Ach richtig, dachte Billbo, ich hätte den Mund zulassen sollen. Im fahlen Licht seiner Zackenblitze waren die Flaschen unter ihm schon weit enteilt und nicht mehr zu sehen. Allein die von unten aufsteigenden, ihn wild umtanzenden Luftbläschen zeigten an, dass sich irgendwo dort unten die dringend benötigte Atemluft befand. Soweit er seine Augen aber auch aufriss, unter ihm und um ihn herum befand sich nur sprudelndes Wasser. In dieses Durcheinander hinein meldete sich auch noch seine Lunge: Hee, uns geht die Luft aus …ich sehe mich in wenigen Sekunden gezwungen die Atmung einzustellen. Dann mach ich aber auch nicht mehr mit, kam nörgelnd die prompte Botschaft des Herzens. Na holla, dann haben wir aber wohl bald ein Problem, meldete sich das Hirn, das sonst ja eigentlich als oberste Vernunftbehörde bekannt war.
„Ach was …“, sagte Billbo und machte den Mund dazu wieder auf, wobei seine Worte gurgelnd und glucksend vom Meerwasser begrüßt wurden.
Ich habe euch jedenfalls gewarnt, hörte er seine Lunge noch einmal schimpfen, was aber vom S-O-S-Ruf des Herzens ziemlich übertönt wurde. Billbo selbst wurde immer ruhiger und hatte plötzlich weder Angst noch Eile. Er war sich ganz sicher, am unteren Ende des Bohrlochs seine Luftflaschen wiederzufinden. Ob er die aber überhaupt noch brauchte? So frei und unbeschwert wie im Moment hatte er sich noch nie gefühlt. Auch das Bohrloch war jetzt gar nicht mehr so eng. Selbst die Arme konnte er nun weit ausbreiten ohne irgendwo anzustoßen. Komischerweise drangen sie einfach in die Wand ein. Lachend drehte er übermütig Piouretten und ließ sich zufrieden weiter und weiter hinabgleiten. Fast hatte er den Eindruck, Bewegung und Geschwindigkeit durch seine Gedanken beeinflussen zu können.
Um sich herum alles vergessend hätte er wohl so endlos weiter treiben können, wenn nicht im Schein des Zackenlichts die verlorenen Luftflaschen aufgetaucht wären. Einfach so lagen sie da und blubberten nur noch spärlich vor sich hin, was wohl heißen sollte, dass der Sauerstoffvorrat sich dem Ende zuneigte. Auf alle Fälle aber hatte Billbo offensichtlich die tiefste Stelle des Bohrlochs erreicht. Komischerweise schwebte er jedoch an den Flaschen vorbei und tauchte in eine schwammig-patschige Masse ein. Aber auch die hielt seine Reise nicht auf. Mit gleichem Tempo verschwand er darin und landete, halb plumpsend halb schwebend, Augenblicke später in einem großen Saal. Wasser, das seinen Sturz hätte abfedern können gab es hier plötzlich nicht mehr. Allerdings behütete ihn sein neuer Zustand vor Verletzungen.
Als wäre nichts geschehen, erhob er sich und schob sich verwundert darüber wo er hier wohl gelandet war, die Taucherbrille auf die Stirn. Als er sich umdrehte, erschrak er heftig. Vor ihm standen zwei Gestalten in schwarzem Fell mit rotfunkelnden Augen und starrten ihn an.
*
Mehrere Uniformierte bewachten die Tür des Konferenzsaals. Die zwei sich gegenüberstehenden Tischreihen im schmucklosen Saal dahinter waren für die beiden Verhandlungsdelegationen vorbereitet und einige wenige Teilnehmer der weißen Delegation hatten daran schon Platz genommen. Sie blätterten in ihren Unterlagen wobei sie aber einen ziemlich nervösen Eindruck machten. Immerhin sollte die heutige Verhandlung zu einem endgültigen Ergebnis führen. Zumindest hatte die schwarze Seite darauf bestanden, endlich zu einem Abschluss zu kommen. Für die Weißen stand viel auf dem Spiel weil sie die jährliche Entschädigungssumme, die von den Schwarzen verlangt wurde, kaum noch aufbringen konnten. Und nun forderte die schwarze Seite sogar noch eine drastische Erhöhung. Wenn nicht, dann …
Was das bedeuten könnte, mochte sich von den Weißen noch niemand vorstellen. Es würde womöglich ihr Ende besiegeln.
Fast gleichzeitig betraten Gottlieb und Gottfried, die linker und rechter Stellvertreter von Allmächtiger dem Chef der Weißen waren, den Saal. Mit dicken Aktentaschen beladen suchten sie ihren Platz am Verhandlungstisch auf. Während ihre Delegation damit vollzählig war, fehlten auf der anderen Seite noch viele. Gottlieb rückte seinen Stuhl zurecht und verschaffte sich einen ersten Überblick, dann beugte er sich zu Gottfried. „Ob tatsächlich alle wichtigen Schwarzen kommen?“
Gottfried verzog nur vielsagend den Mund.
„Wenn es heute abschließende Ergebnisse geben soll, müssten sich ja wohl kompetente Verhandlungspartner blicken lassen.“
Die offene Frage beantwortete sich im nächsten Augenblick aber schon von allein. Nur angeführt vom mittleren Management kamen die restlichen Delegationsmitglieder der Schwarzen fast tänzelnd im Gänsemarsch hereinspaziert, wobei sie angeberisch, wohl nur um zu zeigen dass sie der Zauberei mächtig waren, ihre Akten und Unterlagen vor sich herschweben ließen. Ihre grinsenden Gesichter zeigten deutlich an, wie sie sich in dieser Auseinandersetzung einschätzten, nämlich als die eindeutig Stärkeren. Leise tuschelnd und kichernd nahmen sie Platz um gleich darauf mit teils spöttischen, teils interessierten Blicken ihre Gegenüber zu mustern.
Es kam ja auch nicht so oft vor dass sich beide Seiten so nahe waren. Die Weißen dagegen erwiderten die Blicke nur flüchtig und signalisierten schon durch ihre Körpersprache: Tut uns nichts, und wenn doch, dann wenigstens nicht soviel.
Nachdem sich die Türen geschlossen hatten, erhob sich bei den Schwarzen ohne Umschweife Ichsachmaa, in dessen Fell sich schon etwas Grau zeigte. Er war der Älteste und damit auch der ranghöchste seiner Delegation. Mit knappen Worten begrüßte er die Anwesenden, um nach einem kurzen Abriss des bisherigen Verhandlungsstandes mit einer für die Weißen gefühlten Provokation zu enden.
„Auf alle Fälle sind wir die ewigen Kartoffeln Leid …endgültig. Und deshalb muss sich etwas ändern.“
Bestürzte Blicke der Weißen trafen sich ziemlich in der Mitte des Saals mit den recht übermütigen Blicken der anderen Seite. Schon seit Jahrhunderten bestand doch der Deal darin, den Schwarzen für ihr Schweigen Kartoffeln zu liefern. Und jetzt so was? Leichte Unruhe machte sich bei den Weißen breit, bis Gottfried das Wort ergriff.
„Aber ihr wart doch bisher immer so zufrieden damit …sie sind handlich …machen satt und überhaupt... mal was anderes als immer nur Kohlen.“
Ichsachmaa schüttelte unwirsch den Kopf.
„Bisher …bisher …die Zeiten ändern sich auch mal. Die Menschheit verfügt über soviel neue Dinge, da sollten w i r es nicht nur bei Kartoffeln belassen.“
Gottfried räusperte sich.
„Und an was habt ihr gedacht?“
Auf der schwarzen Seite stieg die Stimmung weil ihre Erwartungen sich auf den Weg machten in Erfüllung zu gehen.
Ichsachmaa verzog schmunzelnd den Mund.
„Nun ja …man hört immer wieder von Champagner und solchen Sachen …Kaviar, Hummer, Austern und so …“
Den Weißen verschlug es kollektiv die Sprache. Irritiert wechselten sie fragende Blicke, tuschelten untereinander und sahen immer mal wieder verstohlen zu dem Redner. Gehört hatten sie von solchen Dingen auch schon, wussten aber nichts Genaues darüber, nur dass sich gelangweilte dekadente Menschen gern mit diesen Dingen umgaben. Sollten man sich diese Provokation nun also gefallen lassen? Was waren denn das für Sprünge, von Kartoffeln zu Austern und Champagner?
„Aber Champagner …ist doch irgendwie …ähhh …größer und auch viel mehr wert als Kartoffeln.“
Ichsachmaa zuckte nur wortlos mit den Schultern ohne sein selbstgefälliges Grinsen abzustellen und deutete damit an, auf eine aussagekräftigere Antwort zu warten. Gottfried schluckte.
„Ihr habt doch aber damals selbst gesagt, dass gerade die F o r m der Kartoffel bestens dazu geeignet wäre …“, dabei bildete er mit Daumen und Zeigefinger einen nicht ganz runden Kreis, „…sie vor den Arbeitern eures Volkes zu Seelen von verstorbenen Menschen zu verklären.“
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