Tatsächlich, vor dem Zooladen im Stau stehend, die grelle Sonne im Rücken, umwabert von Afrikas Gerüchen und Düften, und vor mir die schützende Schaufensterscheibe — kein Problem. Freilich, Freude kam auch nicht eben auf. Den Schwanz versuche ich mir mit aller Fantasie wegzuzaubern. Die huschenden Bewegungen, die so oft meinen Schauer auslösten, sind durch den engen Käfig eingeschränkt. Auch der Blick von oben, als wir dann im Laden drin sind, gleitet fast verwegen auf die Tiere. Die Vorstellungskraft versetzt Berge, ich schlucke heldenhaft, kriegergleich. Dann bin ich aber doch froh, als Mahmud mich sanft am Ellbogen nimmt und hinausführt.
»Genug fürs Erste, das wiederholst Du nun, so oft Du kannst, und stellst Dir auch vor, dass Du mit solchen Tieren irgendwo allein bist. Das musst Du schaffen, denn wenn nicht, bist Du angreifbar. Und angreifbar, das dürfen wir niemals sein. Niemals.«
Die Belohnung folgt auf dem Fuß, wir wandeln, jeder im Einklang mit sich selbst und auch dem anderen, durch das internationale Flair des Hilton-Hotels — überall auf der Welt so gleich, so abgerundet, so anders als das Draußen. Wir essen gediegen französisch und erfreuen uns an amerikanischer Swing-Musik. Internationalität umgibt uns in dieser Enklave inmitten Afrikas.
»In ein paar Tagen setzen wir unser Studium auf dem Markt fort.«
Mahmud brachte mich schließlich dazu, erst einmal über in den Abwasserkanälen tot herumtreibende Rattenkörper zu steigen, dies sowohl im Sudan als dann auch bei einer Reise nach Ägypten. Dort bin ich dann Häusertreppen hochgestiegen, wo es unter vielen Tieren auch Ratten in Mengen gab, die neben, hinter und vor mir über die Stufen eilten, mit dem bekannten Huschen, mit dieser schmutzigen Heimlichkeit. Ich habe es ertragen, ein stilles Grausen aber erfüllt mich bis heute.
Nur — mit einer Projektion oder Suggestion kann mich heute niemand mehr besiegen, indem er mir vorgibt, ich und eine Ratte seien miteinander allein und ich hätte keine Entkommenschance. Noch so viele und noch so intensive Bildprojektionen vermögen das nicht mehr, dank Mahmuds Schule.
4 Magie und Gesundheit
Die blasphemische Frage von heute lautet nicht mehr »Wo lassen Sie denken?«, sondern »Wo lassen Sie leben?« In dieser Frage schwingen dann auch andere mit, nämlich »Wo lassen Sie heilen?« und »Wo lassen Sie lieben?«
So will ich denn den Einstieg in unser Thema »Magie und Gesundheit« über die Liebe wagen.
Die innere weibliche Seele des westlichen Mannes, die weiblichen Werte, die einst in unseren Kulturen existiert haben, sind tot. Der Tod bezeichnet jenen traurigen Tag in unserer Geschichte, als unsere patriarchalische Mentalität das Weibliche gänzlich aus unserer Kultur und unserem täglichen Leben vertrieb. Nun ist aber kein einziger menschlicher Wert oder Charakterzug in sich selbst vollständig, er muss von seinem männlichen und weiblichen Partner in einer unbewussten Synthese ergänzt werden, wenn wir Ausgeglichenheit in Ganzheit erreichen wollen. Wir müssen, jeder von uns muss beide Seiten der Psyche entwickeln, um ein ganzer Mann oder eine ganze Frau zu werden. In jedem von uns liegt die Fähigkeit, zur Ganzheit zu gelangen, die widersprechenden Teile in uns zu einer Synthese zu vereinigen.
Kaum einer von uns versteht wirklich, in welchem Ausmaß das männliche Streben nach Macht, Produktion, Prestige und Leistung uns verarmen lässt und die weiblichen Werte aus unserem Leben hinausdrängt. Wir Menschen im Westen sind Kinder der inneren Traurigkeit, obwohl wir nach außen hin alles besitzen. Es hat wahrscheinlich in der ganzen Geschichte noch nie Menschen gegeben, die so einsam, so sich selbst entfremdet, so verwirrt in Bezug auf ihre Werte und so neurotisch waren wie wir. Unsere Umwelt haben wir mit der Gewalt eines Vorschlaghammers und mit elektronischer Präzision unserer Herrschaft unterworfen. Nur ganz wenige von uns leben in Frieden mit sich selbst, fühlen sich sicher in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, zufrieden mit ihrer Liebe, daheim in der Welt. Die meisten von uns suchen nach dem Sinn des Lebens, nach Vorbildern, nach Werten, nach Liebe, nach tiefer gehenden Beziehungen. Unsere Traurigkeit resultiert aus dem Verlust der weiblichen Werte, die wir herabgewürdigt und aus unserer Kultur vertrieben haben.
Aber kein Teil der menschlichen Psyche kann in einem gesunden Zustand leben, wenn er nicht von seinem Gegenteil ergänzt und im Gleichgewicht gehalten wird.
Wenn wir lernen könnten, das Weibliche auf eine bewusstere Art zu lieben, dann würde der Verkauf von schmerzstillenden oder anderen Tabletten drastisch zurückgehen. Wir müssen wieder lernen, die Wolken zu beobachten und ihre Form zu enträtseln, uns in der Sonne zu wiegen, die Farben der Erde zu betrachten, die Gerüche in uns aufzunehmen, den physischen Körper zu akzeptieren, auf unsere Träume zu hören. Wir müssen lernen, wie man Zuneigung zeigt. Erst dann können wir Frieden schließen mit uns selbst.
Das aber wird uns nicht gelingen, wenn wir auf unseren tief verwurzelten patriarchalischen Ansichten verharren, wir müssen jene Teile unseres Selbst betreten, die wir kaum je berührt haben, die wir kaum kennen. Wir müssen die Reise ins Innere antreten und uns dort dem Drachen stellen, den verborgenen Schatz heben. Jeder von uns kann sich auf diese innere Suche begeben und die Bürde auf sich nehmen, ein Ganzes zu werden. Viele Menschen hierzulande, die östliche Religionen und Philosophien einfach übernehmen und sie missverstehen, erheben es zu einem Ideal, sich vom ICH zu befreien. Es ist aber wichtig zu begreifen, dass dieses ICH absolut notwendig ist, denn es muss die Synthese zwischen den verschiedenen Bewusstseinszentren innerhalb des riesigen Universums der Psyche herstellen. Es ist unabdingbar notwendig, dass wir zunächst lernen, wie wir uns gegenüber dem eigenen Selbst zu verhalten haben, und erst dann, wie man sich gegenüber Menschen und Situationen in der äußeren Welt verhält. Solange man nicht gelernt hat, wie man den Motiven, Wünschen und ungeliebten Möglichkeiten des geheimsten Winkels des eigenen Herzens gegenübertritt, kann man nicht in sich selbst vollständig oder wirklich erfüllt sein. Der westliche männliche Mensch aber, statt dass er nach innen blickt, wo seine Anima von Natur aus wohnt, verlangt, dass seine Umgebung ihm seine Seele gebe, er verlangt sie von seiner Frau. Normalerweise ist er so beschäftigt damit, seine inneren Ideale auf sie zu projizieren, dass er nur selten den Wert und die Schönheit der Frau wahrnimmt, die in Wirklichkeit vor ihm steht; und plötzlich ist dann der schreckliche Konflikt der Werte und Verpflichtungen ausgebrochen, denn unsere Verpflichtungen und Seelenprojektionen gehen in verschiedene Richtungen und befinden sich im Kriegszustand, und das zarte und zerbrechliche Gefäß der menschlichen Beziehungen kann sie nicht mehr ertragen.
Wenn wir so verletzt sind, dass sonst nichts mehr hilft, wenn wir in der Trickkiste des ICH absolut nichts mehr finden, das unserem Leben Gesundheit und Sinn verleiht, dann wenden wir uns zögernd an unsere Seele; und stets ist da etwas, das wir in uns als böse ansehen, das uns zum Ganzwerden zwingt. Es kann eine Drohung sein, ein Haar in der Suppe, etwas, das die Welt unseres ICH in Unruhe versetzt und unser Fließbandleben unterbricht. Es kann eine Krankheit sein, Erschöpfung durch Überarbeitung oder eine Neurose, die plötzlich an die Oberfläche kommt, unser Leben stört und uns zwingt, nach dem Sinn, der hinter allem steht, zu suchen und nach dem, was wir nicht erklären können. Wir begeben uns erst dann auf die Suche, wenn unser Leben steril wird. Wir suchen unsere Seele, aber wir wollen sie zu unseren Bedingungen. Wir wollen sie als Anhängsel zu unserem ICH, als Verzierung unserer Person. Wir benutzen unsere Seele als Energiequell, sie soll unserem Leben Sinn und Richtung geben und unsere Existenz aufregender gestalten, aber wir wollen nicht von ihr zu ihren Bedingungen lernen, und wir wollen sie auf keinen Fall als gleichgestellt behandeln.
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