Die erste Stütze tauchte nämlich schon wieder im Lichtschein auf und seine Beule pochte gleich ein bisschen mehr als das Blitzlicht auf den rostroten Schutzanstrich fiel. Nur vom Bohrer selbst war nichts zu sehen, was Billbo schon wieder an der Im-Meer-versunken-Theorie zweifeln ließ. Nur wenige Meter vor ihm änderte sich jetzt die Farbe des Meeresbodens und ließ ihn stutzen. Vorsichtig geworden, wollte er das näher untersuchen. Als er stehenblieb und die Zackenfackel höher reckte, fiel das Licht auf einen großen dunklen Fleck, wobei sich nur ganz langsam in seinem Hirn die Erkenntnis formte, dass der Fleck das Bohrloch war. Noch nachträglich stellten sich seine Nackenhaare auf, soweit das der Taucheranzug jedenfalls zuließ. Das hätte wohl sein Ende bedeutet, wenn er statt gegen die Stütze zu laufen in das Bohrloch gestolpert wäre. Aber wie es nun aussah blieb ihm nichts anderes übrig, als in dem Loch nach dem Bohrer zu suchen. In gebührendem Abstand stapfte er erst einmal drum herum, wobei er sich immer mal wieder zu den Seiten umsah. Vom Bohrer war aber auch weiterhin nichts zu sehen. Sollte der wirklich tief im Bohrloch stecken geblieben sein?
Billbo reckte seinen Leuchtzacken so hoch es ging, aber der Lichtschein schaffte es nicht das Dunkel im Loch zu durchdringen. Also musste er noch näher heran. Gleichzeitig fiel ihm aber auch ein, dass zur Taucher-Ausrüstung immer ein Sicherungsseil gehörte, das eigentlich am Gürtel unter den Bleigewichten befestigt war. Tatsächlich wurde er da fündig, allerdings hatte das nur eine Länge von etwa einem Meter. Was sollte man denn damit anfangen? Enttäuscht ließ er sich das kurze Seil durch die Finger gleiten, bis er einen merkwürdigen Knopf daran entdeckte. Über dessen Funktion staunte er nun aber nicht schlecht. Weil Quassel Dollfuur viel im Wasser unterwegs war, vertraute der natürlich nur dem besten Material und verfügte auch stets über die neuesten Neuigkeiten die es auf dem Markt gab. So verwandelte sich die Sicherungsleine jetzt auf Knopfruck nämlich zu einem ausziehbaren Teleskopseil. Das eine Seilende war am Tauchergürtel befestigt, das andere schlang er um die Stütze neben ihm.
So gesichert näherte sich Billbo dem Rand des Bohrlochs. Wenn das Seil arretierte, drückte er den Knopf und konnte so wieder einen weiteren Meter gehen. Unmittelbar vor dem Loch angekommen, sah er, wie vom Rand immer wieder kleinere Stücke des Meeresbodens ausbrachen und in der Tiefe verschwanden. Zwar schauderte es ihm bei diesem Anblick, aber angeseilt fühlte er sich doch genügend abgesichert. Leicht nach hinten geneigt legte er sich ins Seil und näherte sich rückwärts dem Loch, das wohl im Durchmesser etwas größer als ein Straßengully sein mochte. Stück für Stück wollte er sich so wie ein Bergsteiger abseilen und hoffte den Bohrer bald sehen zu können, wenn der denn tatsächlich darin stecken sollte. In den folgenden Minuten drückte er ohne besondere Angst ein ums andere mal den Knopf und gelangte so Meter für Meter ganz sachte immer tiefer in das Bohrloch hinab. Seine im Gürtel steckenden Zackenblitze leuchteten dabei die enge Umgebung gut aus und Billbo war ganz zuversichtlich, den Bohrer bald zu entdecken.
Was er aber nicht wusste war, dass Quassel zwar das neueste Hightech-Seil besaß, dieses aber technisch noch nicht ganz ausgereift war. In diesem Falle stellte sich der klitzekleine Mangel so dar, dass sich das oben festgebundene Seilende automatisch löste, ganz egal wie fest es verknotet war, wenn die Maximallänge des ausziehbaren Seils erreicht war, der Nutzer aber weiter den Knopf betätigte. Das war zwar purer Unsinn, vermittelte dem Nutzer aber eine Zeitlang den beruhigenden Eindruck, er könne mit seinem totschicken Seil unendliche Weiten erreichen. Quassel selber hatte das Seil natürlich noch gar nicht genutzt und deshalb …
Gut und gerne zehn Meter tief hatte sich Billbo schon abgeseilt und drückte erneut den Knopf, als …
Hossa, fast wie vorhin bei der rasanten Fahrt zum Meeresboden, nahm plötzlich die Abwärtsgeschwindigkeit rapide zu. Billbo fühlte sich aber trotzdem weiterhin auf der sicheren Seite weil er das Seil ja fest in Händen hielt. Selbst als ihm das lockere Seilende von oben über die Schulter fiel, schöpfte er noch immer keinen Verdacht. Indem er das Seil noch fester umklammerte dachte er an die alte Bergsteiger-Regel: Seil in der Hand, Gefahr gebannt.
Allein die Tatsache, dass die Sauerstoff-Flaschen jetzt immer öfter an der Wandung anschlugen und ihn dabei ruckartig abbremsten bereitete ihm Sorgen. Wenn er sich hier in dieser Tiefe verhakeln würde, wäre es aus mit ihm und er käme weder vor noch zurück. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er den Knopf gar nicht mehr drücken brauchte und trotzdem immer tiefer ins Loch hinab geriet. Mit dem Zurück könnte es deshalb vielleicht problematisch werden. Ohne seinen verkrampften Griff zu lockern betrachtete er sich besorgt das Seil das anstatt nach oben in die Dunkelheit zu führen, nur noch lose über seiner Schulter baumelte. Könnte man sich so wieder nach oben ziehen? Per Hebelkraft oder so …? In der Schule war er zwar nicht der Klassenprimus gewesen, hängen geblieben war aber doch, dass der Hebel wenigstens an einem Ende e i n e n festen Punkt haben musste. Ob es jetzt wohl reichte, wenn er das Ende in seinen Händen als den benötigten festen Punkt benannte? Bevor er aber zu einem Ergebnis kam, schrillten in seinem Kopf schon die Alarmglocken und alle Zellen wurden aufgefordert, an einer gleich beginnenden Panik teilzunehmen. Klare Gedankengänge ließ sein Hirn nun nicht mehr zu und schaltete auf Katastrophen-Modus. Billbo wusste daher auch nicht gleich, was es zu bedeuten hatte als plötzlich ein heftiger Ruck die Talfahrt abrupt stoppte. Unter den rudernden Beinen spürte er noch keinen festen Boden, also konnte er auch noch nicht auf dem Grund des Bohrlochs angekommen sein. Es dauerte eine ganze Weile bis er begriff, dass sich die Luftflaschen auf seinem Rücken wohl irgendwo an der Wandung verhakt hatten und ihn nun wie einen kostümierten Jesus-Darsteller an die Wand genagelt festhielten. Still hing er da und versuchte mit den freien Restkapazitäten seines Hirns eine Lösung zu finden als er vor sich an der gegenüberliegenden Wand eine Bewegung wahrnahm. Keine fünfzig Zentimeter vor ihm lugte aus einem Hohlraum in der Wand ein Wurm heraus. So starr wie der ihn ansah, hätte man meinen können, er wäre Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, dem gerade der gekreuzigte Heiland erschienen sei. Von Billbos Luftschlauch stiegen drei dicke Bläschen auf und flüchteten erschreckt in die Höhe. Darüber wiederum schien der Wurm zu erschrecken und zog sich windend in seinen finsteren Gang zurück.
Das ist es, ging es Billbo durch den Kopf: Winden, ich muss mich aus den Trägern der Pressluftflaschen herauswinden. Und mit ähnlichen Bewegungen mit denen sich gerade der Wurm verabschiedet hatte, versuchte er nun selber aus den Trägern zu schlüpfen. Durch die Enge des Bohrlochs in dem er sich befand war das aber eine ziemlich qualvolle Angelegenheit. Nur mühselig kam er voran. Einen Arm hatte er schon hervorgezogen als das Flaschenpaket ruckte und etwas nach unten sackte. Billbo versuchte eine halbe Drehung und zog auch den zweiten Arm heraus. Im gleichen Moment lösten sich die Flaschen aber auch von der Wand und setzten ihren Weg in die Tiefe fort.
Hui, dachte sich der Atemschlauch, da muss ich hinterher. Und schon ruckte es mächtig an Billbos Kopf. Trotz der Enge machte er eine gehockte Rolle rückwärts. Zwar nicht freiwillig, aber die schweren davoneilenden Flaschen ließen ihm keine Wahl und rissen ihn kopfüber weiter mit in die Tiefe.
Zwar hatte er sich noch reflexartig im Mundstück verbissen, hielt das aber nicht lange durch. Sein plombierter Eckzahn begann derart zu schmerzen, dass er sich genötigt sah, den Mund zu öffnen und das Mundstück loszulassen. Im Nu verlangsamte sich seine Sinkgeschwindigkeit, die Zahnschmerzen ließen nach, aber sein Hirn gab dafür eine neue Alarmmeldung heraus: Achtung Achtung …Wassereinbruch im Oberdeck!
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