Die musste lachen. »Tja, ich habe auch schon gehört, hier soll es Fliegen geben, die sind die reinsten Monster.«
Sie schaute prüfend auf seine Hüften. »Meinst du, du schaffst es ohne Pistole, mich zu verteidigen?«
Kai wirkte amüsiert. »Na ja, wenn sie nicht zu groß sind, ansonsten rufe ich Hilfe übers Handy.«
Der Track war natürlich ohne die geringsten Schwierigkeiten zu bewältigen, jede achtzigjährige Oma mit Krückstock und Hüftprothese hätte es bis zu dem Aussichtspunkt geschafft. Hetty hatte in Deutschland immer wieder versucht zu erklären, wie gut ausgebaut die Wanderwege in Australien waren. Doch die meisten Leute konnten sich nicht vorstellen, dass in dem wilden Kontinent in den Gebieten, wo sich die Touristen bewegten, der blanke Luxus herrschte.
Auch hier war auf dem geteerten Parkplatz wieder eine blitzblank geputzte Toilettenanlage mit Edelstahlwaschbecken vorhanden. Selbstverständlich behindertengerecht. Und das große zusätzliche Wunder war: Es gab immer ausreichend frisches weiches Toilettenpapier. Hetty hatte lange gebraucht bis sie zum ersten Mal die Heinzelmännchen sah, welche für diese Ordnung sorgten. Es war ganz einfach: Die Parkranger waren gleichzeitig auch die Putzkolonne. Trotzdem, wenn man bedachte, dass die nächste Ansiedlung teilweise zweihundert Kilometer weit weg lag, dann war das Ganze schon äußerst erstaunlich.
Am Aussichtspunkt befanden sich sogar ein paar Menschen, die eifrig Fotos von dem Nourlangie Felsen machten, der als rot geäderter Bergvorsprung in die Landschaft hineinragte. Hetty musterte den Gipfel, der nur einige hunderte Meter hoch war. Irgendwann würde sie da einmal hinaufsteigen, aber die Wanderung war mit guten sechs Stunden angesetzt und da war es besser auf die Trockenzeit zu warten.
Denn wenn ein plötzlicher Regenschauer kam, dann wurde die relativ harmlose Kletterpartie gefährlich. In der Wetseason kamen da auf einen Schlag schon mal zehn bis zwanzig Zentimeter Wasser auf einmal herunter und das war dann ohne Unterschlupf nicht mehr lustig. Ganz abgesehen davon, dass sich der Kletterpfad dann innerhalb von Sekunden in einen kleinen Bach verwandelte und der feste Untergrund damit in eine glitschige Rutschbahn. Hetty hatte solch ein Erlebnis einmal in ihrem Leben mitgemacht und konnte auf eine Wiederholung dankend verzichten.
Nach einer kurzen Pause, in der sie in einvernehmlichem Schweigen die Aussicht bewunderten, setzten sie ihren Weg fort. Als nächstes gab es eine große Höhle zu besichtigen, in der ebenfalls Zeichnungen zu sehen waren, die eine besondere Bedeutung für die Aborigines hatte. Hetty hatte bei ihrem ersten Besuch den Text auf der großen Schautafel, die ausführlich darüber informierte, hingebungsvoll durchgelesen. Und, wie üblich, zwei Minuten später keine Ahnung mehr gehabt, was sie gelesen hatte.
Als sie Kai ihr Dilemma erzählte, entlockte ihm das ein Schmunzeln. »Und ich habe schon gedacht, ich bin der Einzige, dem es so geht.«
Hetty grinste ihn an. »Sollen wir jetzt das alles nochmal durchlesen und wieder vergessen, oder sparen wir uns die Zeit und gehen gleich weiter?«
Kais Lachfältchen wurden tiefer. »Ich glaube, da sind wir uns einig.«
Er deutete mit einer leichten Verbeugung zu den Eisenleitern, die zum nächsten Aussichtspunkt führten und ließ Hetty den Vortritt beim Klettern. Als sie oben waren, hatten sie den schweren Teil der Tour hinter sich und konnten nach einem kurzen Rundumblick über einen bequemen Weg gemütlich zu ihrem Ausgangspunkt zurückschlendern.
Hashimoto und Susi hatten sich inzwischen auf die Bank gesetzt, die vor den Felsmalereien stand und waren immer noch eifrig am Reden und Gestikulieren. Hetty stellte nach einem Blick auf ihre Uhr fest, dass nicht sonderlich viel Zeit vergangen war.
Sie sah Kai fragend an, während sie mit einem Kopfnicken Richtung Bank zeigte und ein Aufstöhnen andeutete. »Was meinst du, fahren wir noch schnell zum anderen Wanderweg, den schaffen wir leicht, bevor wir heimfahren müssen.«
Der warf nur einen kurzen Blick auf das angeregt diskutierende Pärchen und meinte. »Nichts wie weg!«
Als sie mit dem Wagen den Kilometer zum nächsten Parkplatz fuhren, war sich Hetty nicht sicher, ob die zwei überhaupt zugehört hatten, als sie ihnen erklärten, was sie unternehmen wollten. Na ja, in einer Stunde waren sie sowieso wieder zurück und sie hatte so eine leise Ahnung, dass sie bis dahin nicht vermisst werden würden.
Auch dieser Weg war einfach zu bewältigen und sie folgten ihm einige Zeit durch schattige Bäume und Büsche bis sie zum Ende des Pfades kamen, wo zwei Eisenleitern auf eine felsige Anhöhe führten, die sich durch einen wunderbaren Ausblick auf das umliegende Land hervortat.
Ein Felsvorsprung warf einen kühlen Schatten auf einige Steine und lud dazu ein, sich bequem hinzusetzen und eine Weile zu rasten. Während Hetty zusah, wie sich weiße Wölkchen am Himmel aufbauten, zog sie ein erstes Fazit des Tages. Kai hatte sich als äußerst angenehmer Wanderkamerad entpuppt, der sich ihrer Gehgeschwindigkeit anpasste und dabei nicht den Eindruck machte, dass es ihn nervte, wegen ihr langsamer gehen zu müssen.
Er liebte, genauso wie sie, Flora und Fauna und mit seinen scharfen Augen entdeckte er Besonderheiten an denen sie, ohne seine Hinweise, ahnungslos vorbeigelaufen wäre. Wobei zugebenermaßen der Blickfang, den er bot, den größten Reiz an der Wanderung ausmachte.
Und seine Schweigsamkeit hatte einen großen Vorteil – Hetty redete zwar gerne und viel, aber wenn sie wanderte, dann war sie voll und ganz damit beschäftigt, die Umgebung zu betrachten und hatte nicht die geringste Lust auf ein Gespräch. Bei den Pausen war das etwas anderes, da war es dann ganz nett einen Gesprächspartner dabei zu haben.
Wobei es ihr, wie in Kais Fall, auch genügte jemanden neben sich sitzen zu haben, der einfach nur zuhörte und sich dabei offensichtlich nicht langweilte.
»Das war heute ein richtig schöner Ausflug!« Susi war ganz euphorisch. »Hashimoto weiß unheimlich viel über die Aborigine Kultur. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so interessant erzählen kann.«
Sie unterbrach ihre Lobeshymnen und musterte Hetty, die im Campingstuhl saß und die Füße hochgelegt hatte. »Es war doch kein Problem für dich – oder? Aber wir sind so ins Fachsimpeln gekommen, dass wir einfach kein Ende mehr gefunden haben.«
Hetty lachte. »Ich bin alt genug, um mich alleine zu beschäftigen. Abgesehen davon hatte ich ja Gesellschaft.«
Susi grinste. »Dein Ritter ohne Furcht und Tadel hat sich auch gleich angeboten, als es darum ging, dich vor dem Tod durch Langeweile zu retten!«
Hetty schüttelte lachend den Kopf. »Der hat sich vor allem selber gerettet und ist dir, glaube ich, ziemlich dankbar, dass du dich um Hashimoto gekümmert hast.«
»Wenn man vom Teufel spricht …«
Aha, Kai war im Anmarsch. Bevor er zu reden beginnen konnte, sagte Hetty. »Ja, wir kommen gerne.«
Jetzt hatte sie zwei Leute, die sie ansahen und dabei recht unterschiedliche Mienen zeigten. Susi war völlig von der Rolle und wusste überhaupt nicht, um was es ging.
Kai dagegen verbiss sich definitiv ein Lächeln und nickte. »Sieben Uhr.«
Ohne noch mehr von sich zu geben, drehte er sich um und ging wieder zur Lodge zurück. Hetty war sich sicher, dass er sich vor allem deshalb beeilte, um in aller Ruhe und Heimlichkeit laut lachen zu können. Dieser Mann liebte nichts mehr, als gute Antworten und rhetorische Spitzfindigkeiten.
»Kannst du mir bitte erklären, was das zu bedeuten hat?« Susi runzelte die Stirn.
»Ist doch ganz einfach. Ich bin davon ausgegangen, dass Hashimoto uns diesen Abend zum Essen einladen wird, um weiter deine Gegenwart genießen zu können. Kai hat er damit beauftragt, die Botschaft zu überbringen. Und ich habe die Sache etwas abgekürzt.«
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