Während vor langer, langer Zeit bei den einfachen Menschen allein die Frage im Vordergrund stand: Wie finde ich täglich etwas zu essen ohne selbst gegessen zu werden, und ihnen dabei völlig gleichgültig war, ob sie auf einem Würfel, einer Pyramide oder einem fliegenden Teppich lebten, waren die Gebildeten davon überzeugt, dass die Erde eine Scheibe sei, mit einer Art Käseglocke darüber, die vor bösen Geistern und Platzregen schützte. Erst sehr viel später und ziemlich langsam setzte sich bei allen Menschen die Erkenntnis durch, dass man auf einer Kugel lebt. Aber trotzdem blieben immer noch viele Fragen offen. Über sich vermutete man zwar die Götter, aber was geschah u n t e r den eigenen Füßen, i n der Kugel?
Anhänger der Kirche hatten schon bald die Erklärung zur Hand, dass dort nur die Hölle sein könnte, weil der Himmel ja schon an Gott vergeben und damit besetzt war. Tief im Innern würde demnach der Teufel hausen, der dort die Seelen der Sünder im ewig flackernden Fegefeuer schmoren ließ. Immerhin würde man ja schon an den dampfenden Vulkanen sehen können, dass irgendwo in der Tiefe gekocht, gebraten oder gegrillt wurde. Kirchenkritiker hielten allerdings dagegen, der Teufel wäre nur eine nicht existierende Kunstfigur der Kirche um die Gläubigen gefügig zu machen.
So mussten erst Jahrhunderte ins Land ziehen, bis endlich die Aufklärung die Oberhand gewann. Wissenschaftler konnten nun der Menschheit mit abschließender absoluter Gewissheit Umgebung und Bestandteile des Heimatplaneten erklären. Seit dieser Zeit gehört zum Allgemeinwissen jedes aufgeklärten Menschen, dass die Erdkugel einen Durchmesser von knapp dreizehntausend Kilometer hat und aus Atmosphäre, Hydrosphäre und Lithosphäre besteht. Letztere setzt sich aus der Erdkruste, dem Erdmantel und dem Erdkern zusammen. Während die starre Erdkruste etwa 100 Kilometer in die Tiefe reicht, besteht der Erdkern überwiegend aus heißem flüssigem Eisen das mit geringen Nickelteilen angereichert ist …
…sagen die Wissenschaftler jedenfalls.
Und was d i e sagen stimmt, heißt es zumindest. Denn wie ihr Name schon vermuten lässt, schaffen sie mit ihrer Arbeit Wissen, das bisher noch niemand wusste. Stellt sich das neue Wissen allerdings später wieder als lücken- oder fehlerhaft heraus, gilt das als peinlicher Rückschlag, der dem strahlenden Ansehen des jeweiligen Wissenschaftlers hässliche dunkle Flecken verpasst.
Also sind Wissenschaftler natürlich darauf bedacht, Rückschläge oder auftauchende Widersprüche nicht unbedingt zu vertuschen, aber ….
…sagen wir mal, sie auch nicht unbedingt mit voller Lautstärke in die hintersten Winkel der Welt hinauszuposaunen. So sind sie denn auch daran interessiert, um bei dem Beispiel mit dem flüssigen Erdkern zu bleiben, dass das Erdinnere auch weiterhin flüssig bleibt. Obwohl …
Hat denn das Innere der Erdkugel wirklich jemals ein Mensch g e s e h e n ?
Außer den Wissenschaftlern könnte es vielleicht aber auch n o c h eine Gruppe geben, die daran interessiert ist, dass das heutige Wissen über den flüssigen Erdkern so erhalten bleibt wie es ist. Womöglich, um nicht entdeckt zu werden und in Ruhe weiter ihrem Alltag nachgehen zu können? Natürlich wissen wir in unserer aufgeklärten Zeit mit absoluter Sicherheit dass es keine Teufel gibt. Ist doch wohl klar.
Teufel …? Haah. Solch ein Unfug. Allerdings …
…falls doch …? Wo könnten die sie sich dann wohl aufhalten?
Ob nicht vielleicht doch die Kirchenfreaks ein kleines bisschen …?
Eigentlich weiß man ja niiiiie ganz genau, vielleicht ….
So g a n z abwegig wäre es natürlich nicht, denn immerhin glaubt ja auch der Papst so ungefähr in diese Richtung. Und der ist doch bekannterweise unfehlbar und hat auch immer Recht. Obwohl auch er keine handfesten Beweise liefern kann.
Beweise hatte zwar auch Billbo Heinze nicht, noch nicht jedenfalls, aber im Gegensatz zum Papst sollte er der ganzen Sache bald auf die Schliche kommen. Ähnlich wie der Papst hatte auch Billbo einen unerschütterlichen Glauben. Allerdings beschränkte der sich nur darauf, dass er glaubte den schlechtesten Job auf Erden erwischt zu haben. Bei wissenschaftlichen Tieflochbohrungen hatte er nämlich jahrelang Hilfsarbeiten verrichten müssen. An vorderster Front stehend, musste er die verdreckten abgenutzten Bohrerköpfe austauschen wenn das schwere Gestänge wieder in die Höhe gezogen wurde. Ein rechter Knochenjob. Allerdings hatte der ihm dann auch den jetzigen Job beschert. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung hatte man ihn für eine Bohrplattform im Dienste der Wissenschaft angeworben. Etliche Kilometer vor der Küste versuchten Spezialisten mit Probebohrungen Methanhydratablagerungen zu erschließen, die im Festlandsockel entdeckt worden waren. Die Eisklumpen ähnelnden Methanknollen sollten laut Fachleuten der Energielieferant der Zukunft sein und dementsprechend eifrig gingen die Bohrungen voran. Billbo stand auch hier wieder an vorderster Front, brauchte den Bohrerwechsel aber nur noch zu überwachen. Die schwere Arbeit mussten nun andere verrichten. Er war jetzt für die präzisen und rechtzeitigen Wechsel des Werkzeugs zuständig. Und weil die Arbeiten planmäßig vorangingen, die Arbeiter so aufeinander eingespielt waren dass ein Bohrerwechsel zwar immer noch schwere Plackerei aber eben doch nur Routine war, plätscherten die Tage gleichmäßig dahin.
Mittlerweile war die Bohrung schon in eine solche Tiefe vorangetrieben, in der man Ergebnisse erwarten konnte, als das Bohrgestänge gerade mal wieder, mit einem neuen scharfen Kopf versehen, hinabgelassen wurde. Nichts ließ auf Ungewöhnliches schließen, als die kreischend mahlenden Betriebsgeräusche des Bohrers wieder einsetzten und die Plattform durch gleichförmiges Vibrieren ins Zittern geriet. Doch gerade als sich Billbo daraufhin zu einer Zigarettenpause zurückziehen wollte, endete die vermeintliche Routine schlagartig.
Einem kurzen grauenhaften Knirschen folgte unheimliche Stille. Billbo lauschte mit geweiteten Pupillen dem plötzlichen Verstummen der Arbeitsgeräusche und wusste sofort, dass er ein Problem hatte.
Außer dem Wellenschlag und dem jaulenden Wind, der ständig über die Plattform fegte, war nichts mehr zu hören. Zutiefst erschrocken hastete er zum Bohrturm zurück. Dort standen die Arbeiter mit offenen Mündern und bestaunten das runde leere Loch im Boden der Plattform, das dem Bohrgestänge normalerweise als Führung dient. Billbo traute seinen Augen nicht. Das gesamte Gestänge war verschwunden und durch die Öffnung im Boden war nur noch das schäumende Meer zu sehen.
„Was ist los…?“, herrschte er die Arbeiter an.
Die zuckten aber nur mit den Achseln und zeigten ratlos und ziemlich unbeteiligt auf das Loch. Als könnte er dann mehr sehen, ließ sich Billbo überstürzt auf die Knie herab und starrte entsetzt durch die gähnende Öffnung ins brausende Wasser hinab. Weit und breit war aber vom Bohrer nichts mehr zu sehen. Kalkweiß im Gesicht guckte er anklagend von einem zum anderen.
„Was habt ihr gemacht …wo ist der Bohrer …?“
Einer der Arbeiter zog unter dem Gelächter der anderen spöttisch mit spitzen Fingern das Futter aus seinen Hosentaschen und hielt die Stoffzipfel wie Beweisstücke in die Luft. Ohne wirklich eine Antwort erwartet zu haben überschlugen sich Billbos Gedanken. Er allein war für den ordnungsgemäßen Zustand des Bohrers verantwortlich und nun war das ganze Ding plötzlich nicht mehr da. Wo sollte der denn so schnell geblieben sein? Solch ein riesiges Gerät konnte doch nicht einfach so verschwinden, wenn es nicht mit dem …
In seinem Ohr meldete sich Sell Berdohf, der Chef aus dem Regieturm.
„He, was ist los, warum habt ihr den Bohrer angehalten …?“
In Billbos Kopf ging es drunter und drüber. Sollte er etwa sagen, dass der Bohrer nicht nur angehalten sondern ganz verschwunden war? Fast hätte er gelacht. Andererseits war es ja aber auch nicht sein persönliches Verschulden dass der Bohrer abhanden gekommen war. Trotzdem wollte er erst mal Zeit gewinnen.
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