Richard Gutjahr - G! book

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Wir Blogger führen ein beneidenswertes Leben. Gut vernetzt, always on – doch wehe man kappt unsere Datenzufuhr und schickt uns ins Reallife… Begleiten Sie mich auf mein vielleicht größtes Abenteuer: in ein (gedrucktes) Buch! 50 ausgewählte Blogtexte aus 2 Jahren G! gutjahrs blog.

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“It doesn’t matter how good or bad the product is,

the fact is that people don’t read anymore.”

Steve Jobs, 2008

Impressum / Imprint

Copyright: © 2012 Richard Gutjahr

Published by: epubli GmbH, Berlin

ISBN 978-3-8442-1734-6

Vorwort

Jetzt ist es also passiert. Auch ich habe ein Buch vollgemacht – 50 ausgewählte Blogposts aus den letzten beiden Jahren. Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich betrachte mich nicht als Schreiber. Weder verfüge ich über das prosaische Talent einer Daniela Katzenberger, noch über die abstrusen Fantasien eines Thilo Sarrazin. Deshalb erscheint dieser Band auch nicht in einem renommierten Bestseller-Verlag, sondern im Do-it-yourself-Verfahren und kostet, je nachdem über welche Plattform und in welcher Form (digital oder analog) es erworben wurde, nicht viel mehr als ein Happy Meal.

Wie so ziemlich alles, was ich anpacke, geht es mir bei diesem Projekt nicht darum, reich zu werden. Vor allem geht es darum, neue Dinge auszuprobieren. Sollten Sie über Tipp- oder Formatierungsfehler stolpern, bitte ich das zu entschuldigen. Genauso wenig kann ich für all die Extras, etwa die Video-Qualität garantieren, sollten Sie dieses Buch als enhanced eBook im iBooks-Store erworben haben. Sie wissen ja: Life is a beta.

Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit mit Mark Trahant, Politik-Chef bei der traditionsreichen und mittlerweile eingestellten Print-Ausgabe des Seattle Post Intelligencer, zu reden. Ich fragte ihn: Wenn er eine Zeitmaschine hätte und zurückreisen könnte, in die Ära, in der es der Print-Industrie noch gut ging, was würde er heute anders machen? „Experiment like crazy“, so die Antwort des preisgekrönten Journalisten. Man habe sich viel zu lange darauf verlassen, dass alles so weiter laufe wie gehabt. „Our biggest problem was: We didn’t fail enough“.

Mein größter Respekt gilt daher allen digitalen Pionieren, von denen wir auch Dutzende hier bei uns in Deutschland haben: Sascha Lobo, Johnny Haeusler, Markus Beckedahl, Mario Sixtus, Markus Hündgen, Thomas Knüwer, Daniel Fiene, Deef Pirmasens, Björn Eichstädt, Julia Probst, Dirk von Gehlen, Inge Seibel, Christian Jakubetz, Ulrike Langer und Marcus Schuler, um nur einige zu nennen. Von Marcus stammen übrigens auch die tollen Fotos, die er mit mir im Gutenberg-Museum in Mainz aufgenommen hat. Danke dafür!

Auch wenn die Blogosphäre, die uns alle irgendwie verbindet, nicht wirklich eine homogene Gemeinde ist; es macht richtig Spaß, mit Euch gemeinsam, jeder für sich, auf seine Weise, mit seinen ganz eigenen Talenten, diesen Kosmos zu erforschen. Wer weiß, vielleicht werden wir eines Tages in unseren Floppydisk-/CD-ROM-Sammlungen, USB-Sticks oder Buch-Experimenten wie diesem hier schwelgen und sagen: War doch eine verdammt gute Zeit, damals, als die Menschen noch eBooks lasen.

Life is a beta

Mein Freund der Chef Neulich ist mir was Blödes passiert Mein Chef wollte - фото 1

Mein Freund, der Chef

Neulich ist mir was Blödes passiert. Mein Chef wollte mein Freund werden. Bei Facebook.

Warum will der mich zum Freund? Hat der nicht genug? Oder will er wissen, mit wem ich so verkehre? Darf man die Freundschaftsanfrage seines Chefs ausschlagen? Und wenn ja, sind wir dann Feinde?

Facebook statt Parteibuch, so werden heute Karrieren gemacht! Ich sehe schon die Ankündigung: „Gutjahr und der Boss sind jetzt Freunde. 7 Kollegen gefällt das, bis auf Meier, der findet, Gutjahr ist ein Schleimer!“

Facebook wird mir unheimlich. Nicht wegen des Datenschutzes, sondern wegen dieser nervigen Mafia-Clans. Unerwünschte Bandenwerbung, dagegen sollte die Frau Aigner mal was unternehmen! Und dann diese Selbsttests: „Welche Stadt passt zu Dir?“ Kapstadt oder Karstadt, wen interessiert das?

Gibt es eigentlich ein Anti-Facebook, für Leute, die man nicht mag? Und wenn ja, wie würde man seine Mitmenschen dazu einladen? Mit der Frage: Möchtest Du mein Feind sein?

Die Freundschaftsanfrage meines Chefs habe ich dann am Ende übrigens ignoriert. Neulich ist er mir auf dem Gang begegnet. Er ging an mir vorbei – grußlos.

Es heißt, das Internet vergisst nie. Mein Chef leider auch nicht.

Coffee Cowderwelsh

Sprechen Sie Starbucks? Amerikanische Kaffeehaus-Ketten schaffen ihre eigene Wirklichkeit – sogar eine eigene Sprache.

Als Internet- und Computer-Junkie verbringe ich einen Großteil meines Lebens in Kaffee-Bars, um genau zu sein: Ich wohne dort. Meine Mitbewohner, die ‚Barista’ (der Begriff stammt ursprünglich aus dem Italienischen, siehe auch: „unterbezahlte Studienabbrecher hinter der Theke“), also diese Kaffee-Spezialisten und ich, wir bilden die perfekte Einheit: Ich fletze in der Couch und surfe mit meinem Laptop ziellos im Internet, während meine Kaffee-Sklaven hinter mir herräumen und den Abwasch machen. Manchmal, wenn ich gut drauf bin, bringe ich meine Tasse auch selbst zurück, und wenn auch nur, um einen ‚Refill’ zu verlangen.

Was mich an amerikanischen Kaffeehausketten von Anfang an besonders fasziniert hat, ist diese ganz eigene Deutung der Dinge. Das beginnt schon mit der Bestellung. Da hat man die Wahl zwischen den Größen: ‘Tall’, ‘Grande’ und ‘Venti’. Kleinen Kaffee gibt es nicht. Ich erinnere mich noch an meine allererste Bestellung – ein Desaster! „Ich hätte gerne einen schwarzen Kaffee.“ – „Sehr gerne. Wie hätten Sie ihn gerne?“ In dem Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte: „In einer… Tasse?“

„Decaf oder vielleicht mit einem Shot?“, legt die Baristarin nach (Baristesse? Baristarette?) –„Mit einem was?“- „Ein Schuss Espresso?“ erklärt der weibliche Barista. Ich winke ab: „Nein danke, bitte nicht schießen.“ „To go?“ – wieder bin ich total verunsichert: „Zum Trinken, eigentlich.“ Ganz zum Schluss noch die Frage, ob ich Platz für Milch möchte. Ich so – total überfordert: „Kostet das extra?“. „Nein“, antwortet sie, „davon können Sie soviel haben, wie Sie wollen“.

Heute gehe ich auf die Wiesn. Dann ziehe ich mit Laptop und Lederhosen ins Bierzelt. Die werden Augen machen, wenn ich dort ganz fachmännisch meine Bestellung aufgebe: „Bedienung – bitte einmal Venti im Maßkrug to stay mit Schuss und extra viel Platz für Schaum.“

O'gleint is!

Meine Nachbarn, ein pensioniertes Ehepaar, und ich sind ausgesprochene Flohmarkt-Fans. Es hat bei uns im Haus Tradition, zu den Schwabinger-Hof-Flohmärkten früh aufzustehen, um die Verkaufstische aufzubauen und unsere „Keller-Schätze“ zu präsentieren. Doch was soll ich Ihnen sagen: das Geschäft läuft nicht mehr so, wie das früher mal der Fall war. Die Leute kommen, schauen, gehen dann aber weiter. Besonders schlecht laufen Bücher. Ich habe einen dunklen Verdacht, wer Schuld hat an dieser Entwicklung: das Internet.

Sollte noch jemand daran gezweifelt haben: Wir Deutsche sind o’gleint: Das geht aus der ARD/ZDF-Onlinestudie 2011 hervor, die heute veröffentlicht wird. Demnach sind 51,7 Millionen Deutsche aktiv im Netz – das entspricht 73 Prozent der Bevölkerung und übertrifft die Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl. Grund für diesen rasanten Anstieg: die Rentner. Jeder dritte Über-60-Jährige ist online, das ist ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 23 Prozent!

Neben E-Mail-Verkehr und Surfen gehören Online-Shopping, aber auch verstärkt Soziale Netzwerke zu den Top-Anwendungen. Die Zahl der Deutschen, die bei Facebook registriert sind, hat sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Ob Politik, Wirtschaft, Kultur oder Religion, 20 Jahre nach seiner Einführung ist das weltweite Netz endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wer nicht dabei ist, findet quasi nicht mehr statt. Es gibt aber auch Verlierer dieser Entwicklung, die sogenannten „Offliner“. Dabei handelt es sich vor allem um ältere Frauen. Auch bildungsferne Schichten haben zwar rein theoretisch Zugang zum Wissen der Welt, wissen damit aber offenbar immer weniger etwas anzufangen. Eine gewaltige Aufgabe, vor der unsere Gesellschaft da steht.

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