„Ja, er musste es tun, weil der Herzog es verlangt hat. Ibn, ich habe Furcht, dass er nicht wiederkommt."
Der Arzt wandte sich ab und nahm eine Phiole vom Regal. „Nehmt davon am Morgen und vor dem Schlafengehen einen Löffel, das hilft gegen die innere Unruhe."
Ocka bestaunte derweil die vielen schönen bemalten Gewürztöpfe und die bunten Seidenbänder. Da hielt der Apotheker Ocka das blau lasierte Keramikgefäß mit dem süßen Konfekt hin. Bedächtig suchte sie sich ein Stück Marzipan aus.
„Viele Leute sind sehr krank", meinte Ibn beiläufig und griff nach dem Mörser. Mit einem silbernen Löffelchen streute er dann aus verschiedenen Töpfen Kräuter hinein, gab ein Stückchen Veilchenwurzel hinzu. Immer wieder schaute sie gern zu, wie er Salbe anrührte oder auf einer winzigen Handwaage den kostbaren Safran abwog. Die gleichmäßigen Bewegungen seiner nervigen, dunklen Hände beeindruckten Foelke. Ehe er begann, alles mit dem Stößel zu pulverisieren, band er sich ein Musselintuch vor Mund und Nase.
„Warum tust du das?" fragte Ocka neugierig.
„Es ist immer wieder gefahrvoll", antwortete er und seine gutturale Stimme zitterte matt. Foelke verstand nicht ganz, was er damit andeuten wollte, schaute ihn fragend an.
„Die Herstellung von Laudanum, meine ich. Das kann Schlafsucht hervorrufen. Eine wesentliche Substanz von Laudanum ist Opium, darum beruhigt es und... es schenkt tiefen Schlaf."
Das konnte Foelke nachvollziehen und Ocka fragte keck, ob er wohl gegen jede dieser merkwürdigen Krankheiten, die es auf Erden gibt, ein Mittelchen herstellen könne.
„Nein, nicht für alle Krankheiten, Kind, aber für viele. Manche Mittel, die kranke Menschen gesunden lassen, machen den gesunden Menschen sehr krank, wenn er diese Heilmittel herstellt."
„Wie das?" fragte Foelke. Sie hatte in ihrem Leben schon häufig Kräuter gesammelt und getrocknet und auch wohl Tee und Salben davon bereitet und war noch niemals krank davon geworden.
Ibn verzog mild das Gesicht und erklärte, dass er manchmal Substanzen verwenden müsse, die durch ihre Dünste unangenehme Folgen hätten, wie zum Beispiel das Pulverisieren der leuchtend gefärbten Kantharidenkäfer (Soldatenkäfer). Beim Zermahlen dieser Käfer entstehe ein penetrant scharfer Dunst, der Haut, Augen und Atmungsorgane reize. Wenn man nicht achtgebe, komme es dadurch häufig zu Blasen und eiternden Entzündungen, auch Atemnot und Erbrechen, Leibschmerzen, Durchfälle und Koliken seien oft die Folge. Auch das ungeschützte Berühren der Aronwurzel rufe heftige Hautverbrennungen hervor, erklärte Ibn.
„Kann man denn nicht aufpassen und eine Zange nehmen?" fragte Ocka unbefangen.
„Ja, das muss man, mein hübsches Kind. Hier hast du noch ein Stückchen Konfekt..."
Entzückt langte Ocka zu.
„Schau, dass du gesund bleibst, Ibn. Wir brauchen dich und deine Künste", bemerkte Foelke besorgt.
„Ich bemühe mich, Burgfrau, stets zu Diensten zu sein. Aber nicht nur giftige Dämpfe greifen mich an. Wisst Ihr, dass auch wohlriechende Stoffe Gefahren bergen? So drohen mir bei der Herstellung von Sirup, zu dessen Bestandteil ein Sud aus Rosenwasser zählt, beispielsweise heftige Kopfschmerzen."
„Ich weiß... und manchmal bekommt man davon sogar... beschleunigte Verdauung", stimmte Foelke zu.
„Seht Ihr? Weitere Gefahrenquellen", erklärte Ibn, „bergen auch manch andere getrocknete Pflanzen in sich. Substanzen des Nussbaums führen zu Erbrechen und allgemeinem Unwohlsein. Ihr wisst sicher, dass der Geruch von getrockneten Blättern der Tollkirsche (Belladonna-Extrakt) zu heftigen Schwindelanfällen führt?"
„Ja, ich weiß", bestätigte Foelke gefällig, „sogar der Geruch von Lindenblüten kann schreckliche Kopfschmerzen hervorrufen und ebenso gefährlich ist der Dunst der Eibe."
„So ist es, Burgfrau. Doch das ist ja noch nicht alles, was einem als Arzt und Apotheker schadet. Hinzu kommen Substanzen wie Arsenik, Antimon und Quecksilber. Da können einem die Haare ausfallen. Die Dämpfe greifen die Lunge an, so dass es manchmal zu Lungenschwindsucht kommt."
„Die Lunge verschwindet?" fragte Ocka munter.
„Hm, nein... sie wird krank und blutet und dann stirbt man."
„Und warum sagt man dann, dass sie verschwindet?“
„Wenn die Lunge krank ist, kann man nicht richtig atmen, so als ob die Lunge weniger wird. Und das wird sie wohl auch, glaube ich.“
„Ach so.“ Ocka war tief beeindruckt und Foelke dachte: Deswegen sieht er also so grau aus, wegen der giftigen Dämpfe...
Sie würde kaum einen zweiten so hervorragenden Arzt und Apotheker wie Ibn finden, bekräftigte sie herzlich und bedeutete ihm, dass er sich unbedingt gesund halten müsse. „Meint Ihr nicht, dass es nützlich wäre, einen jungen Kerl anzustellen, der diese... Dinge übernimmt?"
„Bringt mir einen willigen Burschen und ich beschäftige ihn", bekundete Ibn ernsthaft und hüstelte.
„Wegen einer Sache wollt ich Euch noch zu Rate ziehen, Ibn. Seit zwei Tagen plagen mich Gliederschmerzen..."
„Fiebrig seid Ihr nicht?"
„Nein, Gelenkschmerzen und Kopfschmerzen, dazu plagt mich ein Schmerz in den Leisten."
„Und Übelkeit?"
„Nein, nur etwas Müdigkeit seit kurzem."
„Ich gebe Euch ein Mittel, Burgfrau, und achtet darauf, ob Ihr purpurne Flecken bekommt."
Entsetzen malte sich auf ihrem Gesicht: „Purpurne Flecken? Ibn! Ihr meint... die Pestilenz?!" Foelkes Stimme war nur ein heiseres Flüstern.
„Das habe ich nicht gesagt. Beobachtet es nur, Herrin."
Das leise Flüstern weckte Ockas Neugier. Die Zehnjährige spitzte die Ohren.
„Wie lange ist es her, dass Widzelt mit seinen Heerscharen fortgezogen ist?" fragte Ibn deutlich vernehmbar.
„Hm, morgen sind es drei Wochen."
„Soso, dann ist es wohl eine Erkältung, doch achtet auf Euren Körper", bat er eindringlich. „Wäre es das, was Ihr fürchtet, dann hätten längst Anzeichen auftreten müssen. Doch nehmt vorsichtshalber das Theriak. Es enthält Opium und siebzig weitere Heilmittel, und verlasst das Schloss vorerst lieber nicht. Ich werde kommen und nach Euch sehen."
„Ibn! Ihr meint, dass jemand die... die Krankheit eingeschleppt hat? Das wäre grauenvoll!"
„Ich weiß nicht..., möglich... Ihr solltet die Kinder zur Eurer Schwester ins Kloster schicken, Burgfrau. Ich gebe Euch für Ocka und Keno das Priestersalz mit. Sie müssen davon ein Gran alle Stunde zur Vorbeugung nehmen. Es ist eine Mischung aus gebranntem Salz und zahlreichen aromatischen Arzneien. Und haltet euch fern von anderen. Wo sind denn die kleine Tetta und ihr Brüderchen?"
Foelke fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Sie spürte förmlich die Angst in sich hochkriechen, vom Steißbein über die Schultern hinauf bis in den Nacken und auf ihren Armen stellten sich die kleinen Härchen auf.
„Ihr seid nicht die einzige, die sich Sorgen macht, Burgfrau. Wenn sie bei der Amme sind, sehe ich aber keinen Grund zur Sorge", beschwichtigte der Arzt nachdrücklich, aber dafür war es bereits zu spät, denn Foelke meinte augenblicklich, dass ihre Schmerzen sich verstärken und ihr nächster Weg führte straks zum Gebet in die Kirche.
Kapitel 15 - Foelke im Fieber
Die Kinder freuten sich, ihre heiß geliebte Muhme Hebe im Kloster Dykhusen besuchen zu dürfen und als das Pferdegespann zum Tor hinausrollte schilpten die Spatzen fröhlich hinterdrein.
Die Angst schnürte Foelke das Herz zusammen. Wovon bekam sie jetzt Schweißausbrüche und Hitzewallungen? Sie zog sich in ihre Kemenate zurück.
Ihre Überzeugung vom Tod als Stufe zwischen Leben und Erlösung führte nicht zu Hoffnungen, sondern zu Ängsten. Auch der Umgang mit Ockos letzten Dingen konnte Foelke weder trösten, noch ihre Ängste tilgen. Der Gedanke, Ocko schon so bald nachzufolgen, und ihre Kinder allein und hilflos zurücklassen zu müssen, in dieser unvollkommenen, grausamen Welt, versetzte sie in schreckliche Furcht.
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