Im leeren Konferenzzimmer teilt Besprechungsunterlagen auf dem großen Tisch aus, als Marie herein gelaufen kommt, einen Zettel schwingend.
“Hör dir das an, Alma! Das könnte passen!” Sie stellt sich in Pose und liest. “Follow me, says the sea man / leaving the canoe with his net full, / inland where the sun is warming up the fireplace / and the treasures that I have brought for you, island brother.” Sie schaut Alma erwartungsvoll an, die weiter den Konferenztisch mit Papier und Kugelschreibern bestückt: “Toll. Für irgend einen Inselbewerb. Vierland hasst diese direkte Romantik. Sagt er.”
Marie stöhnt und fischt einen weiteren Zettel hervor. “Oder das hier? Begnadet die guten alten Tage / weil sie uns immer noch umfangen, / und wir können sie jederzeit aufwecken / indem wir im Inneren Klarheit erlangen.”
Alma starrt sie an. Marie rollt die Augen. “Ja, ich weiß, sozial-psychologische Schlagerparade!” Sie lässt sich auf einen Sessel fallen, seufzt tief. Alma gießt Wasser in die Gläser, während Marie ihr gedankenverloren zuschaut.
“Nach den Zillionen von Texten weiß ich nicht mehr, was ich denken soll!”
Stimmen nähern sich am Gang; Marie springt auf und eilt davon, während Alma um den Konferenztisch geht, die Unterlagen, Kugelschreiber und Wassergläser exakt ordnend. Vierland steckt seinen Kopf herein, sieht Alma und geht wieder.
Alma, Marie und ihr Boss Moritz Vierland wie auch Komponistin Lian (44, rothaarig, zierlich, hager, immer in einen dunklen Hosenanzug gekleidet), Marketing-Chef Otto (35, fett, vulgär und humorlos) und Publizistin Karin (32, groß, schlank und bleich), Choreograph Lyle (38, kraushaariger Halb-Asiate) sowie Musiker Flip, Charlie und Svenja (alle Ende 20) hören sich Demo-CDs von Musikern unterschiedlicher Musikstile an und diskutieren; Assistent Mick assistiert allen.
Alle Anwesenden beobachten Vierland nervös, wie er lauscht, die Stirn runzelt und immer wieder den Kopf schüttelt.
“ Es war ein Geschenk meines Ex-Mannes Karl an sich selber, dass er meine Arbeitskraft seinem alten Freund Vierland ans Herz gelegt hat, weil dessen Plattenfirma noch mehr Probleme hatte als ich. Beschäftigt war ich, und das war gut, obwohl ich vom Musikgeschäft gar nichts verstand ... aber das tröstete mich nicht darüber hinweg, dass mein Ex sich mit seiner langbeinigen jungen Flamme in der Karibik sonnte. Immerhin hielt es mich davon ab, seinen Ruin zu planen: Ich hatte schlicht und einfach zuviel anderes Drama am Hals.”
Alma sitzt im Nachthemd in ihrem Bett, am Telefon sprechend, während sie Pudding löffelt; Magazine liegen auf dem Bett; Alma liest aus einem vor: “You remind me of the trees / that allowed me to rest in their shade / my curious company / when I was a young adventurer in the solitude.”
Die Augenbrauen hebend gähnt Alma: “Bist du noch da, Marie? Nicht übel, oder?” (Lauscht.) “Okay, dann hör zu, andere Variante: I want to tell the wind, high up without confines, / what I am feeling. / The wind won’t reveal my secret but spread my loving thoughts everywhere.”
Sie lauscht ins Telefon, gähnt weiter und lässt das Magazin sinken. “Du hast Recht. Suchen wir also weiter. Bis morgen.” Sie legt das Telefon weg und lässt sich müde tiefer ins Bett gleiten; Dann nimmt sie entschlossen das nächste Magazin auf.
“ Eigentlich habe ich mir immer gewünscht, dass er mich anschauen solle. So richtig. Ich wollte in seine Seele schauen, ihn als Person irgendwie erspüren, abseits von ... Klischees. Wenn ich in der Bücherei war und irgendwo haben seine Honiglocken geschimmert, war ich so aufgeregt, wie niemals zuvor. Einen kleinen, heißen Stich habe ich gespürt. Immer wieder. Das gibt’s doch nicht, habe ich gedacht. Es fühlt sich romantisch an. Aber ich kann nicht verliebt sein. Nicht in den da.
Seit wann es denn verrückt sei, sei, sich für einen Mann zu interessieren, stichelte etwas in mir sofort hämisch. Und dann hatte ich schlechtes Gewissen und Bauchdrücken, eine gute Stunde lang. Und Dabei habe ich durch Vierland weiß Gott genug Probleme am Hals gehabt. Es hat aber gut getan, einmal nicht an Timber und seine Songs zu denken.”
Vierland stürmt in Almas Büro und wirft einen Stapel beschriebener Blätter auf ihren Schreibtisch. Sie bringt die Kaffeetasse in Sicherheit, holt tief Luft.
„Das darf doch nicht wahr sein! Das ist Schund, Alma!“
Sie gibt sich gleichmütig. “Die Leute haben sich wirklich alle Mühe gegeben.”
Vierland reibt sich heftig die Stirn und dreht den Kopf, um seine Nackenwirbel zu entspannen, dass es knackt. Alma zuckt zusammen und verzieht das Gesicht, angeekelt vom Knacken. Vierland ist blass, und auf seinen Wangenknochen prangen rote Flecken.
„Unbrauchbar ...“ flüsterte er.
„Moritz,“ Alma ging um den Tisch herum auf ihn zu, „... noch ein bisschen Geduld. Ich habe heute eine junge Engländerin hereinbekommen, die wirklich was drauf hat. Wir ...“ Sie macht das “DaumenHoch”-Zeichen des Optimismus, „... schaffen es schon. Am späten Nachmittag bekommst du die Übersetzung.“
Vierland schaut sie misstrauisch an und geht zum Fenster, seine Finger trommeln gegen die Fensterbank.
„Ich weiß nicht, ... ständig wird mir etwas Tolles versprochen, aber was haben wir bis jetzt?“ Er macht eine wütende Geste zu den Blättern hin, die über Almas Schreibtisch verstreut liegen wie Herbstlaub.
„Nichts als Mist!“ Er starrt Alma an. Sie zuckt hilflos die Schultern.
Vierland wankt zur Tür, vor sich hin murmelnd.
“Die Zeit läuft uns davon ...”
Alma steigen Tränen auf, und sie wischt sie entsetzt ab, während sie ebenfalls murmelt. “ Als ob wir uns nicht schon zerreißen würden ...”
“ Und obwohl ich mich auf Vierland konzentrieren sollte, hab’ ich in diesem Moment an Adrian gedacht und daran, dass ich ihm nicht einmal klarmachen würde können, was meine Probleme sind, wie meine Welt aussieht. Er würde wahrscheinlich nichts begreifen. Vielleicht dieses abgehobene Lächeln lächeln. Glücklich der Narr, der nicht weiß, dass er einer ist ... Da habe ich beschlossen, nicht mehr an ihn zu denken.”
Vierland kehrt zu Alma zurück und schaut sie zornig an. Aber ehe er etwas sagen kann, weicht sie vor ihm zurück und geht durch den Raum, zur Tür, vor Erregung zuckend: “Dein Verhalten ist völlig daneben, Moritz. Es ist nicht meine Schuld und nicht die von Marie oder Timber oder von irgendwem, dass dich Jerry sitzen hat lassen. Das wird wohl persönliche Gründe gehabt habe. Aber wie kannst du von uns erwarten, dass wir einen Ersatz für ein erfolgreiches Duo aus dem Ärmel schütteln? Weißt du, ich verstehe nicht viel von diesem Business, aber doch genug, um zu kapieren, dass es einfach unfair ist, so, wie du deine Leute behandelst.”
Vierland kommt mit klaffendem Mund leicht gebückt auf Alma zu, gestikulieren.
“Wie redest du mit mir? Ist das der Dank dafür, dass du hier –“
Alma weicht ihm nicht aus und öffnet die Bürotür. “Dass ich hier arbeiten darf?” Sie lächelt ihn kalt an. “Muss ich nicht, Moritz. Jeden Morgen frage ich mich, wozu ich mir das antue.”
Vierland schnappt nach Luft und ringt nach Worten, während Alma ihn schweigend anschaut, sich an der Bürotür festhaltend. Dann stapft Vierland an ihr vorbei aus dem Büro.
Alma holt tief Luft und schließt leise die Tür. Sie geht mit steifen Schritten zu ihrem Schreibtisch zurück und nimmt das Telefon, wählt.
“Marie? Ja. Er war gerade hier. Ich bitte dich, finde noch andere Agenturen. So wird das nichts.”
“ Und während ich mit Marie oder mit Vierland geredet habe, ist mir das Gesicht von diesem Fremden, dem Außerirdischen eingefallen, sein braunes Gesicht mit den schwermütigen Augen ... Nein, nicht schwermütig, nur melancholisch ... schlaftrunkene Augen ... und diese Honiglocken ... Aber immer habe ich gewusst, dass es nur Wahnsinn sein konnte, etwas zu denken wie ... dass er mir fehlte. Er, den ich gar nicht kannte.”
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