In Trance sprach Marian ihr nach. Seine rauschhafte Verzückung war dermaßen groß, dass er noch nicht einmal erahnen konnte, von welch schicksalhafter Bedeutung seine eigenen Worte waren.
Amors Schatten
Nach Marians und Diwatas Rückkehrhätte alles wie vorher sein können. Dieselbe stilvoll eingerichtete und weihnachtlich geschmückte Villa in Makati, die gleiche Weihnachtsbeleuchtung im Ayala Park. Es war der 23. Dezember, ein Tag vor Heiligabend, doch Marian hatte sich verändert. Er wirkte in sich gekehrt, zerstreut und bedrückt. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. Beim Frühstück fragte ihn Diwata: „Was ist los mit dir? Dein Körper ist hier. Mit deinen Gedanken aber bist du ganz woanders. In Deutschland?“
Es war erstaunlich, wie sie seine Gedanken lesen konnte. Er hatte tatsächlich an seine Eltern gedacht, mit denen er seit langem keinen Kontakt mehr hatte. In Anbetracht der bevorstehenden Hochzeit würde er jedoch über seinen Schatten springen und sich mit ihnen wieder versöhnen müssen. Der Gedanke an die Rückkehr nach Hintertupfingen war für ihn fast unerträglich. Würden seine Eltern Diwata akzeptieren?
Marian hatte ein mulmiges Gefühl, erst recht angesichts der Tatsache, dass er mit ihnen auch über seine gescheiterte Ehe mit Lesley Indira Bhattacharya Smith sprechen müsste. Er wünschte, er könnte als mondäner Held in seine Heimatstadt zurückkehren. Stattdessen würden seine Eltern ihn für einen Versager halten. Doch was auch immer passieren würde: Er musste sich den Dingen stellen.
Marian konnte nicht mehr seiner Verantwortung entfliehen. Das unbeschwerte Leben, geprägt von Sonnenuntergängen, köstlichen Speisen, Festen jeglicher Art, originellen Partys, Aufenthalten auf exotischen Inseln und zügellosem Sex musste ein Ende haben. Aus der Traum! Er konnte nicht mehr weiter träumen, während sich pechschwarze Gewitterwolken am Horizont häuften. Er musste ein kräftiges Gewitter zulassen, um anschließend die Sonne wieder in reiner Luft zu genießen. Er war nicht naiv und wusste ganz genau, dass die Begegnung mit seinen Eltern und die unangenehmen Gespräche über die Scheidung in London sehr schwierig und nervenaufreibend sein würden. Dass eine persönliche Katastrophe ausbliebe, hoffte er. An sein Wiedersehen mit Lesley wagte er gar nicht zu denken, so sehr er sich auch auf seine Tochter Eliza freute. Fest stand für ihn nur, dass er sowohl nach Deutschland als auch nach England reisen musste, und zwar allein. Ihm war ebenso klar, dass der Aufenthalt in Europa lange dauern würde. Sehr lange. Die genaue Zeitdauer konnte er nicht voraussehen. Noch wollte er Diwata und ihre Familie so kurz vor Weihnachten nicht mit der baldigen Trennung von seiner über alle Maßen geliebten Freundin belasten. „Sind es deine Eltern, an die du denkst?“ Marian nickte. Bereits jetzt wurde ihm schwer ums Herz. Diwata kam zu ihm und legte ihren Arm auf seine Schulter: „Mach dir nicht so viele Gedanken. Deine Eltern sind auch Menschen. Irgendwann fahren wir zusammen nach Deutschland. Sie werden sich freuen, dich wiederzusehen, besonders mit einer solch hübschen Begleitung.“
Marian wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Wie groß war die naive Unbekümmertheit seiner Frau! Er wünschte, er könnte ihr und sich die bevorstehenden Probleme ersparen. Das war jedoch nicht möglich. Leider.
Weihnachten:Die ganze Familie feierte zusammen in Ermita. Alle wurden reichlich beschenkt: Kleider, Parfums und Schmuck für die Frauen, Schuhe…. Marians Kleiderschrank wurde um einige Hemden, Hosen und Anzüge reicher. Teure Anzüge. Designeranzüge. Marian und Diwata schenkten sich gegenseitig jeweils eine goldene Kette, beide mit einem Herzen. Besonders berührt war jedoch Marian, als er Diwatas persönlichstes Geschenk öffnete: ein Band selbst geschriebener Liebesgedichte. Eher praktisch, aber nicht weniger kostbar war das Geschenk von Diwatas Eltern für das zukünftige Ehepaar: edles Geschirr aus echtem chinesischem Porzellan.
Wenigstens jetzt gelang es Marian, seine Sorgen zu vergessen. Er briet sogar die mit Rosinen und Nüssen gefüllte Weihnachtsgans, damit Diwatas Familie ein traditionelles deutsches Weihnachtsessen kennen lernen konnte. Leider fehlten Rot- und Rosenkohl, weshalb die Weihnachtsgans mit Reis gegessen wurde. Nebenher gab es köstliche traditionelle Fischgerichte sowie gebratenes Spanferkel. Übersättigt, aber beglückt lief die ganze Familie zur barocken Kirche von Ermita, einer 1571 gegründeten ehemaligen Wallfahrtskapelle zu Ehren der auch heute noch inbrünstig verehrten Jungfrau Maria. Die Christmette dauerte zwei Stunden. Die schier unendlich scheinenden Gebete wurden durch wunderschöne Weihnachtslieder des einheimischen Chores unterbrochen. Marian, der mit Religion nicht viel am Hut hatte, betete zum ersten Mal, dass er alles, was im schwierigen Jahr 1992 auf ihn zukommen sollte, gut überstehen würde. Diwata war zwar zuversichtlicher als ihr Freund, doch auch ihre Gedanken kreisten ebenfalls um ihre gemeinsame Zukunft. Beide glaubten, dass ihre Liebe Berge versetzen könne. Dass sie nach Überwindung aller Hindernisse ein frohgemutes Paar werden würden, davon waren sie überzeugt. Wie gut, dass sie ihr Schicksal nicht voraussehen konnten.
Am ersten Weihnachtstag, dem 25. Dezember, wurde noch einmal geschlemmt. Nach einer Hummersuppe folgten in Wein gebratene Austern, Tintenfisch mit pikanter Soße sowie zahlreiche köstliche Salate. Süße Desserts aus Reis, Eiern, Süßkartoffeln, junger Kokosnuss und Maniok beendeten das Mahl. Getrunken wurden wie immer erlesene Weine sowie exotische Säfte. Auch am ersten Weihnachtstag ging die ganze Familie wieder zur Kirche. Der zweite Gottesdienst war nicht weniger lang.
Die Feste waren vorüber. Marian wirkte wieder bedrückt und traurig. Diesmal fasste er sich ein Herz und sprach mit Diwata. Beide lagen schon im Bett und hatten gerade das Licht ausgemacht, da sagte der Geliebte mit ernster Stimme: „Diwata, ich kann nicht länger hier bleiben und so tun, als sei das Leben nur ein Traum.“
„Was meinst du? Ist Weihnachten nicht ein Traum für die gesamte Christenheit?“ Diwatas Stimme klang erbost. Sie bäumte sich schmollend auf.
„Geburtstage, Weihnachten, Ostern …. was weiß ich, wie viele Feiertage noch, Partys, Reisen zu Traumständen…. Das schöne Leben löst unsere Probleme nicht!“
Diwata geriet nun völlig aus der Fassung. „Welche?“, entgegnete sie mit erregter Stimme. „Welche Schwierigkeiten haben wir?“
„Diwata, hör endlich auf zu träumen. Ich habe einen riesigen Konflikt mit meinen Eltern. Du kennst sie nicht. Es wird schwer sein, dass sie dich akzeptieren. Meine Eltern sind sehr kleinkariert und latent rassistisch.“
„Ach, so ist das“, sagte sie. „Ich bin also bei ihnen nicht erwünscht. Weißt du was, wir können auch alles wieder absagen. Aber wozu brauchen wir deine blöden Eltern überhaupt? Können wir nicht auch ohne sie feiern?“
Mit jedem Wort, das sie sagte, wurde ihre Stimme zorniger. Marian merkte, dass er jene Frau, die seine zukünftige Gattin werden sollte, sehr verletzt hatte. Doch was sollte er tun? Sollte er die Wirklichkeit verschweigen? Was wäre das denn für eine Auffassung von Glück? Marian biss sich auf die Lippe. Spätestens jetzt war wirklich der Moment gekommen, reinen Wein einzuschenken. Wann, wenn nicht jetzt, sollte er endlich darüber sprechen, dass sie gar nicht heiraten konnten , weil er bereits in festen Händen war? Spräche er jedoch über seine Ehe mit Lesley, dann wäre das Liebesglück mit Diwata sicherlich in einem Atemzug beendet. Er verfluchte sich selbst, dass er nicht schon während ihrer ersten schicksalshaften Begegnung im Rizal Park vor dem Konzert von Eraserheads gesagt hatte, dass er in Trennung lebte.
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