»So ist die Lindenblattstelle des Siegfried also auch die unsere?«
»Genau, beim einen heißt das Blatt Faulheit, beim anderen ist es die Eitelkeit, bei der Mehrzahl ist es der Egoismus.«
»Aber wie sind sie nun genau vorgegangen?«, unterbreche ich ihn.
»Zuerst haben sie sich einen sehr persönlichen Gebrauchsgegenstand von Frank beschafft, eine Kette vielleicht, die er täglich auf der Haut getragen hat, benutzte Kleider, seine Brieftasche. Mithilfe einer seinem Bild nachgemachten Puppe aus Holz oder Stroh, vielleicht noch mit einem seiner Haare oder Fingernägelschnipseln bestückt, haben sie einen Analogzauber veranstaltet. Die Puppe wird mit Nadeln gefoltert, getötet, fühlt sie den Schmerz, geht dieser auf die Person über.«
»Verstehe.«
»Dieser Frank«, fährt er unbeirrt fort, »hat einen Drang gespürt hin zu dieser Frau, nachdem dort Worte gesprochen worden waren wie: ›Du wirst den Wunsch haben, heute zu mir zu kommen, nichts wird Dich davon abhalten, Du wirst alles andere vergessen, Du willst nur noch mit mir sprechen, mit mir sein, Du wirst mich allein lieben, Du wirst deine Familie vergessen, es hat sie für Dich eigentlich niemals gegeben.‹«
Er schaut mich an: »Aber die Macht über Leben und Tod, über die der Magier im Geheimen verfügt, wird hier pervertiert, dient nur der Rachgier oder irgendeiner anderen Gemeinheit. Sicherlich haben sie ihm auch noch ein Liebestränklein gemixt.«
»Woraus bestehen denn solche Liebestränke?« Ich blicke ihn interessiert an. Er grinst und wird dann wieder ernst und ruhig.
»Viele Liebesmittelchen werden aus Pilzen gewonnen, aus Pflanzen auch, die im Sud gekocht und dann auf die Zunge oder ins Ohr gegossen werden. Diese Mittel können das stärkste Lebewesen fällen wie ein Blitz den Baum.«
»Ich bitte doch aber um ein richtiges Rezept.«
»Hexe Du, aber warum nicht? Also, man nehme etwa Manioksaft, pulverisierten Kiesel, unreine Aschen, Schlangeninnereien, Ausscheidungen läufiger Hündinnen, Tierblut, und verkoche alles zu einem Öl. Dazu gebe man phosphorhaltige Substanzen, die den Geschlechtstrieb anfeuern sollen. Auf genaue Mengenangaben verzichtest Du doch wohl?«
»Eigentlich«, meint er dann nachsinnend, »sind illegitime Manöver dieser Art Männerdomäne, hier ist es mal andersherum.« Und ernst: »Das Aufsaugen eines Anderen verändert oft ganze Schicksale, denn die gefährlichsten Zaubertränke sind unsichtbar.«
»Wie kann man sich denn vor solchen Dingen hüten?«
»Nur, wer nichts als Wahrheit und Gerechtigkeit wünscht, braucht nichts zu fürchten. Sein natürliches Licht wird unwillkürlich jenes des ihm Übelwollenden zurückweisen. Einen Erleuchteten wird man vielleicht kränken können, zu töten vermag man ihn nie. Einen Menschen wie Dich«, er legt seine Hand auf die meine, »kann heute keiner mehr angreifen, geschweige denn umbringen.«
Er weiß, ich weiß.
»Die weichliche und heuchlerische Erziehung der Frauen«, bedauert Mahmud nach langer Schweigenszeit, »trägt dazu bei, dass viele von ihnen nun auch zu solchen Mitteln greifen, mehr und mehr auf dem ganzen Erdball. Wären sie offen über den Lauf der Welt informiert, sich ihrer selbst bewusst, dann wären sie weniger leichtfertig und bösen Verleitungen weniger zugänglich. Die Schwäche liebäugelt immer mit dem Laster.«
»Wir als Magier«, sagt er dann scheinbar zusammenhanglos, »müssen über die verborgenen Naturkräfte verfügen, ohne Gefahr zu laufen, von ihnen vernichtet zu werden.«
»Und Franks Tod?«
Er zieht kaum merklich die linke Braue hoch, studiert mein nachdenkliches Gesicht. »Stell es Dir im Bild vor.«
»Da ist nichts.«
»Hol Dir das Geschehene vor die Seele und fass Deine Geistseelengedanken in Worte.«
Mit geschlossenen Augen versuche ich, in mich zu horchen. Die Bilder schießen zuerst unklar vorbei, der störende Verstand gaukelt vieles vor. Doch dann kommt aus dem Unterbewusstsein unerbittlich die Klarheit. Durch den Staub sehe ich die dicke Frau zum Magier watscheln, sehe ihre Redefratzen, ihre verschlagenen Blicke peinigen mich. Sie fertigen eine Stoffpuppe an, benetzen sie mit ein paar von Franks Haaren, legen dem grausamen kleinen Ungetüm Franks Armband um den Hals. Der Negativmagier, Zauberer eher, sticht der Puppe Nadeln durch den Kopf, murmelt Beschwörungsformeln: ›Und so wie dieser Puppe geschehe es dir.‹ Jetzt kann ich mir die Ausfälligkeilen Franks gegenüber seiner Familie erklären. Der Magier nickt, er hat sich in meine Gedanken eingeschaltet, Worte würden hier nur stören.
»Die Vorarbeiten hast Du richtig gesehen, und nun den Tod?«
Die Bilder bei mir überlappen sich. Der Verstand meint, dass ein Auto projiziert wurde, ein Lastwagen, dem nicht mehr auszuweichen war. Dann aber sehe ich vor mir den Magier, stehend in einem kleinen Schutzkreis, in der Hand sein Schwert, gekleidet in seinen Mantel, das Gesicht bemalt, in Trance versetzt. Er stößt Unverständliches hervor, beschwört den Astralkörper des Opfers herbei, zwingt diesen in den großen Außenkreis und durchstößt ihn. Menschliches Versagen heißt das später in der Zeitung, und wenn ich von Unfällen lese, dann kommt mir manchmal neben dem oft zu vermutenden Freitod ganz plötzlich ein ungeheuerlicher Verdacht.
Manipulation
Ja, jetzt weiß ich, aber …
Als ich das erste Mal zu Mahmud kam, ganz still in einer Ecke saß, in faszinierender Weise gefangen, ohne die Sprache zu verstehen, versuchte ich zu erkennen, was da gesprochen wurde. Da hat er, als die Ratsuchenden weg waren, ohne mich zu begrüßen, ernst mit mir geredet:
»Versunken in Deiner anbetenden Bewunderung, wäre es mir ein Leichtes gewesen, Dich in die nächste Ebene, die nächste Welt zu schicken.«
Eine seltsame Begrüßung war das.
»Aber warum, und dann wie?«
»Oh, der Europäerverstand bricht durch, und alle Nebel heben sich.«
Hier spürte ich hinter Mahmuds Güte erstmals den feinen Spott und seinen eigenen Intellekt, den er so gerne leugnete. Mahmud tadelte ständig meine Überbetonung des Intellekts, den er als reine Täuschung versteht, da er unnatürlich, herzlos, trauerlos, demutslos sei. Sollte einen das aus dieser Welt ausstoßen dürfen, einen das nicht ängstigen? Denn man ist doch nicht allein.
»Angst ist es gar nicht, Ekel ist’s«, sagte ich.
»Auch Ekel ist Angst, macht abhängig davon, keinen Ekel empfinden zu wollen oder zu sollen. Wir sind heute alle so voller Angst. Der Intellekt lässt uns lieber oft das Leben unerträglich sein und oft den Tod fürchten. Besser, man vertraut den natürlichen Dingen um uns herum, fühlt sich darin geborgen. Es ist der Intellekt, der seine Bastion bis zum Ende behaupten will, der körperliche Gebrechen auch des Alters negiert, sowie auch die ermüdete Psyche missachtet.«
»Auch Du hast Angst, Mahmud. Du auch?«
»Nein, ich habe die Angst überwunden, aber das ist ebenfalls ein langer und oft schwerer Weg. Heute habe ich keine Angst mehr vor dem Leben und auch nicht die kleinere vor dem Weggehen, dem Tode.«
»Die ist in unserer Gesellschaft daheim sehr verbreitet, beide Ängste eigentlich. Ich habe sie auch nicht, wovor sollte ich auch Angst haben.«
»Ich höre es wohl, dann also lass uns sofort drangehen an die Rattenfurcht, die musst Du überwinden, das ist Deine erste richtige Aufgabe.«
Und er rief: »Amin!«
»Mahmud, weiser Herr?«
»Bring uns eine Deiner unsäglichen und zugleich so nützlichen Karossen, wir fahren mit Dir zur zoologischen Handlung.«
»Was soll ich da?«
»Oh, nicht dass es nicht genug Rattengetier am Nil gäbe, oder in Khartoum selber, auf den Märkten etwa, aber wir wollen sie lieber erst einmal im Käfig betrachten, das ist für Dich, Christina, einfacher. Schrittweise erreicht man sein Ziel meistens besser. Außerdem, und das ist wesentlich, richten sich diese Tiere in Gefangenschaft häufig auf, und Du wirst sehen, dass sie in dieser fröhlichen Mach-mal-Männchen-Stellung jedes Abwehrgefühl vergessen lassen. Sie wirken dann wie Murmeltiere, die findest Du doch goldig, oder?«
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