In der Gerätekammer zwängte er sich in einen Taucheranzug. Pressluftflaschen und Ausrüstung waren stets einsatzbereit um in Notfällen auch unter Wasser nötige Reparatur- oder Rettungsarbeiten ausführen zu können. Mitleidig grinsend guckten ihm die Arbeiter nach, als er unbeholfen wie ein Astronaut mit den unhandlichen Schwimmflossen, die etwa der Schuhgröße zweiundneunzig entsprachen, zurückkam und über die Plattform tapste. Die Flaschen auf seinem Rücken drückten schwer und zogen ihn fast hinten über. Unter Wasser würde sich das ja ändern, tröstete er sich. Aber auch da sollte er noch eine Überraschung erleben.
Am Rand der Plattform führte eine Leiter zum Wasser hinunter. Weil ihm der Sprung von oben zu gewagt erschien, entschied er sich für den langsamen Abstieg. Vielleicht lag es am eingeschränkten Sichtfeld, vielleicht war er auch nur einen Augenblick unaufmerksam. Auf alle Fälle hatte er gerade mal die dritte Sprosse erreicht, als er nicht mit dem vollen Fuß aufsetzte, eine der Flossen umknickte und ihn abrutschen ließ. Weil das so überraschend kam, gelang es ihm auch nicht mehr sich richtig festzuhalten. Mit den Händen umklammerte er zwar noch den Handlauf beider Seiten, sauste dann aber so, aufrecht stehend und Sprosse für Sprosse mit den Gummiflossen abklatschend, mit einem "Flapp flapp flapp flapp" eilig dem Wasser entgegen. Seinen langgezogenen Schrei deuteten die Arbeiter oben als vermeintliches Triumphgeheul darüber, den Bohrer schon entdeckt zu haben. Alle stürzten zum Rand der Plattform um ihm nachzusehen. Aber nur die ersten bekamen noch mit, wie Kopf und in die Höhe gerissene Arme im schäumenden Meer verschwanden.
Billbo hatte natürlich gehofft, dass die rasante Fahrt spätestens durch das Wasser abgebremst und sich verringern würde, wurde aber gleich enttäuscht. Mit fast dem gleichen Schwung ging es nämlich unter Wasser weiter in die Tiefe. Vorbei an zwei erschreckt ausweichenden U-Booten ohne Hoheitsabzeichen und einem staunenden Makrelenschwarm setzte er seine wilde Fahrt zum Meeresboden fort. Die Luftflaschen fühlten sich dabei auch nicht wie erhofft leichter an, sondern drückten vielmehr ähnlich schwer auf seinen Rücken wie vorher. In der Eile hatte Billbo nämlich zur erstbesten Taucherausrüstung gegriffen ohne zu bemerken, dass die Quassel Dollfuur gehörte, einem der auf der Plattform arbeitenden Männer. Weil der jedoch nicht schwimmen konnte, sich aber trotzdem schon immer gern im Wasser aufhielt war er automatisch zum Unterwassersport gekommen. Inzwischen war er ein begeisterter Speed-Taucher, der in ständig neuen Anläufen versuchte, den Geschwindigkeitsrekord im Hundertmeter-Tieftauchen zu brechen. Obwohl der immer noch von einem zwei Tonnen schweren Granitblock aus Italien mit handgestoppten sechskommasiebenunddreißig Sekunden gehalten wurde, gab Quassel nicht auf. Dank seiner Spezial-Ausrüstung, die komplett, einschließlich der beiden Luftflaschen, Taucherbrille und Hosenträger aus Blei bestand, war er mit Achtkommaelf schon ziemlich nahe dran.
Das alles wusste Billbo aber nicht und konnte sich deshalb auch keinen Reim auf die flotte Schussfahrt machen. Zum geordneten Nachdenken hatte er sowieso keine Zeit, zu viele Gedanken sausten ihm durch den Kopf. Wie sollte er jemals wieder zur Bohrplattform zurückfinden? Wie lange würde der Sauerstoff in den Flaschen reichen? Und wenn er den Bohrer finden würde, wie sollte er ihn allein bergen?
Bevor aber die Verzweiflung total von ihm Besitz ergriff, endete sein schwungvoller Sinkflug und Billbo landete unsanft in einer Korallenbank auf dem Meeresgrund. Etliche Arme des verzweigten Gewächses hatte er dabei abgebrochen und zertrümmert, damit aber auch gleichzeitig seinen Aufprall gemindert. Wäre es um ihn herum nicht so dunkel gewesen, hätte er sogar noch gesehen wie eine ärgerliche und nur leicht verletzte Muräne, die er mit seiner Landung obdachlos gemacht hatte, sich langsam davon trollte. Wie in Zeitlupe erhob er sich aus der geschredderten Korallenbank und fand sich vom aufgewühlten Schlick in düstere Finsternis gehüllt.
Mit den unterschiedlichsten Dunkelheitsabstufungen kannte er sich zwar aus, aber diese feuchte Dunkelheit war ihm nicht geheuer. Allein seine Stirnlampe schickte einen schmalen Lichtstrahl hinaus in die Fremde, der aber kaum ausreichte den Boden auszuleuchten wenn er den Kopf senkte und wohl auch nur eine begrenzte Lebensdauer hatte. Umso interessierter fand er das schwache Leuchten, dass er in einiger Entfernung zu sehen glaubte. Mehrmals zwinkerte er mit den Augen um eine mögliche Täuschung auszuschließen und wischte vorsichtshalber auch noch mal über das Glas der Taucherbrille, aber das diffuse gelbliche Licht blieb wo es war. Billbo ging in die Hocke, spannte seine Muskeln und stieß sich kraftvoll in Richtung des Lichtes ab. Der erwartete weite Satz den man im Wasser hätte erwarten können blieb aber komplett aus und das lag nicht nur an der schweren Ausrüstung, die ihn gleich wieder auf den Boden zog. Vielmehr prallte er mit dem Kopf voran unsanft gegen etwas fürchterlich Hartes und landete erneut auf dem Boden, fast auf der Stelle von der er abgesprungen war.
Wegen dem Sauerstoffventil im Mund konnte er nur leise in sich hineinstöhnen als er mit den Händen nach dem Übeltäter tastete. Anscheinend stand er direkt vor einer der stählernen Stützen mit der die Bohrinsel auf dem Meeresgrund verankert war und hatte diese bei seinem Hechtsprung zielsicher angesprungen. Abgesehen von einer Beule die sich oberhalb seiner Stirn bildete, einem kleinen Sprung im Glas der Taucherbrille und mittlerem Hirnsausen schien der Unfall aber glimpflich abgegangen zu sein. An der gerade angesprungenen Stütze zog er sich hoch auf die Beine und machte sich nach einer Verschnaufpause vorsichtig tappend zu Fuß auf den Weg zum immer noch schimmernden Licht. Je dichter er aber kam um so weniger traute er seinen Augen, denn als er das Ziel erreicht hatte, steckte vor ihm im Meeresboden ein Blitz.
So wie es aussah musste der hier schon vor langer Zeit eingeschlagen und steckengeblieben sein. Mehr als zehn Meter ragte er wohl in die Höhe. Stellenweise war er schon von Algen überwuchert und hatte dadurch viel von seiner Helligkeit eingebüßt. Trotzdem schaffte er es immer noch das Umfeld in etwa drei bis vier Metern gut auszuleuchten. Zum ersten mal sah Billbo solch ein Naturphänomen aus der Nähe. Zögerlich näherte er sich und berührte den Blitz. Noch nie vorher hatte er Licht angefasst und war ganz überrascht wie gut sich das anfühlte.
Im Gegensatz zum Zeitpunkt des Einschlags hatte der Blitz aber auch fast vollständig seine Hitze verloren und Billbo spürte nur noch eine mäßige Wärme sodass er mit seinen Fingern immer wieder staunend darüberstrich. Da man sich im Licht des Blitzes gut orientieren konnte, knipste er seine Stirnlampe aus um den Akku für später zu schonen. Vielleicht ließ sich ja der Blitz zum Leuchten nutzen.
Einen der vielen seitlich vom Hauptblitz abstehenden kleineren Zacken griff sich Billbo, wackelte, bog und zog daran. Tatsächlich wurde der immer weicher und ließ sich anschließend sogar ohne große Mühe abbrechen. Er knickte auch alle weiteren Nebenblitze die er erreichen konnte ab und steckte sie sich hinter den Tauchergürtel als Reserve. Mit einem weiteren Zacken, hoch erhoben in der Hand, konnte er nun wie mit einer Fackel bei der Suche nach dem Bohrer wenigstens vernünftig seinen weiteren Weg ausleuchten. Zuerst wollte er aber dorthin zurück wo er gelandet war, denn viel weiter entfernt konnte der Bohrer doch eigentlich auch nicht sein wenn der wirklich im Meer versunken sein sollte. Starke Strömungen gab es hier jedenfalls nicht. Bei seinen weiteren Schritten voran fühlte er sich jetzt schon sicherer, weil er nun sehen konnte was vor ihm lag und er keine Angst mehr zu haben brauchte in irgendwelche Fallen zu tappen oder erneut gegen die Inselstützen zu laufen, dachte er jedenfalls.
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