Marian hatte vorher einen Anruf von seinem Chef erhalten, der damit gedroht hatte, ihn sofort zu entlassen, wenn er neben der ihm noch zustehenden Ferienwoche an weiteren Tagen fehlen sollte, aus welchem Grund auch immer. Obwohl Diwata immer noch sehr schwach war, musste er wieder arbeiten, beschränkte die Zeit aber auf sieben Stunden pro Tag. Während seiner Abwesenheit leisteten Diwatas Eltern und Geschwister der jungen Frau Gesellschaft, die langsam wieder zu Kräften kam. Dennoch war sie immer noch schwach und konnte nur mit Unterstützung eines Familienangehörigen laufen. Wenn Marian nicht arbeitete, versuchte er, jede Minute bei ihr zu sein und hielt sie fest, während sie im Hofe des Krankenhauses spazieren gingen. „Ich bin wie ein Baby, das laufen lernen muss“, sagte sie und lächelte Marian an. Nach seiner hingebungsvollen Betreuung während ihrer Krankheit hatte sie nicht mehr die geringsten Zweifel. Ihre gemeinsame Zukunft war besiegelt. Sie wusste jetzt mit absoluter Sicherheit: Er soll mein Lebenspartner werden. Er oder niemand.
Während ihrer neunmonatigen Beziehunghatten Diwatas Eltern das Paar weitgehend in Ruhe gelassen, doch jetzt war ihre Geduld zu Ende. Die Hochzeit wurde nicht mehr ausschließlich in Erwägung gezogen: Sie musste von nun an akribisch vorbereitet werden.
Eines Abends im September rief Maria Dalisay Dinguinbayan an. „Ich muss mit dir dringend sprechen. Bitte komm sofort“, sagte sie streng. Diwata hatte sofort die schlimme Vorahnung, dass ihre Mutter sie züchtigen wollte. Angespannt fuhr sie nach Ermita. Die Mutter führte sie zu jenem mit einer Steinplatte bedeckten Tisch, an dem schon Marian während seiner ersten Bekanntschaft mit ihrem Vater Platz genommen hatte. Mit bedeutungsschwerem Blick sah sie die gegenüber sitzende, junge Tochter an.
„Es geht um dich und Marian“, sagte Maria Dinguinbayan mit einem gewissen Pathos. „Sag mir bitte ehrlich: Liebst du ihn wirklich?“
„Warum fragst du mich das?“, entgegnete Diwata etwas genervt, „natürlich liebe ich ihn. Ich liebe ihn über alle Maßen.“
„Was bedeutet das? Was verstehst du junges Küken schon von Liebe?“
Diwata war jetzt verletzt und reagierte ziemlich beleidigt auf diese nicht sehr taktvolle Bemerkung ihrer Mutter.
„Ich verstehe genauso viel oder wenig von Liebe wie du. Ich weiß, dass ich einen Mann gefunden habe, der perfekt zu mir passt. Er ist so gütig zu mir. Außerdem sind wir seelenverwandt. Wir interessieren uns beide für Literatur und Musik, lesen dieselben Bücher und haben den gleichen Musikgeschmack. Doch das Wichtigste ist: Er kann meine Gedanken lesen. Und er ist so ein guter Liebhaber!“
„Das kann ich mir vorstellen“, stöhnte die Mutter, „ich brauche keine Details. Das geht mich nichts an. Ich bin jedoch nicht so naiv, nicht zu wissen, was ihr beide zusammen treibt. Du weißt aber genau: Du bist hier nicht in jenen europäischen Ländern, in denen du gewohnt hast und deren freizügigen Lebensstil du offensichtlich selber führst. Auch in einer großen Stadt wie Manila und einem sehr toleranten Elternhaus kann eine wilde Ehe auf Dauer nicht mehr geduldet werden.“ Diwatas Mutter geriet in Rage. „Die gesamte Verwandtschaft und Bekanntschaft reden schon über uns. Willst du, dass deine Eltern und du weiter das Gesicht verlieren?“
„Nein, natürlich nicht“, versuchte Diwata sie zu beruhigen.
„Hast du dir also Gedanken darüber gemacht, mit ihm dein Leben zu verbringen? Verstehst du was ich meine? Weißt du, was das bedeutet? Das Leben ?“
Sie stand auf und streichelte Diwatas lange schwarze Haare.
„Nein, natürlich weißt du das nicht. Du bist noch so jung. Ein verwöhntes Gör wie du kann es gar nicht kennen. Wir haben dich viel zu sehr verhätschelt und dir alles ermöglicht. Doch ich sage dir: Das Leben ist verdammt hart. Man muss den Alltag bewältigen, seinen Unterhalt verdienen und sich später darüber hinaus um quengelnde Kinder kümmern. Spätestens dann ist die Party vorbei.“ Diwata stöhnte so genervt, dass ihre Mutter das Thema wechselte: „Übrigens: Bitte jetzt kein Kind. Vor der Eheschließung dürft ihr kein Kind bekommen, verstanden? Bitte versprich mir das!“
„Natürlich nicht, Mama“, versicherte Diwata. „Wir sind zwei Erwachsene, verantwortungsvolle Menschen. Er ist bald 26 und ich bin fast 24. Wir schützen uns. Ich nehme die Pille.“
„Gut. Doch du hast meine wichtige Frage noch nicht beantwortet: Ist er der Mann für das Leben?“
„Natürlich ist er das“, sagte Diwata und wirkte glaubwürdig. „Du sprichst von Literatur und Musik. Auch ich liebe diese Künste. Doch damit kann man heute keinen Peso verdienen.“ Diwata errötete vor Wut.
„Mama, du weißt genau, dass er in der Deutschen Bank als Finanzberater arbeitet und sehr gut verdient. Wenn es um Geld und die Zukunftsplanung geht, ist er sehr verantwortungsvoll und bodenständig. Doch er ist auch kein Langweiler, der wie ein Roboter nur seine täglichen Pflichten erfüllt. Gott sei Dank ist er auch ein humorvoller und sinnlicher Mensch mit Sinn für die Muse. Er schreibt zwar selbst keine Gedichte oder Geschichten, interessiert sich jedoch wie du weißt sehr für Literatur und unterstützt meine Arbeit an Rosario entscheidet allein.“
„Rosario entscheidet was?“, fragte Mutter Maria, als ob sie aus allen Wolken gefallen wäre.
„Oh, das habe ich dir noch gar nicht erzählt. Rosario entscheidet allein wird mein erster Roman.“
„Diwata“, stöhnte ihre Mutter, ohne auch nur eine einzige Frage zu dem heiklen Inhalt zu stellen. „Diwata, du warst immer schon exzentrisch und eigenwillig. Doch bitte versuch auch du , etwas Sinnvolles zu tun. Vielleicht kannst du eine Ausbildung als Deutschlehrerin machen und später beim Goethe-Institut arbeiten, da du diese Sprache ja perfekt beherrschst.“
„Deutschlehrer verdienen zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Das weißt auch du.“
„Auf jeden Fall verdienen sie mehr als eine naive junge Frau, die sich als Schriftstellerin versucht“ erzürnte sich Diwatas Mutter. „Fast hundert Prozent aller Manuskripte landen im Papierkorb, viele werden nicht einmal gelesen. Und selbst von denen, die entdeckt werden, können nur die Wenigsten von ihren Werken leben.“
„Fünf Prozent der Manuskripte werden gelesen und drei Prozent der Schriftstellerinnen werden entdeckt und bekommen den Vertrag eines Verlages. Ich werde eine von ihnen sein“, sagte Diwata mit trotzigem Selbstbewusstsein. „Ob ich davon leben kann oder nicht, entscheidet das Schicksal. Ich bin aber davon überzeugt, dass ich es als talentierte und willensstarke Frau schaffen werde.“
„Dein Selbstvertrauen und dein Optimismus in Ehren. Doch bleib bitte auf dem Teppich.“ Lange schwiegen sich Mutter und Tochter an. „Wirst du ihn heiraten?“, fragte die energische Frau mit peinigendem Blick.
„Ja“, antwortete Diwata aus Pflichtgefühl.
Marianwar von den Hochzeitsplänen zunächst gar nicht begeistert. „Müssen wir wirklich heiraten?“, fragte er. Diwata war zerrissen. Auch für sie hatte das Eheleben keine uneingeschränkt positive Bedeutung. Einerseits wusste sie, dass sie auch ohne Trauschein mit Marian ein erfülltes Leben führen konnte. Als unangepasster Mensch hinterfragte sie außerdem den Sinn veralteter Traditionen. Andererseits konnte sie als romantisch veranlagte Frau einer traditionellen Hochzeit mit Kutsche und Brautkleid durchaus etwas Schönes abgewinnen. Außerdem war eine Eheschließung für sie der größte Liebesbeweis, wenn sie auch wusste, dass allzu viele Paare zu leichtfertig diesen großen Schritt wagen und viel zu häufig scheitern. Nein, eine eindeutige Rebellin war sie nicht. Wie konnte sie sich gegen etwas auflehnen, was sie zugleich wünschte? Rebellion und Tradition zerrissen sie. Den geliebten Eltern wollte sie durch die Hochzeit beweisen, dass ihre Liebe zu Marian ernsthaft und aufrichtig war. Hatte sie aber wirklich gelebt? War sie nicht viel zu jung für den Bund des Lebens?
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