Sie lauscht ins Telefon und schnaubt dann, erregt. “Doch, hat es. Aber wenn´s dich nicht interessiert ...” Sie lauscht weiter und schließt die Augen. “So hab´ ich´s nicht gemeint, Marie. Man hört dort so viele „Bitte“ und „Danke“ wie nirgends sonst. Wieso eigentlich? Die Leute, die dort arbeiten sind überhaupt nicht besonders freundlich oder irgendwie effizient. Von wegen Gleichbehandlung! Wenn unsereines sich so verhalten würde im Job ...”
Alma erinnert sich daran, als sie durch die Bücherei gegangen ist. Ein junger Mann im schwarzen Rollkragenpulli nimmt die zurückgebrachten Videos in Empfang und registriert sie mit Tastendrucken an einer Computeranlage, und es dauert ewig. Die Kunden verharren vor ihm, geduldig, als hätten sie alle Zeit der Welt, obwohl sie ihn heimlich irritier beobachten.
“Bei ihm ist es wohl der eigentümlich verzögerte Blick unter schweren Lidern hinter dicken Brillengläsern hervor, der ihn auffällig macht.”
Die Frau an der Kasse lallt beim Sprechen ein wenig und ist sehr dick, mit unförmigen Proportionen. Sie merkt es nicht, wenn ihre Kleidung verrutscht und die Träger ihres Büstenhalters sichtbar werden oder die Pickel in ihrem Dekolleté. Und der Mann am Wissenschafts-Regal singt ständig leise vor sich hin, in gräulich falschen Tönen, und er schnaubt manchmal, so laut wie ein Pferd ...
Alma spricht am Telefon mit Marie. “Und viele von denen sind so in sich gekehrt, dass es einen fast kränken kann, weil sie so gar kein Interesse an einem zeigen. Und es ist oft schwierig, etwas von ihnen zu verlangen, das aber doch zu ihrem Job gehört! Aber dann diese Gesichter! Als ob sie hoch konzentriert bei der Sache. Sind sie aber nicht.”
Sie lauscht wieder ins Telefon und richtet sich auf, gestikulierend. “Na und? Rege ich mich eben auf. Ich finde es eben nicht richtig, dass sich alle Kunden so locker geben, als ob nichts wäre. Das schaue ich mir an, in irgendeinem anderen Betrieb, dass sie dort so entspannt und gelassen wären, wenn rein gar nichts weitergehen ... Und dort komme ich mir so vor, als ob ich auf einem Minenfeld spazieren gehen würde.”
Sie lacht über Maries Bemerkung. “Ja, stimmt. Ist wie eine Filmgeschichte. So eine künstlerisch, die kein Mensch versteht. Weißt du, manche von denen ... sie verhalten sich irgendwie übertrieben unbefangen. Ist ihnen nach Rülpsen, dann rülpsen sie einfach. Wenn sie keine Lust haben, sich zu beeilen, dann arbeiten sie eben langsam. Das ist nicht normal, aber wir müssen so tun, als ob´s das wäre. Also sind wir diejenigen, die diese Leute “gleich behandeln”, indem wir sei aber doch anders behandeln als wir eigentlich möchten! Denn stell dir vor, ich würde mich beschweren! Dann würde es heißen, ich sei ... weiß die Hölle was, diskriminierend oder so.”
Alma steht in der Bibliothek am Informationsschalter. Der Bedienstete, Ben, der teenagerhafte Bursche, steht mit dem Rücken zu ihr und tippt mit dem Zeigefinger unendlich langsam auf einer Tastatur herum. Alma wartet minutenlang, Ben beobachtend, geht dann um den runden Informationstisch herum und tritt in Bens Blickfeld, aber er schaut nicht auf.
“Guten Tag. Ich habe eine Frage!”
Ben runzelt erbost die Augenbrauen, aber tippt weiter. Alma holt tief Luft und bemüht sich um eine freundliche Stimme.
“Ich warte schon sehr lange hier. Und ich muss zurück ins Büro, also –“
Ben starrt weiterhin auf den Bildschirm, tippend, spricht aber mit scharfer Stimme: “Ich habe zu tun, sehen Sie das nicht?”
Alma hält den Atem an vor Empörung und lehnt sich an den Informationstisch. Sie spricht mit zusammengebissenen Zähnen. “Und ich bin Kundin hier, und das ist der Informationsschalter, und Sie sind dazu da, mir Informationen zu geben.”
Ben dreht sich langsam zu ihr um, mit einem Ausdruck, als hätte Alma ihn gerade aufs Ärgste beschimpft. Alma kneift die Augen zusammen und geht weg. Ben ruft ihr nach.
“Also war es nur ein Witz mit der Information?”
Kollegen von Ben kommen den Gang entlang herangeschlendert und schauen Alma so misstrauisch an, als seien sie sicher, sie habe etwas gestohlen. Alma murmelt vor sich hin, zitternd von Zorn.
“Was glotzt ihr so idiotisch ...”
Auf dem Bett am Rücken liegend telefoniert Alma mit Marie und rollt herum.
“Die Garderobenfrau hat einmal ihrem Kollegen lang und breit erzählt, dass in der Straßenbahn jemand in die Ecke neben der Tür gekotzt hat, und die ganze Zeit hat sie die Tasche einer Kundin festgehalten, die schon längst gehen wollte. Aber die hat die Garderobenfrau nur lächelnd angeschaut, statt irgendwas zu sagen. Stell dir vor, Marie, eine von uns würde sich so verhalten, was wir uns anhören würden müssen!” Sie lauscht wieder ins Telefon und lacht dann. “Eifersüchtig ist gut!”
Sie setzt sich auf und klopft auf die Bücher.
“Ich kann da nur durchblättern, und wenn mich etwas anspringt,” Sie seufzt und rollt die Augen, “... aber Marie, das ist nicht der richtige Weg. Das ist dir ja wohl auch klar, oder nicht?”
“ Ich bin einmal sogar mit zerrissener Strumpfhose hinausgegangen, weil der Reinigungsbursche seinen Besen beinhart gegen mein Bein gedroschen hat. Ich hätte schimpfen und ihm eine Ohrfeige geben wollen, aber ich hab’ bloß vor mich hin gemurmelt und meinen Zorn hinuntergeschluckt.
Adrian also. Stundenlang nach Verlassen den Bücherei hat mich der Name nicht losgelassen.”
Alma sitzt wieder an ihrem Büro-Schreibtisch, aus dem Fenster starrend und in den Sonnenschein blinzelnd. Sie steht auf, öffnet das Fenster und atmet tief durch. Kollegin Marie tritt (ohne zu klopfen) hastig ein, mit einem Packen Papier beladen.
“Hier ist der ganze Müll!” Sie lässt die Ladung vor Alma auf den Schreibtisch plumpsen. “Jawohl, Auditions samt Transkriptionen! Ich kann’s nicht mehr sehen!“ Sie schaut Alma erstaunt an. “Du bist ja ganz erhitzt! Bist du krank?”
Mit bittere Ironie schnaubend deutet Alma auf den Papierhaufen. Marie schnaubt auch und lässt sich auf den Besuchersessel fallen.
“Na dann ist ja gut. Ich hab’ schon gedacht, ‘was Ernstes.”
Alma dreht sich wieder dem Fenster zu. Marie spricht flehend.
“Bitte, spring nicht! Schau dir alles so schnell wie möglich durch und sag’ mir, wen ich anrufen soll! Vierland wird sonst heute noch durchdrehen.”
Augenrollend zuckt Alma die Schultern, und Marie wirft ihr einen Kuss zu und eilt hinaus.
Alma liest sich durch den Papierstapel, den Marie gebracht hat; Sie telefoniert, arbeitet an ihrem Computer, schreibt Briefe und recherchiert im Internet; Sie blättert durch Stapel von Magazinen; Sie schaut Musiksendungen im Fernsehen und am Computer an.
Ein schlanker, sportlicher Bursche Anfang zwanzig mit markanten, freundlichen Zügen und einem blonden Wuschelkopf, Assistent Mick, bringt Schachteln mit Bändern, Platten und CDs; Alma hört sich Bänder und CDs mit Kopfhörern an, während sie durch ihr Büro geht, aus dem Fenster schaut oder zugleich Texte liest.
Alma stapelt und verstaut Bänder und CDs und legt Papier in Ordnern ab, beschriftet Schachteln und ordnet Material in Laden und auf Stellagen.
Spätnachmittags geht Alma langsam an der Bücherei vorbei und späht durch die großen Fenster hinein - und sieht prompt Adrian zwischen Bücherregalen. Sie hastet zur Bushaltestelle weiter.
“ Ein Außerirdischer. Er zwang mich, ihn zu beobachten. Es war gar nicht meine Schuld. Er hatte ... Fähigkeiten.”
Sie steht an der Bushaltestelle und schüttelt den Kopf über sich selbst, spricht ihre Gedanken laut aus. “Hör auf damit! Das ist Blödsinn! Schluss!”
Andere Wartende schauen sie misstrauisch an. Alma dreht sich von ihnen weg, erbost murmelnd: “Na und, mit wem soll ich denn sonst reden, mit euch vielleicht, Glotzaugen?”
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