1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 So hätte die akustische Gebetsattrappe wohl bis zum nächsten Winter angehalten wenn Binnich nicht eine Idee gekommen wäre. Für seine neue Religion hatte er sich ja auch schon einige Rituale und Zeremonien ausgedacht, wie etwa die Taufzeremonie. Dabei müsste der Täufling künftig bis zu seiner Volljährigkeit warten und bekäme das Weihwasser dann nicht mehr auf den Kopf geträufelt, sondern in einem Glas serviert, um sich die Religion sozusagen wahrhaftig einzuverleiben. Das Weihwasser könnte dabei dann auch wahlweise durch schärfere Getränke ersetzt werden.
Durch solch innovative Ideen erhoffte sich Binnich regen Zulauf für seine neue Religion. Dummerweise hatte er sich zu Beerdigungen aber bisher nur lockere Gedanken gemacht und musste nun für den Moment improvisieren. Irgendetwas körperlich Theatralisches mit erhobenen Händen schwebte ihm vor. So wollte er die gespenstisch anmutende Murmelrunde erst einmal beenden.
„…sei es wie es sei …so sprach der Herr …nun ist es gut.“, sagte er jetzt laut und deutlich, wobei er die Arme zum Himmel streckte. Das Gemurmel der Arbeiter verstummte daraufhin und vereinzelte erleichterte Seufzer waren zu hören. Binnich trat nun dicht vor den Aufgebahrten. Um sich auf alle Fälle von den bekannten kirchlichen Ritualen abzusetzen, nahm er beide Hände zu einer großen Faust zusammen, bewegte sie über dem leblosen Körper im Kreis und gab dazu herzzerreißende Klagelaute ab. Für außen stehende sah es so aus, als würde ein zu klein geratener Koch der sich gerade die Finger verbrannt hat trotzdem tapfer weiter im Suppentopf rühren. Irritiert über diese ungewohnte Performance sahen ihm die Arbeiter dabei zu. Binnich merkte sofort, dass diese Trauer-Zeremonie nicht besonders ankam und wechselte zu einer anderen Variante. Seine Rührbewegungen brach er ab und versuchte mit strengem Tonfall das aufgekommene leise Gekicher zu unterbinden.
„Denn höret, so sprach der Herr …ich habe es gegeben …aber nun will ich es auch wiederhaben.“
Das Kichern war zwar verstummt, die irritierten Blicke blieben jedoch. Als wollte er dem Toten seinen Segen erteilen streckte er beide Arme über ihm aus und verlieh seiner Stimme einen feierlichen Klang.
„Denn jeder Mensch, der lebt, der muss … auch einmal gehen, dann ist Schluss…“
Das sofort wieder einsetzende leise Gekicher versuchte Binnich zu unterbinden indem er lauter fortfuhr.
„Drum Herr erbarme dich und schau …nimm zu dir diese arme …äääh …Seele.“
Im letzten Moment hatte er noch die Kurve gekriegt. Einfach so aus dem Stegreif zu moderieren war wohl doch etwas zu gewagt und er hatte nun alle Mühe die langsam ausufernde Stimmung wieder einzufangen. Einige der Arbeiter grinsten ihn offen an, andere versuchten mehr oder weniger erfolgreich ihre Lachanfälle zu unterdrücken. Um der Trauerfeier ihre Würde zurückzugeben entschied sich Binnich für ein ziemlich barsches „Amen“. Weil die Unruhe sich aber auch danach nicht restlos legte, setze er im Kasernenhofton nach. „Aaaamen habe ich gesagt…“
Die Arbeiter zuckten zusammen und antworteten ebenfalls mit einem braven „Amen“. Noch einen Moment guckte Binnich tadelnd in die Runde der jetzt wieder mit demütig gesenkten Köpfen dastehenden Trauergemeinde und beschloss dabei die feierliche Handlung doch erst noch einmal auf herkömmliche Weise abzuschließen. Gänzlich neue Zeremonien müssten anscheinend besser durchdacht und genauer vorbereitet werden. Er bekreuzigte sich, segnete die Anwesenden und lud dann zu einem besinnlichen Gedenken in den Gemeinschaftsraum. Mit wehendem Talar eilte er zurück in seine Unterkunft.
*
Billbo knipste mit den Augen, aber die beiden schwarzen Gesellen verschwanden nicht. Im Gegenteil, sie guckten und verhielten sich so, als wenn sie genau dorthin gehörten wo sie momentan standen. Und tatsächlich hatten sie ja auch Recht. Obwohl er nicht mit Absicht hierher gekommen war, musste er sich doch eingestehen, dass er hier der Eindringling war. Die Schwarzen tuschelten und schienen sich auch nicht so recht wohlzufühlen. Billbo sah sich derweilen verstohlen um, ließ dafür aber vorsichtshalber nur seine Pupillen in den Augenhöhlen herumwandern. Sein Körper stand bewegungslos da und wunderte sich. Wohin sie hier geraten waren konnte sich keine der Milliarden Billbo-Zellen erklären, zumal sie sich auch fühlten, als wären sie nur noch eine Kopie ihrer selbst. Mitten in das Wundern hinein raschelte es in seinem Kopf und er hörte jemand sprechen. Eine tiefe ruhige Stimme summte ihm durch den Kopf und schien nicht nur durch Überreichweiten irrtümlich empfangener Funkverkehr zu sein, sondern sich genau an ihn zu richten.
„Hallo …leider habe ich mich etwas verspätet und kann dich erst jetzt begrüßen. Willkommen, ich bin dein Router der dir auf deinen neuen Wegen behilflich sein wird. Wenn du Fragen hast, kannst du …“
Mit einem unwirschen „Schttt“ versuchte Billbo die Stimme zu vertreiben oder wenigstens zum Schweigen zu bringen. Mit seiner inneren Stimme, die so ähnlich wie die Stummschaltung am Telefon funktionierte und für Außenstehende nicht zu hören war, antwortete er dem ungebetenen Redner unwirsch.
„Ich habe niemanden um Hilfe gebeten …und außerdem ist das m e i n Kopf.“
Die Stimme wollte wohl gerade antworten, was Billbo anhand der eingeatmeten Luft hörte, wurde aber sofort von ihm unterbrochen.
„Ich denke ich war deutlich genug …ich brauche keine Stimmen in meinem Kopf, die verwirren nur. Wenn du jetzt also gehen würdest …danke.“
Ein kurzes Geräusch das sich wie ein „Tss“ anhörte huschte noch durch seinen Kopf, dann entfernten sich Schritte, eine Tür klappte und es herrschte wieder Stille.
Die Schwarzen hatten ihn die ganze Zeit über beäugt. Das „Scht“ hatte sie zwar kurz erschreckt, wurde dann aber als Betriebsgeräusch, wie etwa die arbeitenden Druckluftbremsen beim LKW, abgetan. Und weil er sich die ganze Zeit nicht geregt hatte, gingen sie jetzt neugierig einige Schritte auf den Erschienenen zu. Geetnich fand als erster die Sprache wieder. Zwar nur flüsternd aber immerhin mit ordentlich aneinander gereihten Worten wendete er sich an Machmanix. „Soll das einer von uns sein?“
Machmanix zog ein zweifelndes Gesicht und antwortete im ebenso leisen Flüsterton.
„Die Farbe stimmt ja, aber …sein Fell ist so glatt.“
Vorsichtig deutete er dann auf die im Gürtel steckenden Blitze.
„Und jede Menge Orden scheint er auch zu haben.“
Weil sich Billbo noch immer nicht von der Stelle rührte und wie eine Wachsfigur dastand, wurden sie mutiger und näherten sich. Geetnich, der todesmutig einen gaaaanz langen Arm machte um dann mit einem Finger über Billbos noch glänzenden Taucheranzug zu streichen, nickte zustimmend.
„Tatsächlich …nicht ein einziges Haar.“
Machmanix fuhr plötzlich der Schreck in die Glieder. Er packte Geetnich am Arm und zog ihn einige Schritte mit zurück. Der sah seinen Kollegen fragend an und versuchte sich zu befreien. Vor dem reglos glänzenden Schwärzling hatte er keine Angst mehr und wollte ihn näher untersuchen. Machmanix hielt ihn aber umso fester am Arm zurück, wobei er ihm ehrfürchtig zuflüsterte. „Womöglich ist e r das …“
Geetnich schluckte, auch er zog diese Möglichkeit jetzt in Betracht und jeglicher forsche Entdeckertrieb fiel von ihm ab. Wie zwei ängstliche Kinder hielten sie sich nun an den Händen während ihnen hektische Gedanken durch den Kopf jagten. Sollte ihnen hier tatsächlich das Oberhaupt aller Schwarzen erschienen sein? Der, den alle nur vom Hörensagen oder aber aus dem Buch der Prophezeiungen kannten. Wollte er sie prüfen? Sollten sie sich glücklich schätzen oder eher ängstigen? Waren sie womöglich Auserwählte und ahnten es nicht? Machmanix sank auf die Knie und zog Geetnich mit hinunter. Etwas Unterwürfigkeit könnte ja vielleicht nicht schaden. Wer weiß wofür es gut war. Stumm knieten beide nieder und versuchten mit einer Überraschung vorgaukelnden Oh-ihr-seids-Herr-wir-haben-dich-gar-nicht-erkannt-Miene dem vermeintlichen Oberhaupt ihre Untertänigkeit zu beweisen. Über diese unmissverständliche Geste wurde nun wiederum Billbo mutiger. Egal wer die beiden waren, was sollte einem schon passieren wenn man so empfangen wurde. In seine Stimme packte er soviel Gelassenheit wie möglich als er sich endlich doch bewegte und die beiden ansah.
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