Ocko war es immer gelungen, Streitereien zu schlichten und auch Widzelt bemühte sich bisher tätig um Frieden zwischen den Orden. Prämonstratenser wie auch Zisterzienser genossen in besonderem Maße Schutz und Schirm der tom Brook. Überdies war der Prämonstratenser-Orden außerordentlich wichtig für den Handel mit Fettvieh. Es gab keinen Ersatz für die geschäftstüchtigen Mönche. Das beunruhigte Foelke sehr, denn es würde einer Katastrophe gleichgekommen, wenn durch Klosterauflösung oder ähnliches der Handel zusammenbrechen würde. Was war da zu tun? Abwarten? Dann konnte es zu spät sein. Foelke entschloss sich, eilends Boten zu den Klöstern zu schicken, um die Äbte auf die drohenden Untersuchungen vorzubereiten. Aber die wussten es bereits, denn das lang erprobte Meldesystem der Klöster funktionierte untereinander hervorragend. Kein Grund zur Aufregung, hieß es. Man werde entsprechend reagieren, wurde ihr beschieden. – Was immer das auch bedeuten mochte, eigentlich sollte es Foelke als Landesherrin beruhigen. Trotzdem erfasste sie große Unruhe.
Furcht, sagte sie sich, Furcht, dass Widzelt nicht heimkehrt. Was wird dann aus mir? Aus uns? Aus dem Land? Man wird den Kindern und mir einen Vormund vor die Nase setzen oder Schlimmeres… Vielleicht wird man uns aus dem Weg räumen, mich und meine Kinder… Mal abgesehen von Folkmar Allena gibt es genug Häuptlinge, die scheel auf uns blicken und lieber heut als morgen die Macht an sich reißen würden.
Es war um die siebte Morgenstunde als Foelke erwachte und aus dem Fenster schaute. Die herrschaftlichen Holzfäller, die Axt über der Schulter, verschwanden gerade im nahen Wald, verschluckt von den hohen Föhren. Schwatzend standen Schröter am Burggraben herum. Foelke hatte verfügt, den Burggraben zu säubern. Der Schilfbewuchs nahm bereits überhand. Sie wandte sich ab, kleidete sich rasch an. In ihr erwachte plötzlich eine Art Wandertrieb, der sie ziellos im Schloss umhergehen ließ. Es erfüllte sie wie das Flackern des Feuers, wie das Auf und Ab der Meereswogen.
Aus der Küche drang die gellende Stimme eines Weibes und der dumpfe Geruch gekochter Rüben. Dort gab es nichts für die Burgfrau zu tun, ebensowenig in den Ställen. Zwischendurch stürzte sie sich auf ihre Webarbeit, als hinge ihr Leben davon ab. Aber es hielt sie nicht lange am Webrahmen und sie wandte sich ihrer begonnenen Stickerei zu. - Ein neuer Einfall. - Wieder hinunter in die Küche. Met ansetzen: Eigenhändig rührte sie in einem Fass drei Teile Wasser mit einem Teil Honig an und gab etwas Bier hinzu. Dann füllte sie ein Leinensäckchen mit zerstoßenem Zimt, Nelken, Kardamom, Kalmus und Ingwer, beschwerte es mit einem Kieselstein, damit dieser das Gewürzsäckchen zu Boden ziehe, und ließ es ins Fass gleiten. Einem Knaben befahl sie, die Mischung fünf Stunden lang zu rühren. Diese Prozedur war wichtig und nach altüberliefertem Brauch hieß es, für ein gutes Gelingen sei es bedeutend, dass der Knabe noch nicht mannbar sei. Den Grund dafür kannte Foelke nicht, war auch unwichtig. Wichtig nur, dass der Knabe nicht zu heftig umrührte und das Fass danach vierzig Tage und Nächte unter freiem Himmel stand. Zufrieden rechnete Foelke nach, dass Widzelt auf keinen Fall heimkam, bevor das Getränk fertig vergoren sein würde. - Ein schöner Begrüßungstrunk für die Heimkehrer!
Die Arbeiten, das Rühren und tiefe Hinunterbeugen ins Fass, hatten Foelke arg angestrengt. Ihr Kreuz schmerzte, ihre Lenden nicht minder, wobei... eigentlich schmerzten die schon länger... Gewöhnlich kannte sie so etwas nicht von sich. Das beunruhigte sie und sie beschloss daraufhin, ins Dorf zu gehen, um eine Arznei zu erstehen. Aber zuerst wollte sie nach ihren Kleinsten sehen, Tetta und Dietrich. - Ach nein, die sind bei der Amme gut aufgehoben. Ich lass' es. - Aber dann schaute sie doch nach den Kleinen. Dietrich spielte andächtig mit Bauklötzen auf dem Fußboden. Er sah kaum auf, als die Mutter zu ihm trat. „Nicht umwerfen!“
„Nein, tu ich ja nicht. Schön machst du das. - Gut, dass du ihm eine Decke untergelegt hast“, bemerkte Foelke freundlich in Richtung Amme.
Die nickte: „Ja, es ist sonst zu kalt von unten.“
Sie war gerade beim Stillen. Neidvoll blickte Foelke auf deren pralle Brüste. Bei ihr war leider der Milchstrom trotz etlicher Kräutertränke, die den Milchfluss anregen sollten, schon seit längerer Zeit versiegt. Immerhin zählten die Kleinen schon drei Jahre. Dietrich war seit langem entwöhnt, aber Tetta liebte den warmen Milchstrom. Süß, das saugende Mündchen und wie die Kleine mit ihren Händchen nach der Brust griff. Dieses wunderbare Gefühl missgönnte Foelke der Amme. Na, wenigstens ging es den Kindern gut. Es sind Engel! Meine kleinen Engel!
Tetta sprang vom Schoß der Amme und lief zu ihrer Mutter, umarmte heftig ihre Beine.
„Ich will ins Dorf. Wollt ihr mit?“ fragte Foelke.
„Nö, och nö… ich spiele lieber mit Dirk.“
Foelke küsste Tetta auf die rosa Bäckchen. „Ich bin dann mit Ocka im Dorf. Seid schön brav", bemerkte sie und wandte sich zum Gehen.
Tetta hüpfte derweil fröhlich zu ihrem Brüderchen. Aber sie konnte nicht rechtzeitig anhalten und so stieß sie all seine schönen Bauwerke aus hölzernen Bausteinen um.
„Tetta! Was tust du da?!“ schalt die Amme.
„Ach, lass nur“, sagte der Bub - Tränen in den Augen. „Sie ist ja noch so klein.“
Foelke musste schmunzeln. Was für ein lieber Junge. Dabei ist er doch genauso klein wie sie. Leise zog sie die Tür hinter sich zu, ging den Flur entlang zu ihrer Kemenate.
Töchterchen Ocka saß auf dem bunten wollenen Walkteppich und spielte mit Cid, ihrem schwarzen Kater. Ein Bündel Sonnenstrahlen ließ ihr zartes Gesichtchen aufleuchten.
„Keno ist draußen", sagte die Kleine. „Er will seinen Hund erziehen. Mama, mir ist so langweilig."
Der Anblick ihrer süßen Tochter zauberte ein Lächeln auf Foelkes Gesicht: „Hör zu, Süße: Wir gehen jetzt ins Dorf hinein und kaufen einen neuen Rock für mein süßes Mädchen ein. - Hei, das wird das Kind erfreun!“
Ocka strahlte und sprang ihrer Mutter freudig in die Arme: „Wollen wir zusammen ins Dorf gehen, Mama?"
Foelke nickte und Ocka angelte begeistert ihre Pelerine vom Kleiderhaken. Die Kleine liebte diese Gänge ins Dorf, weil sie dann immer Geschenke von der Mutter bekam.
Cid stolzierte hüstelnd in seine Ecke. Seit dem Brand des Doms von St. Marien, in dem er fast umgekommen wäre, hüstelte der alte Kater stets vornehm.
Ächzend zog Foelke ihre hölzernen Trippen, pantinenartige Unterschuhe, über die sündhaft teuren weichen Lederschuhe. Mit diesen hölzernen Unterschuhen ließ es sich wegen der Absätze zwar nur trippeln, aber sie schützten vor Straßenschmutz. Und überdies fand Foelke Trippen so überaus anmutig, dass man sie nur äußerst selten mit den klobigen Holzschuhen im Dorf sah. - Schließlich warf sie ihr Cape über, kontrollierte den Inhalt des Geldbeutels am Gürtel, und spazierte mit ihrem Töchterlein Hand in Hand ins Dorf hinunter.
„Wollen wir Meister Ibn besuchen, Ocka?" fragte sie, aber sie wußte schon, dass Ocka das gerne wollte. Nach Ritter Ockos Tod hatte Ibn sich als Arzt und Apotheker in Aurichhove niedergelassen. Ibn schenkte Ocka immer ein Stück Scheibenhonig oder etwas von dem köstlichen Konfekt, welches er selber herstellte. Auch Foelke liebte es, bei Ibn vorbeizuschauen, denn Ockos Wundarzt bot mehr als nur Arzneien an. Hier konnte man neben exotischen Gewürzen, Konfekt und verschiedenen Weinsorten auch andere kostbare Spezereien erstehen. Schon deswegen genoss Foelke den Besuch bei Ibn. Aber überdies hinaus verkörperte er auch ein Stück Gemeinsamkeit mit Ocko..., Erinnerungen, schöne ebenso wie betrübliche. Ibn war Ockos Freund gewesen und gleichermaßen auch heute noch ein treuer und teurer Freund der Familie.
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