In der Hand hält Stine einen Steintopf, über dem Armstumpf mit der hölzernen Hand ein sauberes Tuch.
Ibn lenkt sie ab: „Was ist da in dem Pott?"
„Weidenasche. Ich muss noch die Lauge draus machen."
Die andere Magd hilft, die Asche in das heiße Wasser einzurühren, reinigt dann unter Ibns strengen Blicken damit den Fußboden.
Gedankenvoll entnimmt Ibn seinem Lederbeutel Schwamm und Seife, schaut dabei Stine an, denkt, wie hübsch sie ist mit ihren großen blauen Augen; himmelblau und wunderschön sind ihre Augen.
Ehe der Sarazene Foelke untersucht, befiehlt er, dass die Kranke sorgfältig gewaschen wird. Stine zögert keinen Augenblick. Trotz ihrer Behinderung ist sie sehr geschickt. Ibn fragt Stine behutsam, ob sie sich nicht vor der Krankheit fürchte.
„Ach nein, Herr. Wenn ich sterben soll, dann ist es mein Schicksal, daran ändert auch Furcht nichts."
„Das gefällt mir, Stine."
Das schmutzige Laken wandert ins Feuer und auch der Feudel und das benutze Leintuch. Das Schmutzwasser lässt Ibn durch den Abtritt in den Graben schütten. Der leere Eimer wird vors Bett gestellt - für alle Fälle.
„Hole frischen Kräutertee", trägt Ibn der Dürren auf. „Minze, Kamille, Wegerich und Huflattich zu gleichen Teilen. Brühe das Ganze gut auf und süße es mit Honig. Sodann bringst du es her. Die Burgfrau möchte später vielleicht etwas essen. Brei ist nicht gut, den wird sie wieder ausspeien. Sicher mundet ihr zwiegebackenes weißes Brot. Habt ihr gutes weißes Brot?“
Die dürre Magd knickst und kichert dümmlich, aber Stine bestätigt, dass sie erst kürzlich weißes Brot gebacken hätten und trägt dem Mädchen auf, Ibns Anweisungen zu folgen. „Tu, was der Arzt gesagt hat. - Hier, nimm die Schüsseln mit dem kalten Zeug mit."
Als die Magd gegangen ist, steht Stine unschlüssig herum. „Es ist immer schwierig mit der Hefe“, sagt sie. „Die Bierhefe ist oft zu sauer für weißes Brot. Aber diesmal ist das Brot richtig gut geworden.“
Ibn nickt zustimmend und winkt sie zu sich: "Komm her zu mir, fass' an! Du mir helfen."
Die Kranke ist völlig bekleidet. Stine muss beim Ausziehen zur Hand gehen. Eigentlich findet sie es geradezu abartig, dass der Sarazene ihre Herrin nackt sieht, aber die Erkrankung scheint ziemlich ernst zu sein und das verlangt es wohl, denn eigentlich ist es Ibn aufgrund seines Glaubens wohl verboten, nackte Menschen anzusehen.
Indessen sucht er Foelke sorgfältig nach Geschwülsten ab, betastet die Achselhöhlen, die Leisten. Er atmet schwer, nickt und brummelt etwas vor sich hin. Das ist für Stine bestimmt, aber sie kann es nur schwer verstehen. Ja, die Drüsen sind angeschwollen, aber Beulen sind es nicht. Noch nicht? Er muss sie beobachten. Die Stirn glüht, aber das Fieber kann wohl mit kalten Beinwickeln gesenkt werden.
Vorsichtig drehen sie Foelke auf den Bauch. Ellenbogen und Nacken sind normal, weder pflaumengroße Beulen, noch linsengroße schwarze oder blauschwarze Flecken am Körper.
Schnaufend richtet Ibn sich auf und verhüllt halb sein Gesicht mit dem herunter hängenden Ende seines Turbans, welches sich bei der Prozedur gelöst hatte.
„Wird sie den Kampf gewinnen?“ fragt Stine zögerlich.
„Keine Schwarze Pest!" antwortet er laut.
„Keine? Was dann?"
„Vielleicht hat die Burgfrau Verdorbenes gegessen? Wer weiß? Die Kinder? Geht es ihnen gut?"
„Ja, Herr. Bevor sie nach Dykhusen abgefahren sind, hörte ich sie streiten wie eh und je", lacht Stine niedlich.
„Und wer hat gewonnen?“, fragt Ibn amüsiert. Er kennt die beiden Rangen gut genug, um zu ahnen, dass Tetta gewonnen hat, denn die Kleine ist keck und hat stets das letzte Wort.
„Tetta natürlich, Herr.“
„Und wo sind die Kinder jetzt?"
„Die Amme hat Tetta und Dietrich mitgenommen."
„Wohin?"
„Sind mitgefahren nach Dykhusen."
„Aha.“ Er reicht Stine das saubere Nachtkleid. „Komm, zieh ihr das an und leg der Burgfrau kalte Beinwickel an, das senkt das Fieber."
Will er sie nicht zur Ader lassen? überlegt Stine, denn das hat man sie gelehrt, dass die Entstehung von Krankheiten auf einer Störung des Gleichgewichtes der vier Kardinalssäfte beruht, nämlich der des Blutes, des Schleimes, der gelben und der schwarzen Galle. Wenn die Herrin gesund werden soll, muss der Arzt das Gleichgewicht wieder herstellen. Und das geschieht durch Aderlass. Allerdings, zurzeit ist zunehmender Mond und der Zeitpunkt des Aderlasses hängt ab von Mondphase und Planetenstand.
„Glaubst du auch, dass ein Aderlass nur in den ersten sechs Tagen bei abnehmendem Mond hilft?" fragt Ibn im selben Augenblick.
Stine nickt und taucht das Tuch ins kalte Wasser: „Ja, Herr. Bei wachsendem Mond sind Blut und faulige Flüssigkeiten zu sehr vermischt. Darum kann man das Schlechte nur ungenügend vom Guten trennen."
Das nasse, kalte Tuch regt Foelkes Lebensgeister an. Sie stöhnt und phantasiert.
Ibn klärt Stine über den Aderlass auf: „Ein Aderlass beseitigt die schlechten Säfte und sorgt für den Körper wie ein warmer Regen, der langsam und in gedeihlicher Menge auf die Erde fällt, diese bewässert und befähigt, Frucht hervorzubringen. Deshalb werden wir trotzdem einen Aderlass machen, Stine, denn wir müssen die Burgfrau von dem schädlichen Schleim reinigen.“
Er spricht sehr deutlich und langsam, damit sie auch alles verstehen kann. Nur selten kommt es noch vor, dass er die fremde Mundart nicht einwandfrei beherrscht. „Geh, Stine, hol mir die Fliete und fasse sie nicht an der Schneide an, sie ist sehr scharf."
Behutsam nimmt Ibn das messerähnliche Gerät entgegen: „Wir unterscheiden drei Hauptadern, Stine, die Kopfader, die Mittelader und die Leberader. Am wirkungsvollsten ist der Schnitt in die Kopfader, denn diese ist mit vielen Säfte führenden Gefäßen eng verbunden. Bei traurigem Herzen, Schwermut, Schmerzen an der Seite, Lungen- und Herzschmerzen schneiden wir die Mittelader an. Bei Leber- und Milzschmerzen, bei dem Gefühl von Atembehinderung, bei Schwindelanfällen ist dagegen die Leberader zu öffnen. Bei Schmerzen an der Zunge oder am Fuß werden dort kleine Schnitte angelegt."
Der Wundarzt hat die Sprache in den vergangenen Jahren so perfekt erlernt, dass Stine kaum noch einen Unterschied feststellen kann und wäre nicht sein exotisches Aussehen, dann würde bstimmt kaum jemand bemerken, dass er aus einem fernen Land stammt.
Unterdessen hat der Arzt bereits Foelkes Arm mit einem festen Band am Oberarm abgebunden und durch leichten Druck die Ader in der Armbeuge schräg angeschnitten. „Dünne Adern“, fährt er in seinen Erklärungen fort, „schneidet man quer an, vor allem an den Füssen.“
So redefreudig kennt Stine ihn sonst gar nicht und während das Blut in einen Becher rinnt, überlegt sie, aus welchem Grunde er ihr das wohl alles erzählt.
Er bittet freundlich, ihm die Messingdose zu reichen. „Wenn ein Gefäß angeschnitten wird, ist es so, als ob sich das Blut erschreckt. Dadurch fließen schlechtes und zersetztes Blut gleichzeitig mit ab."
„Hat das Blut deswegen so unterschiedliche Farbe?" fragt Stine und hält Ibn die geöffnete Dose hin.
„Ja, denn wir glauben, dass es aus Fäulnis besteht und Blut. Siehst du, was jetzt kommt, ist reines Blut. Nun müssen wir die Blutung stillen. Wenn jemand körperlich schwach ist, so wie Foelke, darf der Aderlass nicht mehr betragen als in ein Ei von gewöhnlicher Größe hineingeht. Denn ein Aderlass, der über das Maß hinaus vorgenommen wird, schwächt den Körper ebenso wie ein heftiger Regenguss die Erde schädigt, wenn er ohne Maßen auf die Erde fällt. Es ist wichtig, dass man nie zu viel Blut abzapft, weil sich sonst das verarmte Blut nicht mehr gegen Seuchen und andere Krankheiten wehren kann."
Ibn gibt Stine den Becher mit dem abgezapften Blut und nimmt eine schütter gewebte Binde aus seiner Messingdose: „Schau, so verbindet man das angeschnittene Gefäß. - Möchtest du nicht in meiner Apotheke helfen?"
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