Wir sind miteinander wie betend, während er die Frau immer wieder zart berührt, tröstend, Heil bringend auch.
Unwillkürlich denke ich an die Heilwunder in der Bibel. Einmal ist mir, als ginge ein Stromstoß durch uns drei. »Ich gebe Dir die Kraft meines Geistes«, sagt er, »die Kraft meines Blutes. Und Du wirst genesen. Diesen Körper hast Du, Heiliger Geist, geschaffen, der Du bist der Geist unserer Ahnen, die Vollkommenheit, die Du warst zu Anfang aller Zeiten und aller Erden. Du hast diesen Körper geschaffen, vollkommen. Du wohnst in ihm. Ich rufe Dich, vervollkommne wieder diesen Körper und reinige diese Seele neu.«
Nach diesen beschwörenden Worten holt er eine Kräutersalbe aus dem Regal hinter seinem Rücken. »Reibe sie jeden Tag auf die Schmerzbrust und fürchte Dich nicht mehr. Du wirst genesen.«
»Ich habe gewusst, Du hilfst mir.«
»Dein Wille hilft Dir, Dein Glaube. Lass Dich nicht auffressen von den Tagessorgen, vom Neid, geh Deinen Weg unbeirrt.«
Als sie weg ist, sieht er meinen Vorwurfsblick. »Sag mal«, bricht es schülerhaft aus mir heraus, »das sieht mir doch wie Brustkrebs aus.«
»Oje, Du Neunmalklugchen! Was ist denn das: Krebs? Ein Wort, mehr nicht. Ein Wort für Unzufriedenheit, Schicksalsschläge, Erbe aus vorigem Erlebten, Leere, Wahn, Liebesverlust, Verderbtheit, Kaputtsein wie die Umgebung. Chance aber auch zum Nachdenken, Mensch werden — auch das ist Krebs. Schau, diese Frau ist schon gesund, sie vertraut, glaubt durch mich an sich.«
Ich bin skeptisch: »Du bist mir unheimlich in diesem Moment, ein wenig scheinst Du mir furchtbar, Herr über Leben und Tod.«
Er ist ernstlich böse: »Wieder Deine Begriffswelt! Leben, Tod, wo der Tod schon beginnt, wo das Leben anfängt und fast alle stets tot sind. Natürlich kann der Magier Leben vernichten und irgendwie erzeugen, aber er bezahlt dafür am Ende mit dem Verlust seiner Seele, und dies auf immer. So wird er mutwillig sein Leben nie zertreten. Sieh mal!«
Ich schaue auf die Stelle, die sein Finger weist.
Es wächst dort etwas Graues, es verdichtet sich, vor uns baut sich ein riesiger Elefant auf. Ich versuche, das Bild aus den Augen zu wischen, der Elefant bleibt.
»Was siehst Du?«
»Einen Elefanten.«
»Was möchtest Du gerne sehen?«
»Nichts. Wenn man etwas sieht, das es nicht gibt, sollte man besser darüber schweigen. Eigentlich erschreckt mich das immer noch und immer wieder.«
»Es ist eine einfache telepathische Übung, diese Projektion — wie man das nennt—, das weißt Du doch ganz genau. Ich suggeriere Dir etwas, und das siehst Du. Ich wollte Dir damit nur wieder zeigen, wie leicht Leben vernichtbar ist, wenn man das wirklich will. Denn ich hätte Dir jetzt etwas zeigen können, wovor Du immer zurückschrecken wirst. Oder wäre das nicht mehr möglich?«
»Nein, aber wir wollen alles tun, dass dies auch bei keinem anderen gelingen kann, dass man niemals manipulierbar ist, keiner einem seinen Willen aufzwingen kann.«
Ich stehe auf und sage: »Lass uns jetzt gehen.«
Er hält mich zurück. »Nein, wir werden Dir ein Amulett fertigen.«
»Nun, damit ist es aber nicht getan.«
»Richtig. Wir wollen bald gemeinsam einen Schutz zur Krafterhaltung erarbeiten, damit Du unverletzbar bist. Einen Schutzwall aus Geist und Glauben und Wissen um das Göttliche in uns.«
5 Gott, Mensch und Magier
Gott und Mensch
Zur Göttlichkeit des Menschen fällt mir das Gedicht eines Wissenden ein, mit dem Titel »Weltgericht«, dessen Anfang ich hier gerne einbringen möchte:
Menschen,
wisset ihr nicht,
dass ihr, vom Ursprung her,
Götter seid?
Von eurem göttlichen Urbild
durch Unbewusstheit getrennt,
irret ihr tastend umher,
während die Götter, wissend,
frei von Irrtum und Schuld,
erfüllen das Schöpfergesetz.
Auf, Menschen, auf!
Die Posaunen des Weltgerichts dröhnen!
Sie künden das Kommen des
Weltenerlösers,
der euch aus Wirrsal und Scheusal,
Elend und stumpfer Not
den Weg zur Vollendung eröffnet.
Menschen, erfühlet in euch
seiner stahlharten Liebe Geheiß:
eurer Gottheit bewusst zu werden,
den Weg zur Vollendung zu schreiten.
Wieder sitzen wir beisammen, nachsinnend, nachdem ich das Gedicht leise, einzelne Worte in Gedächtniswindungen suchend und übersetzend, ganz langsam gesprochen habe.
»Gott? Erklär mir Gott«, fordert er. Die Hand stützt den Kopf mit der blütenweißen traditionellen Bedeckung der Einheimischen.
»Ich will von der Bibel ausgehen, weil ich damit aufgewachsen bin. Das Bibelwort sagt, Gott ist Geist, und wer ihn anbetet, soll ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten.«
Ich verfalle ins Dozieren.
»Da die Bibel den Begriff der Gottheit als etwas rein Geistiges in einen persönlichen Gott umgefälscht hat, werden die Verfasser der Bibel dem wahren Wesen der Gottheit, des Göttlichen, nicht gerecht. Es gibt keinen persönlichen Gott, der irgendwo auf einem Thron sitzt und regiert, der die Zügel in der Hand hat, die Milliarden Menschen persönlich lenkt und das gesamte Weltall dazu. Die Gottheit, das höchste Wesen, ist für den Menschen unfassbar, undefinierbar.«
»Das klingt wirr. Sind das alle Deine Gedanken dazu?« will er wissen.
»Keine Bange, es geht noch weiter. Denn meine Gedanken gehen weit über die Bibelvorstellungen hinaus, vor allem beschäftigt mich das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Der Mensch, hervorgegangen aus dem Urgeist, dem Urkraftzentrum, ist auch heute noch ein selbstschöpferisches Wesen. Unendlich groß ist das Potenzial der Steigerung zur Gottähnlichkeit, man kann über die Gesetze der materiellen Welt hinauswachsen, Krankheit und Tod überwinden.«
Gott und Magier
»Was aber ist des Magiers Idee von Gott?«, wirft er nun ein.
»Sag es!«, fordere ich ihn auf.
»Den normalen Leuten bleibt Gott stets unfassbar, unvorstellbar. Anders dagegen ist es beim Magier, er kennt seinen Gott in allen Aspekten, er zollt der Gottheit die höchste Verehrung, er weiß, dass er nach ihrem Bilde erschaffen wurde, Teil ihrer ist. Die Gottheit ist sein höchstes Ideal, sein heiligstes Ziel. Er will eins werden mit ihr, will Gottmensch werden.
Der Magier bekennt sich zu einer Universalreligion, mit offiziellen Dogmen einer Kirche gibt er sich nicht ab, er wird danach streben, tiefer in die Werkstatt Gottes einzudringen. Für ihn gibt es weder Himmel noch Hölle, diese Vorstellungen überlässt er den Priestern der verschiedenen Religionen, sollen sie damit ihre Gläubigen in Bann halten.«
»Nun sind wir beide uns doch aber darüber klar und einig, dass der Mensch als androgynes Wesen gewollt war. Wie also siehst Du das mit Gott und den Geschlechtern?«
»Kein Gott ist verantwortlich für unsere menschlichen Dummheiten, unsere eigensüchtigen Handlungs- und Denkweisen, auch nicht für die Verbrechen unter uns.
Der Gott, der jedes Haar, das von unserem Haupte fällt, kontrolliert, ist eine Erfindung der Schwächlinge, die zu keiner Selbstverantwortung fähig sind. Der Gott aller Welten und Galaxien des Universums gab uns den Verstand, damit wir ihn benutzen und nicht auf einen Weisen oder Unsichtbaren der vierten Dimension warten müssen. Nicht vergessen darf man, dass wir alle von einem großen Vater-Mutter-Prinzip, Gott genannt, abstammen. Rufen wir dieses Prinzip für unser Wollen zu Hilfe, können noch so zerstörerische Gedanken uns nichts anhaben. Es gibt keine Geistwertkurve des Mannes oder der Frau, es gibt nur eine solche des Menschen. Das in Intellektualismus ausartende Denken, das dem Mann eher als der Frau zu liegen scheint, ist ein Nachteil für unseren geistigen Fortschritt. Ein Wesen, das immer wieder als Frau über diesen Planeten wandelt, kann viel eher die Wiederkehr in die zwingende Materie abbrechen und sich in kosmischen Bereichen weiterentwickeln als der sich wieder und wieder Denkhemmnisse schaffende Mann. Alle sind wir aber im Grunde Dualseelen, es liegt an uns selbst, wie ähnlich wir uns werden können und werden wollen. Doch sind wir in unserem heutigen Jetzt alle mit mehr oder minder eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geschlagen und müssen gegen Rollenklischees angehen. Deshalb möchte ich Dich gerne fragen, ob Du es liebst, Frau zu sein?«
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