Sammy und Juan eilten ihm zu Hilfe. Sie quetschten sich in den Gang und kratzten mit ihren Händen hastig Erde beiseite, um ihn nicht mit ihren Schaufeln zu verletzen. Auch Assengee, der gerade neues Holz geholt hatte, eilte herbei, stand aber etwas unbeholfen neben der Szenerie. Im Schacht war kein Platz mehr für ihn. Doch nach einer halben Minute kamen Sammy und Juan auf allen Vieren herausgekrochen. Jeder von ihnen zog an einem Fuß des Verschütteten.
Zurück an der frischen Luft schüttelten sie McCollum durch und schrien ihn an, er solle die Augen aufmachen. Doch zuerst öffnete sich sein Mund. Erde fiel von seinen Lippen in seine Kehle und sein gesamter Körper schüttelte sich in einem heftigen Hustenanfall. Als er die Erde und sein Frühstück ausgewürgt hatte, blinzelte er langsam ins Sonnenlicht.
"Was war das für eine Scheiße?", fragte er seine Retter, die erleichtert waren, dass er noch in der Lage war, sich solche Fragen zu stellen. Er war in Ordnug, hatte nur ein wenig Erde geschluckt und würde morgen schon wieder arbeiten können. Für diesen Tag war jedoch für alle Schicht.
Und auch der darauffolgende Tag ging nicht seinen gewohnten Gang. Alle Bürger wurden morgens in den Parlamentssaal geladen – eine Premiere. Der mit Glas und Beton verkleidete Saal hatte noch nie so viele Menschen gesehen. Birga stand am Pult: "Gestern Morgen gab es einen Anschlag auf unseren Bergbau. Die gute Nachricht ist: Es gab keine Toten oder ernsthaft Verletzten. Die schlechte Nachricht ist, dass unsere Entwicklung nach wie vor Neider hervorruft." Neben Birga und dem Pult saßen Ivan und Mark, beide in ziviler Kleidung. "Wir wussten von diesen bösartigen Plänen", fuhr Birga fort. "Deshalb haben wir die Arbeiten gestern verlegen lassen."
Applaus brandete auf. McCollum sprang nach einigen Sekunden von seinem Sitz auf und klatschte so heftig in die Hände, wie er konnte. Das waren echte Helden. Sie hatten sein Leben gerettet!
"Wir haben noch keine hundertprozentigen Indizien, wer hinter diesem feigen Attentat steckt", sagte Birga.
"Die Anderen!", schrie Porter aus der zweiten Reihe dazwischen. Die erste Zuhörerreihe war leer geblieben. In diesem Moment räusperte sich Mark und versteckte sein Grinsen so hinter vorgehaltener Hand.
"Uns allen ist klar, dass wir uns von dieser beispiellosen Aggression nicht einschüchtern lassen dürfen", sprach Birga mit ruhiger, klarer Stimme weiter. "Wir werden unsere Bemühungen in der Mine noch weiter verstärken, auch wenn es persönliche Opfer erfordert."
"Wozu brauchen wir diesen Untertagebau eigentlich?", fragte Manuel Arnan plötzlich dazwischen.
Birga stockte kurz und sprach dann weiter: "Deshalb werden wir..."
"Wozu brauchen wir das?", rief Arnan wieder. "Wofür mehr Geld?"
Birga sah seine Kollegen rechts und links von ihm verdutzt an. Dann wandte er sich an Arnan: "Zuschauer haben während Regierungssitzungen oder Bekanntmachungen eigentlich kein Rederecht."
"Ist das etwa kein Parlament? Kommt 'parla' nicht von 'sprechen'?", wollte Arnan wissen.
"Doch. Dazu gibt es schließlich den Punkt 'Fragen und Anmerkungen'", log Birga.
Die meisten anderen Zuhörer waren derweil konsterniert. De Geet war interessiert.
Porter war wütend. "Unterbrich ihn nicht", schrie er Arnan nach einem kurzen Augenblick der Verdutztheit an.
Birga stockte nochmal kurz, sammelte sich dann aber und sprach wieder ruhig und oberflächlich nur leicht verärgert weiter: "Deshalb werden wir einige Schritte einleiten, um den Bergbau zu stärken. Betroffene erhalten in Kürze entsprechende Informationen. Auf uns alle wartet Arbeit, die wichtiger ist denn je. Also halten wir die Fragen und Anmerkungen heute doch bitte kurz!"
"Nur eine Frage", sagte Arnan, "Gibt es hier eigentlich Wahlen?"
"Ja. Der Termin für die nächste Abstimmung wird in Kürze bekanntgegeben", kam Birgas Antwort ohne zu zögern. Dann schloss er die Sitzung.
Zwei Tage später, zurück in der Mine, stellten De Geet und die Arbeiter fest, dass die Terroristen ihnen unabsichtlich einen Gefallen getan hatten. Die Explosion hatte ihren Schachtbau deutlich vorangetrieben, sodass ihnen der Durchbruch zum anderen Schacht schon am nächsten Tag gelingen könnte. Es musste zwar jede Menge Dreck weggeschaufelt werden, doch das ging dank dem wieder herbeigeschafften Bagger recht schnell.
Zur Mittagspause war De Geet wieder bei den Männern. Er hatte eine schlechte Nachricht im Gepäck: Die Arbeitszeiten in den Stollen müssten verlängert werden. "Tut mir leid, Anordnung von oben", sagte er zu den murrenden Männern. In Zukunft sollten sie mindestens zehn Stunden am Tag arbeiten. Bisher waren es nur neun Stunden gewesen. Als die Arbeiter sich auch nach mehreren Minuten nicht beruhigen wollten, wurde De Geet allmählich etwas ärgerlich. "Jetzt jammert nicht rum! Wenn ihr wüsstet, wie viel ich meistens arbeite. Mit der ganzen Planung, den Messungen und den Berichten nach oben. Das ist nun mal so. Arbeit ist eben Arbeit, Leute! Oberst Ivan lässt euch ausrichten, dass ihr einen super Job macht, dass wir aber unseren Vorsprung den Anderen gegenüber ausbauen müssen."
Das sahen die Männer ein. Mittlerweile waren nicht nur Sammy und Juan, sondern auch McCollum und Assengee von der Bedrohung durch die Anderen überzeugt. Nachmittags besserte sich die Stimmung auch schnell wieder: Den Arbeitern gelang der Durchbruch zum kleinen Probestollen, wo die Rohstoffe gefunden worden waren.
In den vergangenen Tagen waren bereits Güterloren herbeigeschafft worden, die im großen Stollen bereitstanden. Schon bald würden die Wagen sich mit ersten Bodenschätzen füllen und könnten unterirdisch nach Settlers Port transportiert werden. Für das kleine Schienensystem hatte die Regierung kräftig investiert. Es war zeitgleich zum Tunnelbau verlegt worden. Einen Ausgang nach Settlers Port hatten die Arbeiter bereits am Vortag gegraben. Das war allen recht gewesen, schließlich mussten sie so nicht sofort wieder an den Ort des Attentats zurück.
Jetzt genossen die Männer ihren Erfolg bei einer Zigarette. De Geet hatte sogar ein paar Bier in den Stollen gebracht. Sichtbar stolz über das Vollbrachte, versprach er den Männern, den Erfolg sofort nach der kleinen Feier weiterzumelden. Das alles gab den Arbeitern in der Mine einen regelrechten Schub: Trotz feiger Sabotage und Mordversuchen hatten sie ihr erstes Ziel erreicht. Das lag zum einen an ihrem Fleiß und ihrer Hingabe. Zum anderen hatte ihre Regierung aber wieder einmal ihre Kompetenz bewiesen und sie vor dem Attentat bewahrt.
Und letztendlich hatten auch die Anderen wieder einmal gezeigt, dass sie eher böse als fähig waren. Sie hatten sich mit der Bombe im Stollen ein Eigentor geschossen. Hochmotiviert machten sich Sammy, Juan, McCollum und Assengee nun daran, den Stollen mit Balken abzustützen und die schon bereitliegenden Schienen bis kurz vor die Rohstoffvorkommen zu verlegen. Sie konnten es gar nicht erwarten, vielleicht schon morgen die erste gefüllte Lore in Richtung Settlers Port zu schieben. Sie arbeiteten so motiviert, dass sie trotz aller Strapazen und Anstrengung den Feierabend vergaßen.
Da sich nun alles am Übergang zwischen Stollen und Höhlensystem abspielte, hatten sie einige der eckigen Scheinwerfer herbeigeschafft, die die Höhle ausleuchteten. Die ohnehin schon lückenhafte Beleuchtung wurde dort somit noch dürftiger.
Die Männer waren sosehr damit beschäftigt zu hacken, Stützpfeiler zu platzieren, den Boden zu ebnen und Schienen zu verlegen, dass sie gar nicht bemerkten, dass sich ihnen ein Licht nährte. Ivans Helmlampe leuchtete auf die Schienen, während er an diesen entlang schritt. Er war in Settlers Port in den Tunnel eingestiegen, gleich nachdem er die Nachricht vom Durchbruch erhalten hatte. Nun sah er sich das wunderbare Werk an, blieb immer wieder stehen und leuchtete an die Wände. Das tat er überall dort, wo die Arbeiter etwas nachgebessert hatten. Als er schließlich bei den Männern ankam, blieb er eine ganze Weile unbemerkt hinter ihnen stehen. "Meine Herren!", sagte er schließlich mit fester Stimme. Plötzlich verstummte der Arbeitslärm. Vier Köpfe drehten sich zu ihm um und vier Lampen leuchteten ihm durch den aufgewirbelten Staub ins Gesicht. Der Helm warf einen Schatten über seine Augen, doch der Rest war hell erleuchtet und die Arbeiter sahen, wie sich sein Mund bewegte. Vom Lärm noch halb taub, hörten sie ihn nur gedämpft sprechen: "Wir sind stolz auf das, was Sie geleistet haben. Heute ist der Durchbruch im wahrsten Sinne des Wortes gelungen! Der Durchbruch zu einer neuen Stufe des Wohlstands und der Entwicklung auf der Insel." Ivan lächelte.
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