Sie verschwand im Bad, er hörte das Rauschen der Dusche, und wenig später ging das Telefon erneut. Diesmal ließ er es läuten, acht, zehn, zwölf Mal, bis es endlich verstummte. Dann ging er in die Küche. Er atmete tief durch, um das unangenehme Gefühl innerer Anspannung loszuwerden.
Eva war in ein grünes Badelaken gewickelt, das sie über der Brust locker verknotet hatte, und trug auf dem Kopf ein gleichfarbiges, zu einem Turban geformtes Handtuch, als sie in der Küchentür erschien, und instinktiv verglich er ihren Anblick mit dem Bild Julias in ihrem kurzen Bademantel. Eva war etwas größer als sie und hatte eine sehr gute Figur; und sie sah jünger aus als fast einundvierzig, obwohl auch das längst kein Alter mehr für eine Frau war. Doch der Unterschied zu Julia, die ihrerseits viel jünger wirkte, als sie vermutlich war – genau wusste er ja gar nicht, wie alt sie tatsächlich war –, hatte nur sehr begrenzt mit den Lebensjahren zu tun. Eva war eine in jeder Hinsicht erwachsene Frau, all ihrem manchmal etwas allzu jugendlichen Gebaren zum Trotz, und Julia Gerlach war genau das nicht.
„Was denkst du gerade? Du guckst so, als würdest du furchtbar angestrengt über etwas nachdenken, das ganz enorm wichtig ist”, sagte sie und löste den Turban, um sich ihr Haar zu rubbeln.
„Ich denke darüber nach, was ich uns zum Essen machen könnte. Ich habe einiges eingekauft und könnte beispielsweise Seelachsfilet mit Bandnudeln und einem Bauernsalat anbieten.”
„Klingt nicht schlecht”, meinte sie mit einem Augenaufschlag. „Ich hätte heute gar nichts dagegen, nicht mehr auszugehen und mit dir zu Hause zu bleiben.”
Sie löste auch den Knoten des Badetuchs, ließ es mit demonstrativer Absichtslosigkeit und ein paar ironisch-koketten Bewegungen bis zur Taille herunterrutschen und begab sich dann wieder ins Bad, um all die Prozeduren ihrer Körperpflege zum Abschluss zu bringen.
Seine Kochkünste waren nicht besonders hoch entwickelt, aber immer noch höher als ihre, und von Zeit zu Zeit entdeckte er bei sich einen gewissen Ehrgeiz, sie wenigstens im Rahmen seiner beschränkten Möglichkeiten zu vervollkommnen. Von dem allenthalben grassierenden Kochwahn hielt er indes gar nichts. Ihm ging es lediglich darum, wenn er denn schon kochte, eine einigermaßen gesunde und schmackhafte Mahlzeit zustande zu bringen. Bisher war die Liste der Speisen, bei denen ihm das gelang, noch ziemlich bescheiden, aber er gab sich redlich Mühe, sie zu verlängern. Seelachsfilet, Bandnudeln und Salat fielen allerdings nicht unter die Rubrik Innovationen und Experimente, hier agierte er auf vertrautem Terrain.
Später, als sie an dem gedeckten Tisch im Wohnzimmer saßen, lobte sie ihn ausgiebig dafür. Sie hatte sich nur ein lockeres, tunikaähnliches Kleid übergezogen, kaum länger als ein zu großes T-Shirt, und tat sich Eiswürfel in den Chablis, den er eigens für sie gekauft hatte, wobei sie ausdrücklich betonte, dass dies im Prinzip selbstverständlich ein „absolutes No-go” sei und sie sich diesen Fauxpas allein der Hitze wegen ausnahmsweise gestatte.
Er schwankte für einen winzigen Moment, ob er sich ebenfalls ein Glas einschütten sollte, viel fehlte nicht und er hätte es getan. Doch zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens hatte er den Alkohol bereits aus seinem Leben verbannt; Eva Uhlenbrock hatte ihn noch nie welchen zu sich nehmen sehen, und wenn er jetzt plötzlich damit anfinge, würde das bei ihr erhebliche Verwunderung hervorrufen und Fragen nach sich ziehen – Fragen, von denen nicht abzusehen war, wohin sie letzten Endes führen würden. Dass er von Julia Gerlachs Rotwein getrunken hatte, konnte er vor sich selbst vertreten und als einmaligen Ausrutscher abhaken, zumal es im Zusammenhang mit Handlungen geschehen war, die deutlich weniger vertretbar waren.
Eine Viertelstunde, nachdem sie zusammen den Tisch abgeräumt hatten, gingen erst er und dann erneut Eva ins Bad, und dann lag er keuchend über ihr auf seinem Bett. Ihr gemeinsames Sexualleben hatte sich von Beginn an in Richtung bestimmter fester Rituale entwickelt, die schon früh eine zumindest unterschwellige Tendenz zur Routine aufwiesen. Er wurde nie ganz den Eindruck los, dass sie bestrebt war, ihren Mangel an echtem Enthusiasmus durch eine pragmatische, in seinen Augen allerdings etwas zu forsche Zielstrebigkeit zu verbergen, so als handele es sich auch beim Geschlechtsakt um eines ihrer Projekte.
Eine weitere Viertelstunde später, als es vorüber und sie wie immer stumm geblieben war – fast stumm, er meinte gegen Ende hin etwas wie einen kleinen Laut gehört zu haben –, erklärte sie ihm, es sei anders gewesen als sonst, „irgendwie besonders“.
Er fragte sich insgeheim, ob sie das auch gesagt hätte, wenn sie gewusst hätte, wie schwer er sich die ganze Zeit damit getan hatte, das Bild ihres nackten Körpers unter sich tatsächlich auf sich wirken, es an sich heran, sich von ihm erregen zu lassen, weil sich vor sein inneres Auge ständig das Bild eines anderen weiblichen Körpers drängte, der zwar nicht vollständig nackt, sondern mit einem kleinen Hemd bekleidet war, was ihn jedoch nur umso entblößter hatte erscheinen lassen.
„Hallo? Hier ist Julia”, sagte sie wieder. Und diesmal legte sie nicht auf.
Es war kurz nach neun, und er war nach dem dritten Klingeln aus dem Bett gesprungen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Eva neben ihm weiterhin, tief atmend und gelegentlich ein bisschen schnorchelnd, ihre gleichmäßigen Schlafgeräusche von sich gab; auch das Ausschlafen am Samstagmorgen gehörte zu ihren festen Regeln. Er selbst hatte schon seit mehr als einer Stunde wach gelegen, verschwitzt und den Kopf voll von vagen Resten eines unruhigen Traums, die sich mit jenen anderen Bildern vermischten, die leider nicht einem Traum entstammten, sondern einer nur zu realen nächtlichen Begebenheit, die gerade dabei war, ihn wieder einzuholen.
Vorsichtshalber nahm er den Apparat mit ins Bad und verschloss die Tür hinter sich.
„Was ist los? Weshalb rufen Sie an?” Er versuchte, fest und energisch zu klingen, aber das gelang ihm höchstens halbwegs.
„Entschuldigung, ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt. Haben Sie heute schon Zeitung gelesen? Ich habe das gerade getan. Sie haben ihn gefunden. Ich...ich bin...völlig fertig. Ich halte das nicht aus. Ich weiß nicht, wie ich das.....”
Ihre Stimme zitterte und drohte umzukippen.
„Herrgott, nun beruhigen Sie sich doch. Das war doch zu erwarten. Und es hat doch zunächst einmal gar nichts zu bedeuten für Sie. Oder hatten Sie etwa gedacht, er würde dort ewig unentdeckt bleiben?”, sagte er.
Er gab sich Mühe, ruhig zu wirken, obwohl er immer noch weit weniger ruhig war, als er gern gewesen wäre. Nur allmählich begann er sich etwas zu fassen.
„Aber ich habe Angst, ich habe solch eine schreckliche Angst.”
„Die müssen Sie aber gar nicht haben. Sie werden sehen, nichts wird passieren. Wo ist denn übrigens Ihr Mann? Wollte der nicht gestern zurück sein?”
Der Gedanke war ihm erst in diesem Moment gekommen und er meinte ein kleines Zögern bei ihr zu merken.
„Der ist gerade los, eine Runde joggen und Brötchen holen“, entgegnete sie stockend. „Mein Gott, wenn er wüsste...”
„Nun beruhigen Sie sich doch, bitte, versuchen Sie einfach, ganz ruhig zu bleiben”, beschwor er sie.
„Kann ich Sie denn vielleicht später noch mal anrufen?“, kam es fast flehend zurück. „Irgendwann am Nachmittag? Da muss er nämlich noch mal weg.”
„Hören Sie, das geht nicht. Ich bin nicht allein, meine...Partnerin ist das ganze Wochenende über bei mir. Wir sind auch wahrscheinlich kaum zu Hause. Also bitte, seien Sie vernünftig, bitte.”
Er sagte das nicht unfreundlich, aber doch mit einer kaum misszuverstehenden Bestimmtheit.
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