Daniel Beuthner - Der magische Met

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Krötenzwerg – so nannten ihn seine Mitschüler, weil Jens ein kleiner und zurückhaltender Junge war. Aber keiner von ihnen hatte den Mut, den düsteren Wald am Dorfrand zu betreten, nur Jens traute sich das. Und was er dort erlebte, reicht für viele Erzählabende.
Hinter den dunklen Bäumen verbergen sich geheime Ländereien, Fabelwesen treiben ihr Unwesen, sogar die Götter bekriegen einander. Und es gibt nur einen, der diese Welt in Ordnung und zum Frieden bringen kann. Ungeahnte Kräfte entwickelt Jens, neue Freunde gewinnt er und sogar das eigene Familienleben krempelt er völlig um. Aber wird es ihm tatsächlich gelingen, das Wundergetränk, den MET, aus Helheim zu entführen?
Dieses Buch handelt von den verborgenen Schätzen, die sich hinter den Äußerlichkeiten seiner Protagonisten verbergen. Es zeigt, wohin die Sehnsucht nach Unbekanntem und die Überwindung der Angst, der Mut aufzubrechen und Neues zu versuchen, führen können. Es ist ein Gleichnis für die inneren Werte, aber auch zugleich ein Beispiel für die Großartigkeit und den Mut der menschlichen Forschernatur.
Die Reise führt in eine Traumwelt, in der nicht nur der Starke gewinnt, sondern der, der seinen Verstand, sein Herz und seinen Willen für Gerechtigkeit, Frieden und ein menschliches Miteinander einsetzt.
Spannend zu lesen, mit zahllosen überraschenden Wendungen versehen, ist es nicht nur für Jugendliche empfehlenswert.

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Kwasir

Der magische Met

© 2013 Kwasir

Titelbild von Junimond

Imprint

Der magische Met

Kwasir

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Kwasir

ISBN 978-3-8442-4542-4

Inhalt

Der Alltag

Der Schulweg

Der Aufsatz

Der Unfall

Dwalin

Die Verwandlung

Der Silberhain

Der Baum des Wissens

Kama, der Jäger der Liebe

Agni, der Fürst des Feuers

Rhabur, der Tyrann

Sarja, die schöne Schneiderin

Der Kampf

Der Entschluss

Die Suche

Wafudhar

Jamuna

Drahs Ritt

Sofos Rat

Die Rettung

Die Nereide

Brontee

Niflheim

Inte Nattenties

Der Wille

Das Urteil

Die Prophezeiung

Das Wiedersehen

Der Mut der Bröckler

Die Gjöllbrücke

Der Schlüssel des Lebens

Helheims Pforte

Die grausame Hel

Bragi

Daheim

Der Alltag

Der Wald war tabu. Verboten. „Alles Böse kommt aus dem Wald“, so sagte man seit Generationen im Dorf. Wann immer ein Unglück passierte: „Der Wald hat es ausgespuckt!“ Wann immer ein Mensch verschwand: „Der Wald hat ihn verschlungen!“ Sein Rauschen war anders als das Rauschen üblicher Wälder. Sein Grün war finsterer, sein Geruch süßlicher – anlockend irgendwie. Es heißt, dass bereits über hundert Menschen willenlos dem Duft gefolgt waren und nie mehr gesehen wurden.

Der alte Förster war der Einzige, der den Wald liebte. Er wohnte auch darin. Die Einwohner Grechems hassten und fürchteten den Alten, weil er sich mit der grünen Finsternis verbrüdert hatte. Ein Kind soll er dem Wald geopfert haben, um von ihm angenommen zu werden. Jetzt heißt es, er sei untrennbar mit dem Gehölz verbunden und könne nie mehr hinaus.

Nur einmal im Jahr betraten die Bürger freiwillig den Wald - am Waldfesttag. Dann sollte alles Böse für einen Moment überwunden werden. Fackeln wurden angezündet - am helllichten Tag. Lieder wurden gesungen. Man fasste sich bei den Händen und machte sich Mut. Angeführt vom Bürgermeister zog die Gemeinschaft in einer langen Reihe quer durch den Wald. Alle gingen den kaum mehr erkennbaren Hauptweg entlang, am alten Forsthaus vorbei bis zum erlösenden Licht der anderen Seite. Sie sangen laut, riefen und machten Lärm. Sie schlugen auf Kochtöpfen herum. Die Dorfältesten voran, dann die Mütter mit ihren Kindern und schließlich die erwachsenen Männer. Viele hatten ihre Gewehre geschultert. Sie waren stärker als der Wald – für einen Moment.

Nur Oma Ilse ging nicht mit. Kein Jahr, seit Jens sich erinnern konnte, nahm sie an diesem Spektakel teil.

Jens ging in die zehnte Klasse. Er liebte die Natur. Er motivierte seine Mitschüler durch allerlei Aktionen zum Umweltschutz und überwachte die Krötenwanderung. Letzteres hatte ihm den Schimpfnamen Krötenzwerg eingebracht. Jens war sehr klein. Und, da es an jeder Schule die Dummköpfe aller Klassen sind, die, um von ihren eigenen Fehlern abzulenken, den Spott gezielt auf jene mit sichtbaren Gebrechen lenken, hatte Jens eben auch unter diesen zu leiden. Es gab Tage, da wäre er für bloße körperliche Gewalt dankbar gewesen.

Jens lebte bei seiner Oma. Sein Vater war ein Unbekannter und seine Mutter bei seiner Geburt verstorben. Er kannte sie nur von alten Photos, die Oma Ilse in einem Schuhkarton im Wohnzimmer aufbewahrte. Eines der Bilder hatte er liebevoll in seinem Zimmer an die Wand gehängt. Er mochte das Gesicht seiner Mutter. Auch wenn er sie nie gekannt hatte, hatte sich ihr Gesicht, ja ihr ganzes Wesen tief in seine Vorstellung und seine Träume geprägt. Auch seinen Opa kannte Jens nicht. Dass er nicht in einer richtigen Familie aufwuchs, störte ihn nicht. Von seiner Großmutter wurde er nach Strich und Faden verwöhnt, denn auch, wenn eine Oma die Mutterrolle übernehmen muss, bleibt sie immer noch Oma.

Das Haus, in dem die beiden lebten, war der Rest eines alten Gehöfts. Eigentlich waren nur noch vier Zimmer bewohnbar, aber diese waren stets so gepflegt, dass man sprichwörtlich vom Boden hätte essen können. Die Einrichtung war rustikal. Schwere alte Bauernschränke und massive Eichenmöbel prägten das Bild. Solche Möbel waren typisch für diese Gegend. Die Stube wurde von einer schlanken Stehlampe beleuchtet, aus deren trichterförmigem Messingkopf die Glühbirnen wie an Krakenarmen hingen. Direkt daneben stand das Sofa mit seinen vielen verschiedenen Kissen und der karierten Wolldecke über der Lehne. Es war der beste Ort zum Lesen. Jens allerdings machte wenig Gebrauch von dieser Beschäftigung. Zur Mitte des Raumes führte ein neuer hellgrüner Läufer. Jens hatte ihn seiner Oma zum letzten Geburtstag geschenkt. Es war ihr dreiundsechzigster. Auf dem Boden unter dem Esstisch, an welchem acht Personen bequem Platz finden würden, sorgte ein grobgeknüpfter Teppich für Wohnlichkeit. Ein Kruzifix, ein schlechtes Ölgemälde, worauf ein Ochsenkarren abgebildet war und zwei kleinere Spiegel bevölkerten die sehr ornamentale Tapetenlandschaft. Omas Schlafzimmer war klein und bestand eigentlich nur aus ihrem Bett, es war ein großes französisches – ihr ganzer Stolz.

Die Diele entlang zu Jens’ Zimmer tickte die schlichte Standuhr satt vor sich hin. Sein eigenes Reich war groß. Ein Jugendzimmer mit antiken Akzenten: Der Teetisch, die Wäschekommode und vor allem der Sekretär mit dem Geheimfach. Jens liebte dieses Möbel und wie in einem Tabernakel bewahrte er darin sein Allerheiligstes auf. Für den Schulkram und das alte Spielzeug war genug Platz in den blauen Sperrholzmöbeln. Der Schreibtisch war immer überfüllt und unaufgeräumt und meistens, wenn er daran saß, blickte er zum Fenster hinaus in seine Gartenlandschaft und ließ sich durch Gedankenspiele von den Hausaufgaben ablenken.

Neben diesen Zimmern gab es noch das „dunkle Zimmer.“ Jens mochte den Raum unter dem Dachboden nicht. Er hatte kein Fenster und kein Licht. Es lag kein Strom unterm Dach. Alles, was man nicht in der Wohnung gebrauchen konnte, wurde hier aufbewahrt. Der Raum war das schlechte Gewissen des Hauses. Als kleines Kind hatte Jens sich gefürchtet hineinzugehen. Wenn seine Oma ihn dennoch bat etwas herunterzuholen, schlich er mutig vor bis an jenen großen knorrigen Tisch, zu welchem das wenige Licht, das einfiel, wenn man die Tür aufmachte gerade noch gelangte. Dahinter gähnte die Finsternis. Dorthin ging er selbst dann nicht, wenn seine Oma ihn mit einer Taschenlampe bewaffnet hatte. Die Dielen wippten und knarrten hier oben und erzeugten beim Laufen ein leicht schwebendes, unsicheres Gefühl. Heute noch überkam ihn manchmal ein unbegründeter Schauer, wenn er das dunkle Zimmer betrat.

Die übrigen Räume, außer dem Bad und der Küche natürlich, waren verfallen und unbewohnbar. Der Zustand des Hauses war allerdings nichts Außergewöhnliches in Grechem. Der Ort war eine Kleinstadt, die ihren Ursprung in den umliegenden Bauernhöfen hatte. Die Höfe waren zwar bewohnt, aber Landwirtschaft wurde kaum noch betrieben.

Jens machte das Beste aus dem Leben abseits der Stadt. Er liebte es, die Landschaft nach seinen Vorstellungen zu formen und hatte darin bereits einiges Talent entwickelt. In den letzten Wochen war der dunkelblonde Krauskopf damit beschäftigt, ein riesiges Loch im Garten auszuheben. Kaum kam er nach Hause, ging er schon wieder mit Spaten und Schaufel bewaffnet hinters Haus. Er wollte ein Biotop bauen, um alle Rätsel der Natur zu verstehen. Vielleicht würde er es sein, der eines Tages die Geheimnisse des Waldes ergründet.

Richtige Freunde hatte der Außenseiter kaum. Eigentlich gab es da nur Monika, die Nachbarstochter. Ja, Monika war am ehesten so etwas wie ein Freund. Sie hatte ihn nie gehänselt wegen seiner Größe und oft hatte die Klassenkameradin ihm auf dem Heimweg Trost zugesprochen oder auf dem Hinweg Mut gemacht. Sie teilte sogar ein Geheimnis mit ihm: Eines Morgens, sie kannten sich gerade erst eine Woche, kam sie völlig verheult aus dem Haus. Ihre Mutter brachte sie bis zur Tür und rief ihr vorwurfsvoll nach: „Das kommt eben von deinem dummen Aberglauben, mein Fräulein. In dem Alter kann man doch nicht mehr so naiv sein. Ich wünsche keine Diskussion! Du gehst jetzt zur Schule und siehst zu, wie du es erklärst.“

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