Tags darauf bemerkte sie Schmerzen im Nacken. Ja, eigentlich tat ihr alles weh und sie lag ganz still in ihrem Alkoven, rührte sich nicht, lauschte in sich hinein auf die Signale ihres Körpers. Ich friere wie in einem eisigen Kerker…
Alle Stunde kam eine Magd und legte Torf aufs Feuer.
„Burgfrau! Burgfrau! Besinnt Euch!“, rief sie. „Ihr müßt aufwachen! Aufwachen! Wacht auf!“ Aber Foelke wachte nicht auf. Im Fieber phantasierte sie von Ocko: „Ich habe ihn stöhnen gehört und manchmal hat sein Körper sich bewegt und mir schien, als ob er aufstehen und mir etwas sagen wollte..., ich hörte... Töne... aber er hat sich nicht erhoben... Er ist nicht aufgestanden, nie mehr aufgestanden..."
„Tote haben ein Eigenleben", antwortete die Magd gedämpft und traute sich von da an aus Furcht vor Foelke und ihrer Krankheit kaum mehr in die Kammer, geschweige denn in die Nähe ihres Bettes. Mit dem Besen schob sie ein Tischlein mit Kräutertee und Hirsebrei ans Krankenbett. Aber aus eigener Kraft konnte Foelke jedoch schwer daran gelangen und als sie sich mühsam vorbeugte, musste sie sich furchtbar übergeben.
Entsetzt floh die Magd aus der Kemenate. Später hörte Foelke jemanden an der Tür werkeln und hämmern. Sie wollte rufen, aber ihre Stimme versagte. Das Schlafmittel von Ibn tat seine Wirkung, benebelt sank sie in ihre Kissen zurück, in einen von wirren Träumen zerrissenen Schlaf.
Am späten Nachmittag kam Ibn, um nach der Burgfrau zu sehen. Der Wächter vom Torhaus wollte ihn nicht einlassen. Ibn sprach mit Engelszungen - ohne Erfolg. Er drohte mit seinem Krummschwert, das er stets bei sich führte, umsonst, denn schließlich befand sich der Torwächter außer Reichweite. Obwohl, er schien Angst vor Ibn zu haben, sah den Orientalen wohl als Ungläubigen und damit als Gehilfen des Teufels an. Letzten Endes führte die massive Drohung mit Widzelts grausamer Rache dazu, dass man Ibn durch eine Nebentür in den Zwinger (Vorhof) einließ. Dort musste Ibn dieselben Sperenzchen über sich ergehen lassen, bis ihm der herbeigerufene Vogt schließlich erlaubte, das Schloss zu betreten.
Fünf Steinstufen führten hoch zur eisenbewehrten Eichentür mit dem schön behauenen, strahlend weißen Sandsteinrahmen. Die Tür war unverschlossen, so dass Ibn ungehindert eintreten konnte. Eine Vorhalle, vor kurzem nass gewischt, die Fliesen glänzten noch feucht; gleich links führte eine Treppe hinunter in die Kellergewölbe mit der Küche, geradeaus der Prunksaal. Zum Glück kannte Ibn sich aus im Schloss. Zielsicher betrat er den Saal. Dort roch es nach Bienenwachs und Gewürzen. Bunte Strahlenbündel schickte die Sonne durch die kostbaren Glasscheiben und malte die krummen Schatten der durch Steinwürfe verbogenen Gitter auf die Dielen. Hübsch anzusehen die kunstvoll geschmiedeten Blattranken.
Aus Sandstein gehauene Sitzbänke mit karmesinroten Samtpolstern vor den Fenstern, gleichfarbige Samtvorhänge - mit Goldquasten zusammengehalten. Das Tuch für die Vorhänge hatte Ibn aus Venedig kommen lassen.
Rechts der große Kamin mit allegorisch bemalten Fliesen, in der Erkernische Ockos Hochstuhl, verhängt mit schwarzem Tuch, darüber der purpurne Baldachin. Rechts daneben sein Schild und Schwertgehänge. Widzelt hat es auf die Expedition gegen Harlingen nicht mitgenommen, dachte Ibn . Links daneben eine lebensgroße Marienstatue aus Eichenholz, farbig bemalt. Das Feldzeichen von Brookmerland fehlt, das wird Widzelt wohl mit sich führen.
Rechter Hand die Treppe nach oben zu den Privatgemächern; Ibn steigt bedächtig die Stufen hinauf. Auf dem Treppenabsatz begegnet ihm ein junger Kerl. Der erschrickt heftig und sucht eilends seine rechte Hand in einem Tonkrug verschwinden zu lassen. Die Öffnung ist aber zu eng, so dass Ibn unschwer erkennen kann, dass die Finger des jungen Kerls mit Blut beschmiert sind. Eilends drückt der Knecht sich an dem Arzt in orientalischer Tracht vorbei, springt hastig die Treppe hinunter, als sei Ibn der Antichrist persönlich. Das Zuknallen der Haustür hallt durchs Haus.
Das wunderliche Verhalten des Knechtes lässt Ibn Schlimmes vermuten... Er beschleunigt seinen Schritt, steht plötzlich einem blutigen Kreuz gegenüber, das offenbar vor gar nicht allzu langer Zeit und in großer Eile an die Tür gemalt wurde. Das Blut ist noch nicht einmal getrocknet, tropft dickflüssig auf den Boden, wo es gallertartig erstarrt.
Eine Art Riegel ist kreuzweise so angenagelt, dass man die Tür nicht, oder nur sehr schwer öffnen kann. Der Arzt zerschlägt mit seinem Krummschwert den Riegel. Leises Quietschen beim Öffnen der Tür. Ibn tritt zögernd ein.
Unglaublicher Dunst und Hitze schlagen ihm entgegen. Es riecht nach Rauch und verbrannten Kräutern. Spärliche Sonnenstrahlen fallen direkt auf bereits eingetrocknetes Erbrochenes. Mit drei Schritten ist Ibn beim Fenster, schiebt es ganz auf und atmet mehrmals tief durch. Langsam verbessert sich die Luft in der Kemenate.
Im Kamin flackert ein kräftiges Feuer. Die Mägde haben heftig eingeheizt, weil sie glauben, damit die Pestilenz bekämpfen zu können.
Ibns Blick streift kurz die Bogentür zwischen den beiden hintereinander angeordneten Zimmern. Hm, hochherrschaftlich das Wappen, sauber geschnitzt... Er kennt das Wappen, jeder kennt es hier und doch ist der Adler immer wieder beeindruckend, genauso wie der Wappenschmuck, bestehend aus Topfhelm, Helmdecke und drei Kronen. „Drei Kronen“, murmelt Ibn und wirft einen Blick in die Wiege - leer... Ob das Kind... Ibn mag nicht weiterdenken.
An der Wand zu Ockos Zimmer, ein breiter Alkoven mit geöffneten Vorhängen aus Blaudruckleinen, abgesetzt mit weißen Spitzen. Im Alkoven stöhnt jemand schmerzhaft. Die Burgfrau!
Wie die junge Frau so daliegt, glühend im Fieber und kaum bei Bewusstsein, befürchtet Ibn das Schlimmste. Die Felldecke ist durchtränkt von Erbrochenem und Ibn wirft sie ohne Umstände ins Feuer. Heftig reißt er am Glockenstrang. Es kommt aber niemand.
Suchend schaut der Arzt sich um. - Die Kranke muss gewaschen werden, benötigt ein neues Deckbett. - In der Ecke steht eine Kleidertruhe. Er entnimmt ihr ein frisches Laken und ein Unterkleid.
Plötzlich klappern Holzpantinen auf dem Flur. Das Klappern nähert sich, ein Schlüsselbund rasselt. Ibn hat die Tür offenstehen lassen. Vielleicht will jemand nachschauen? Auf leisen Sohlen schleicht er neben die Türöffnung. Da, ein weißer Arm, der eben die Tür zuschieben will. Im Nu packt Ibn zu. Ein spitzer Schrei, schon hat er die Magd in die Kemenate gezogen. - Ein knochiges Mädchen mit kräftigen Händen und erschrocken aufgerissenen Augen.
Ibns Stimme lässt keinen Einwand zu, als er befiehlt, frisches Wasser, Lauge und Aufwischlappen zu holen. Die dürre Magd eilt verstört davon. Ob sie wohl zurückkommt?
Ungeduldig geht der Arzt zum Fenster. Dort ist die Luft besser. Sein Blick fällt auf die Schnappe. Ritter Ocko ist da ums Leben gekommen. Nicht gut, dass die Burgfrau das täglich vor Augen hat. Schwärme von Vögeln kreisen über den Feldern und er sieht dunkle Körper sich bewegen. Sie sind immer noch beim Mähen des Getreides.
Hin und wieder stöhnt die kranke Burgfrau auf und wirft sich herum.
Gleichmütig packt Ibn sein Bindfutter, ein am Gürtel getragenes längliches Futteral, aus. Ein ganzes Arsenal von Werkzeugen befindet sich dort drin, welches er auf der steinernen Bank unter dem Fenster ausbreitet.
Es scheint ihm ewig zu dauern, bis die dürre Magd endlich mit ihrem Wischeimer kommt. Sie bringt Stine mit. Stine, der nach einem Schlangenbiss die Hand abgetrennt worden war. Sie trägt ein Joch über der Schulter mit zwei Holzeimern daran. In dem einen dampft heißes Wasser, der andere enthält kaltes Frischwasser.
Als Stine die Knochensäge auf der Bank liegen sieht, zuckt sie sichtlich zusammen. Und da sind noch die vielen anderen grausigen Werkzeuge wie Skalpelle, Zangen und Pinzetten, Wundhaken, Knochenheber und Sonden, Nadeln, Schere, ein Schnäpper zum Aderlass und eine schön ziselierte Messingdose.
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