stand plötzlich sie vor ihm: eine fast nackte Venus, nur im schwarzen Lederdessous und in ebenfalls schwarzen Lederstiefeln. Sie trat mit den hohen Absätzen ihres Stiefels auf den nackten Waschbrettbaus ihres Ehemannes. Er versuchte tapfer und stark zu wirken, doch die Schmerzen waren zu stark. „Aua“, versuchte er zu schreien. Er konnte jedoch keinen einzigen Laut formulieren. Sie lächelte boshaft: „Attraktiv bist du immer noch. Aber jetzt gehörst du mir. Vergiss deine Scheidung. Wir werden ewig zusammen bleiben, über den Tod hinaus. Wir sind füreinander bestimmt, nicht diese…. diese…. Diwata!“ Sie machte ein verächtliches Gesicht und spuckte in Marians Gesicht als Ausdruck höchster Missachtung für eine Frau, die in ihren Augen nichts weiter als eine billige Konkubine war. Und auch er musste für die Schmach büßen: „Jetzt habe ich absolute Kontrolle über dich. Bilde dir nicht ein, dass du dich auch nur einen Millimeter von meiner Welt entfernen kannst, wenn ich das nicht will. Und wisse!“…. Sie riss ihre Augen weit auf und blickte ihn wie eine Größenwahnsinnige an. Marian hatte plötzlich panische Angst vor seiner eigenen Frau. „Und wisse: Sollte es dir doch gelingen, noch einmal deine Konkubine zu sehen, dann wirst du in einem Atemzug Frau und Tochter verlieren. Weißt du, was das bedeutet?“ Marian nickte mit dem Kopf wie ein gefügiges Kind. „Du weißt es nicht“, schrie sie ihn an. „Ich werde Eliza und dann mich selbst erschießen.“
Marian hoffte inbrünstig, dass er träumte. Doch dann bemerkte er, dass er keinem Albtraum zum Opfer gefallen war. Was er in diesem sonnendurchfluteten Zimmer erlebte, war weder Nachtmahr noch Psychothriller: Es war brutale Wirklichkeit.
Lesley Indira Iqbal Antara Bhattacharya Smithwar die Tochter einer schwarzhaarigen und dunkelhäutigen Inderin und eines blonden und hellhäutigen Engländers. Allein Tochter eines binationalen Ehepaares zu sein war zu Lesleys Kindheit schon etwas Besonderes. Doch aus der Liebesbeziehung zwischen einer Inderin und einem Ungläubigen zu stammen, war schlicht unglaublich. Indische Eltern ver heiraten nämlich gewöhnlich ihre Töchter und sie würden niemals einen ungläubigen Weißen als Mann akzeptieren, egal aus welchem Land er kommt. Lesleys Mutter Chandrakhanta hatte sich den strengen Moralvorstellungen ihrer Eltern widersetzt und sich aus Liebe für den Engländer Kevin entschieden. Selbst den totalen Bruch mit Eltern und Familie hatte sie in Kauf genommen. Entsprechend gelassen hatten auch Chandrakhanta Smith und ihr Ehemann auf die Heiratsabsichten ihrer Tochter reagiert. Dass diese einen Deutschen auserwählt hatte, war für beide kein Problem, obwohl Kevins Eltern aus historischen Gründen gewisse Vorbehalte hatten.
Nun stand die bildschöne Mischlingsfrau nackt vor ihrem Auserwählten, den sie gefesselt hatte, damit er nie wieder davonlaufen konnte. Lange braune Haare bedeckten ihre nackten Schultern und ihre großen schwarzen Augen waren unwiderstehlich. Einen Augenblick lang verstand der von ihr Geknebelte nicht, weshalb er solch eine wunderschöne Frau überhaupt verlassen hatte. Plötzlich fiel ihm eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Diwata auf, abgesehen von ihrer Haut, die deutlich heller war. Nur einen kurzen Augenblick später erfuhr er das impulsive Wesen seiner Frau körperlich, als diese ihm befahl, sich auf den Bauch zu legen und mit brutaler Gewalt mit ihrem schwarzen Ledergürtel auf seinen nackten Hintern schlug. Auf diese Weise konnte die von ihm so lange Gedemütigte ihre Wut abreagieren und dabei sogar sexuelle Lust empfinden. Marian fühlte sich wie ein sexuelles Opfer in einem Roman vom Marquis de Sade.
Nach ihrer Art der „Bestrafung“ wollte sie ihn körperlich zurückerobern. Ihre Waffen waren zierliche Hände, wohlgeformte Brüste, lange Beine, sinnliche Lippen und das zarte Fleisch einer glattrasierten Vagina. Sie entfesselte seinen Körper mit feurigen Küssen und dem erregenden Spiel ihrer Zunge. Mund und Scheide ließ sie von seinem harten Glied durchdringen. Zunächst empfand er Widerwillen und dachte: „Streng dich nur an. Was bist du ihr gegenüber.“ Doch er war zu sehr Mann, um ihren Liebeskünsten zu widerstehen. Sie wollte die Andere sein, sie, die es gewagt hatte, ihren Mann zu erobern. Sein unkontrollierbar quellender Körpersaft war schließlich der Beweis dafür, dass es seiner wild auf ihm reitenden, sich mit ihm verschmelzenden Frau gelungen war, ihn zurückzugewinnen.
Die seelische und geistige Rückeroberungließ auf sich warten. In der Abgeschiedenheit seines Zimmers ging Marian in sich. Im Wechselspiel der Gefühle und im Spannungsfeld zweier Frauen entschied er sich letztlich nicht für die romantische Liebe, sondern für die Menschlichkeit und für die Vernunft. Er hatte eine kleine Tochter und wollte sich der Verantwortung stellen. Vielleicht würde es ihm gelingen, nach Manila zurückzufliegen. Doch was wäre dann der Preis? Würde er seine kleine niedliche Tochter jemals wiedersehen? Außerdem wusste er, dass Lesley nicht nur gedroht hatte. Sie wäre durchaus imstande, die schrecklichen Morde tatsächlich zu verüben. Könnte er das mit seinem Gewissen vereinbaren?
In einer ruhigen und sachlichen Aussprache mit Lesley versprach er, in London zu bleiben. Er vermied es ausdrücklich zu sagen, dass er nie mehr auf die Philippinen reisen würde. Das wäre wieder eine Unaufrichtigkeit gewesen und der Lügen war er mittlerweile überdrüssig. Doch er betrog sich selber. Er sagte sich, dass Lesley und Diwata für ihn „eins und doppelt“ seien. Diwata verkörpere den Traum und Lesley das wirkliche Leben. Er redete sich seine Lebenslüge so lange ein, bis er wirklich an sie glaubte und dadurch scheinbar zur Ruhe kam. Er spürte, dass er irgendwann Diwata wiedersehen würde, doch er wusste beim besten Willen nicht wann. Verband ihn das Schicksal wirklich mit der Geliebten und der Ehefrau zugleich? Er musste sich eingestehen, dass er Diwata zunächst ebenso verletzen würde wie seine Frau, sollte er ihr tatsächlich den Rücken kehren.
Ganz langsam gewann er das verlorene Vertrauen seiner Frau zurück. Allen Verletzungen zum Trotz blieben Lesleys Drohungen leere Worte. Marian fand schnell Arbeit in einer Filiale der Deutschen Bank in London und verdiente so viel Geld, dass er problemlos seine Zelte hätte abbrechen und zu Diwata zurückkehren können. Er traute sich aber nicht, erneut nach Manila zu fliegen. Über die Geliebte hinwegzukommen war trotz aller verzweifelten Bemühungen vergeblich. In tränenreichen, einsamen Augenblicken der Verzweiflung fand er nur im Gelübde vom „Verbotenen Strand“ Trost:
“ Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne, du bist mir nah.“
Traurig und in sich gekehrtsaß Diwata den ganzen 30. Dezember 1991 in ihrem palastartigen Haus. Sie hatte weder Hunger noch Durst. Es war das erste Mal, dass sie ihren geliebten zukünftigen Mann für längere Zeit nicht sehen würde. Seine Rückkehr bezweifelte sie jedoch keinen Augenblick. Waren sie nicht füreinander bestimmt?
Die Stille ihres Hauses war unerträglich. Warum musste sie sogar Silvester alleine verbringen? Wie erleichtert war sie, als Marian endlich anrief. Lange hatte sie auf dieses Gespräch gewartet. Doch auf einen weiteren Anruf hoffte sie vergebens. Ihr wurde es schwer ums Herz.
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