Die letzten Worte peitschte er förmlich heraus, wobei er seine Stimme dramatisch vibrieren ließ, was eigentlich immer gut die Emotionen bediente und auch diesmal seine Wirkung nicht verfehlte. Viele sprangen in der tumultartigen Stimmung auf und reckten ihre Arme in die Luft, unterstützt von einem wilden Stimmengewirr.
„Jawoll …genau …passieren kann doch immer mal was …“
Zufrieden mit der Reaktion erhob er stillegebietend seine Arme, was aber nur langsam wieder für Ruhe sorgte. Einen Augenblick ließ er das wieder eingetretene Schweigen noch wirken, um dann mit ruhigen wohlgesetzten Worten die Saat zu legen.
„Das Wrack s e l b e r können wir natürlich nicht mehr retten …aber uns der armen schutzlosen Austern anzunehmen …dazu verpflichtet uns allein schon unsere Moral und nicht zuletzt unsere hervorgehobene Stellung.“
Bravo-Rufe waren zu hören. Demütig, vielleicht aber auch nur um sein zufriedenes Grinsen zu verbergen, senkte er den Kopf und genoss den von ihm erwarteten und jetzt auch tatsächlich einsetzenden Jubelsturm. Allmächtiger, der per Videokonferenz zugeschaltet war, schien nicht ganz zufrieden. Ihm war der Vortrag etwas zu reißerisch geraten und das sagte er auch zum Schluss. Weil er aber mit seiner Meinung ziemlich allein dastand, wollte er kein Spielverderber sein, zumal sich alle Beschaffungsprobleme auf diese Weise ja anscheinend lösen ließen.
So wurden am Ende der Versammlung die beiden Praktikanten Beet Zumier und Ferr Eertmich damit beauftragt, erst einmal die ausgehandelte Probekiste Champagner für die Schwarzen zu besorgen. Weil die beiden kurz vor ihrer Ernennung zum Gottesanwärter erhebliche Schwächen gezeigt und in einer Situation völlig versagt hatten, sollten sie mit dieser Maßnahme die Chance zur Rehabilitation erhalten. In einem kleinen unterentwickelten Land, indem Mensch und Tier noch fast gleichberechtigt nebeneinander lebten, hatten sie nämlich einen Hilferuf der Menschen offensichtlich gänzlich überhört oder vielleicht auch nur völlig falsch interpretiert. Auf alle Fälle waren sie durch Gebete aufgerufen, bei einer Wahl ein wenig Einfluss zu nehmen, hatten aber am Ende irgendwie die Teilnehmer verwechselt. Das Ergebnis sah dann jedenfalls so aus, dass plötzlich ein siebenjähriger Tiger Bürgermeister war und sich anschließend auf merkwürdige Weise die Einwohnerzahl täglich reduzierte. Erst als die Dorfbewohner darüber lauthals ihre Götter verfluchten, wurde Allmächtiger auf die Situation aufmerksam. Durch ein schnell ausgeführtes Not-Wunder vertrieb er den Bürgermeister aus dem Amt zurück in den Dschungel und gab der schon arg dezimierten Dorfgesellschaft damit ein kleines bisschen ihres Glaubens zurück. Und nun sollten die beiden Pechvögel, sozusagen als letzte Chance, die Aufgabe mit dem Champagner lösen. Woher und wie sie ihn besorgen würden, blieb völlig ihnen überlassen. Die einzige Auflage lautete: Kein Blut und keine Gewalt.
Während die anderen Versammlungsteilnehmer nun langsam auseinander gingen um sich wieder ihren Aufgaben zu widmen, klinkten sich Beet Zumier und Ferr Eertmich mit ihrem Kommunikationswürfel ins UWW (Universe Wide Web) ein.
Sie hatten die Aufgabe zwar akzeptiert, im Moment aber noch keinen blassen Schimmer woher sie den Champagner bekommen sollten. Als erstes ließen sie deshalb ein Suchprogramm laufen und erfuhren so, dass Champagner nur in einer bestimmten Region hergestellt wurde. Fast waren sie schon bereit, dieser Gegend einen Besuch abzustatten und vielleicht unter Mitwirkung des abgesetzten Bürgermeisters, der ihnen noch einen Gefallen schuldig war, eine Kiste des Edelstoffes zu konfiszieren, als Beet Zumier auf eine Stelle des Monitors zeigte.
„Guck doch, Champagner …und gar nicht mal so weit von hier. Aber im Wasser …? wird der Kram denn im Wasser hergestellt?“
Das Suchprogramm zeigte blinkend den Fundort einer kleinen Menge an, die eventuell gerade der gesuchten Kiste entsprechen könnte. Ferr Eertmich stand als erster auf.
„Na dann los …sehen wir uns dort mal um.“
*
Fromm Binnich hatte mit viel Mühe versucht, den tristen Gemeinschaftsraum etwas feierlich herzurichten, was ihm beinahe auch gelungen wäre. Nun begrüßte er die ersten Trauergäste, die mit verhuschten Blicken betreten an den Tischen Platz nahmen. An ihren Gesichtern war abzulesen, dass sie sich mit ihren schmuddeligen Arbeitssachen zwar etwas deplaziert vorkamen, trotzdem entschlossen waren, ihrem Bohrleiter hier noch einmal zur Seite zu stehen. Denn wenn es darum ging, jemandem die letzte Ehre zu erweisen, so war die einhellige Meinung, müsste eben Sauberkeit und Ordnung mal hinten anstehen. Außerdem, so meinte einer von ihnen, könnte Billbo ja auch gar nichts mehr davon sehen. Zu Beginn hatten einige die provisorische Trage mit dem verunglückten Billbo hereingebracht und ihn vorn abgestellt. Mit wenigen verblassten Plastikblumen, die Fromm Binnich immer für alle Fälle in seinem Notfall-Seelsorger-Koffer aufbewahrte, hatte er die Bahre geschmückt. Wer unverhofft in den Raum gekommen wäre, hätte glauben können, es handelte sich um das Ende der Verkaufsveranstaltung einer Kaffeefahrt. Die Gesichter der Männer sahen so aus als wären sie von der Länge der Veranstaltung genervt und ermüdet, und vorn war der Verkaufsleiter wegen des geringen Umsatzes in Ohnmacht gefallen. Leider war der Anlass natürlich trauriger. Als die Mannschaft vollzählig versammelt war, startete Fromm Binnich seinen Ghetto-Blaster mit Trauermusik. Da die Kassette schon viel herumgekommen war und sehr viel erlebt hatte, versuchten die Spulen immer öfter ein Eigenleben, drehten sich nicht mehr gleichmäßig und lieferten einen schaurig schrägen Leier-Sound, der die unheimliche Stimmung zusätzlich verstärkte. Erst als es gar zu grausig klang stellte Fromm Binnich das Gerät aus. Er hatte das wenige was er über Billbo wusste auf die Schnelle zusammengefasst und begann nun mit dem Versuch, das Leben des Dahingeschiedenen noch einmal aufzurollen.
„Billbo Heinze …ein treuer Freund und guter Mensch …der vielen ein Freund war … ein guter Freund …der auch in schwierigen Situationen immer Mensch blieb …ein guter Mensch, und dadurch vielen zum guten Freund wurde. Als Mensch stand für ihn aber nicht nur das freundliche im Vordergrund …nein auch die Menschlichkeit war ihm neben aller Lebensfreude wichtig. Und so begann er denn gleich nach seiner Geburt mit dem Leben …das sich bis heute hinzog. Nun ist er tot …“
„Schade …“, kam es etwas zu laut aus der Trauergemeinde und erstes unterdrücktes Gekicher krabbelte schon wieder zwischen den Trauernden herum.
Fromm Binnich guckte strafend in die Runde, konnte den Übeltäter aber nicht ausfindig machen. Ein ehemaliger Lehrer hatte ihm schon während seiner Schulzeit prophezeit, dass es bei ihm zum Entertainer nie reichen würde, weil ihm irgendwie das gewisse Etwas fehlen würde. Und genau dieses fehlende Etwas veranlasste anscheinend nun die Arbeiter sich schon wieder zu langweilen und Schabernack zu treiben. Der strafende Blick Fromm Binnichs ließ noch einmal Ruhe einkehren und er versuchte die Trauerrede fortzusetzen.
„Ein schrecklicher Unfall beendete heute sein Leben …das noch lange hätte gehen können …wenn er nicht gestorben wäre. So stehen wir nun vor unserem Freund …dem Menschen Billbo Heinze …und verneigen uns vor ihm.“
Während die mitfühlenden Worte noch minutenlang in dieser Weise über die Trauernden tröpfelten, zog Sell Berdohf wohl das deprimierendste Gesicht aller Anwesenden. Die ganze Zeit überlegte er schon, was denn nun mit dem Toten passieren sollte. Alle zehn Tage kam der Hubschrauber um die Mannschaft auszutauschen. Allerdings war der erst vorgestern hier. Wenn er ihn jetzt anforderte, würde das wieder zusätzliche Kosten verursachen. Oder sollte man Billbo erst mal in der Kühlkammer der Küche neben Tiefkühlkost und Mettwürsten zwischenlagern. Ganz kurz fasste er auch den Gedanken, ihn auszustopfen, verwarf das aber gleich wieder. Nein, das ging auf gar keinen Fall. Zwei Männer der Mannschaft hatten zwar Erfahrung als Vogelpräparator, allerdings fielen den Tieren meistens schon nach einer Woche die Glasaugen wieder heraus. Außerdem würde das hier ja eine viel größere Sauerei geben.
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