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Siggi wusch sich sein Gesicht mit kaltem Wasser, als könnte er damit die Erinnerungen abwaschen. Für eine kurze Zeit gelang dies. Langfristig vergaß er, wenn er high war. Er schaute in den Spiegel. Die Haut war von der eiskalten Flüssigkeit gerötet. Egger drehte den Wasserhahn zu, verließ das Bad und ging durch das Vorzimmer ins Wohnzimmer. Dort ließ er sich auf die mit orange, gelb und dunkelbraun gestreiftem Stoff bezogene Couch nieder, die seit den Siebzigern in der Wohnung stand. Die Eckbank schloss rechts an den Türrahmen an. Zwei Sitzplätze waren an der Wand, bevor sie eine L-förmige Biegung machte und bis zur Mitte des Raumes weiteren drei Personen Platz bot. Davor stand ein rechteckiger Tisch auf dem mit braunen Teppichfliesen ausgelegten Boden, der an seinen vier Ecken abgeschrägt und mit beigefarbenen Keramikfliesen bedeckt war. Er setzte sich auf einen Platz an der Wand, von dem man linker Hand einen Durchgang in die kleine Küche sah, deren orangefarbene Schranktüren im Widerstreit mit dem grünen Linoleumboden standen. Egger holte eine Zigarettenpackung und ein billiges Feuerzeug aus der Hosentasche, zündete sich eine an und zog den Aschenbecher, den er aus einem Lokal mitgehen ließ, von der Mitte des kleinen Tisches zu sich heran. Er überlegte, ob er den alten Röhrenfernseher, der in der linken hinteren Ecke des Wohnzimmers auf einem Beistelltisch stand, einschalten sollte. Er ließ es bleiben. An der Gegenüberwand waren zwei Fenster, die blassgelben Rollos heruntergelassen. Zwischen den Fensteröffnungen befand sich ein kleiner, dunkelbrauner Esstisch mit zwei Sesseln. Siggi spürte einen leichten Druck im Rücken. Er legte die brennende Zigarette im Aschenbecher ab, griff nach hinten und zog ein Küchenmesser aus dem Gürtel. Er hatte es nach der Tat eingesteckt, da er es nicht am Tatort zurücklassen wollte. Siegfried hatte vergessen, dass ein Messer zwischen Gürtel und Hosenbund steckte. Ein Glück, das er es sich nicht in den Rücken gestochen hatte, als er sich setzte. Er betrachtete die Klinge, drehte sie in der Hand. Sie war blutverschmiert. Siggi legte das Messer auf den Couchtisch, stand auf und zog die Jeans aus. Er prüfte, ob die Hose Blutflecken aufwies. Mit einem blauen Slip bekleidet betrachtete er im Stehen seine Hose. Sie hatte auf der Gesäßnaht Spuren von Blut. Das Schneidegerät hatte abgefärbt, dacht er sich. Er musste die Jeans waschen. Was war heute schief gelaufen? Die kleine Stadtvilla hatte vielversprechend ausgesehen.
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Die Villa stand inmitten anderer Häuser gleicher Bauart. Jedes für sich, umgeben von Gärten, hohen Zäunen und Hecken. Es war kalt diesen Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Es versprach ein trüber Tag zu werden, wie die Tage zuvor. In der Früh war es kalt gewesen und es hatte nach Winter gerochen. Es würde um einiges wärmer. Bei der ungewöhnlichen Wetterlage fand Egger die Kombination aus Daunenjacke und T-Shirt angemessen. Er konnte bei ansteigender Temperatur den Reißverschluss der Jacke öffnen und war tagsüber nicht übermäßig eingepackt. Hinter der rosafarbenen Stadtvilla war ein Bahndamm, der den Einblick auf das Grundstück von dieser Seite aus unmöglich machte. Am Tag zuvor hatte er sich am Damm entlang bis zu dem Haus geschlichen und sich im schmalen Streifen aus Buschwerk, der die Bahnböschung von der Grundstücksgrenze trennte, versteckt. Er hatte sein nächstes Ziel ausgespäht und es schien ein Volltreffer zu sein. Die Villa wurde von einem älteren Pärchen bewohnt. Keine Kinder oder andere Mitbewohner. Gestern verließen sie gemeinsam gegen acht das Haus und kamen erst am späten Nachmittag zurück. Einzubrechen wäre leicht gewesen. Am ersten Tag der Beobachtung war ihm das zu riskant, obwohl er dringend Geld brauchte. Siggi hatte dahingehend schlechte Erfahrungen gemacht. Einen kleinen Rundgang um die Villa gönnte er sich. Die Bewohner schienen beide berufstätig zu sein. Gut. Den ganzen Tag ein unbewachtes Haus, von hohen Hecken umgeben, die zu dieser Jahreszeit kein Grün trugen. Sie boten einen hervorragenden Sichtschutz, obwohl die Blätter fehlten. Heute wagte er es. Siegfried sah die Wolken am Himmel an. Alles grau. Er hoffte, dass der Regen noch auf sich warten ließ. Eine nasse Wiese konnte er nicht gebrauchen. Man schleppte den Schmutz ins Haus und hinterließ Fußspuren. Im Haus, aufgrund der schlammigen Schuhe, und davor, in der weichen Erde. Siggi war bei jedem Einbruch darauf bedacht gewesen, wenig Spuren zu hinterlassen. Er war keiner der Einbrecher, die alle Laden und Schränke aufrissen und Sachen durchwühlten. Er suchte gezielt und verließ den Tatort in dem Zustand, in dem er ihn aufgefunden hatte. Den Schmuck und das Bargeld ausgenommen. Die Hausbesitzer sollten erst spät bemerken, dass er hier gewesen war. Siegfried zog die Riemen des militärgrünen Rucksacks, den er für das Diebesgut mitgenommen hatte, enger um die Schultern.
Im morgendlichen Zwielicht beobachtete Egger, wie sich der Hausherr an der Türschwelle mit einem Kuss von seiner Frau verabschiedete. Er ging ohne Ehefrau. Es war erst sieben Uhr. Musste er früher zur Arbeit? Siggi war davon überzeugt, dass die Frau noch fortginge, da sie mit einem eleganten Nadelstreifkostüm bekleidet war. Er wartete weiter. In dieser Stadtvilla gab es reiches Diebesgut zu holen. Bei seinem vortägigen Rundgang war es ihm gelungen, einen Blick durch die Fenster zu werfen. Die Terrassentüren, die man von Bahndamm aus sehen konnte, führten ins hell eingerichtete Wohnzimmer. Die beiden Chesterfield Sofas waren nicht billig gewesen und der große Flachbildfernseher zeichnete das Haus als lohnenswertes Ziel aus. Alles war sauber und aufgeräumt. Sein Rundgang hatte ihn an der Eingangstür vorbei zur Vorderseite des Gebäudes geführt. Durch das erste Fenster hatte er eine rustikale Küche, in der scheinbar nicht viel gekocht wurde, gesehen. Dort schaute er sich heute um. Das Geld war öfter in der sprichwörtlichen Kaffeedose versteckt, als man dachte. Egger hatte das Haus umrundet. An der Hauswand gegenüber dem Eingang hatte er erneut durchs Fenster gespäht. Ein Arbeitszimmer. Hier musste er hineingehen, wenn er im Haus war. Bei den Terrassentüren einbrechen, das Büro und die Küche durchsuchen, durch das Wohnzimmer und im Anschluss hinaus, wo er hereingekommen war. Der Plan stand.
Die Hausherrin musste bald die Villa verlassen. Siegfried lag auf der Lauer. Wenn man bewegungslos in einer Hecke kauerte, wurde es frisch. Die Tatsache, dass der nächste Schuss lange überfällig war, verbesserte Siggis körperliches Befinden kein bisschen. Er zog sich die alten, schwarzen Lederhandschuhe an, die bis jetzt in den Taschen seiner Daunenjacke gesteckt hatten. Eine Stunde musste er warten. Er getraute sich nicht, zu rauchen. Wenn die Hausbesitzerin vom Wohnzimmer aus Richtung Damm schaute, wäre ihr die leuchtende Glut aufgefallen. In der Wartezeit hatte er, ohne angezündete Zigarette, öfter das Gefühl entdeckt worden zu sein. Die Frau sah von Zeit zu Zeit aus dem Fenster in den Garten. Sie stand hinter den Scheiben der Terrassentüren und schien ihn geradewegs anzusehen. Er versuchte, sie einzuschätzen. Ein teures Kostüm, dunkle, schulterlange Haare, schlank. Der Kragen ihrer weißen Bluse war über die Schultern des Nadelstreifsakkos gelegt. Eine Managerin bei einem großen Betrieb, dachte er. Eine Businessfrau. Hatte sie ihn entdeckt? Rief sie die Polizei? Siegfried verwarf den Gedanken. In den Büschen war er ausreichend geschützt. Vor allem, wenn man nicht damit rechnete, dass hier jemand hockte und vor sich hin fror. Jetzt könnte sie das Haus schön langsam verlassen, dachte Siggi. Der Entzug entfachte eine unangebrachte Hast in ihm. Wäre es besser gewesen gestern zuzuschlagen? Nein, das wäre überstürzt gehandelt. Er musste sich zusammenreißen. Es dauerte noch eine Weile, bis er zu frischem Stoff kam. Wenn er kein Bargeld fände, müsste erst das Diebesgut verkauft werden. In diesem Fall ließe er eine Geldbörse aus einer Handtasche mitgehen. Egger wollte solche kleinen Diebstähle nicht mehr machen. Das Risiko stand in keiner Relation zum Gewinn. Die potentiellen Opfer wurden aufmerksamer und aufgrund der Tatsache, dass jeder ein Mobiltelefon bei sich trug, war die Polizei schnell alarmiert.
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