1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Als Pat die Teerstraße bemerkte, die nach oben führte und darauf deutete, schüttelte Hetty den Kopf. »Die ist für die Autos – allerdings nicht für Camper. Unten steht ein großes Schild, das darauf hinweist. Man muss nur lesen können und auch kapieren, dass bei euch die Hinweisschilder links stehen. Ich Trottel habe gedacht, ach das ist für den anderen Weg gedacht und bin einmal im Leben hier hochgefahren.«
Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Die stehen mir, wenn ich daran zurückdenke, heute noch zu Berge. Das war ein wahrer Todesritt. Wenn man losfährt, geht es erst einige Zeit harmlos flach dahin aber dann kommt eine Kehre, die zum Berg hin tiefer hängt und kaum ist man um die Ecke herum, bräuchte man den ersten Gang, um noch weiterzufahren zu können. Da man das aber vorher nicht sieht, hängst du dann mitten im Berg und kannst weder vor noch zurück, denn die extreme Steigung vor dir schaffst du nicht mehr.
Glücklicherweise ist im Anschluss an die Kehre noch eine Hauseinfahrt. In die habe ich mich dann über die Seitenspiegel vorsichtig hinein larviert und dann stöhnend bemerkt dass, wenn ich von dieser Seite um die Kurve fahre, ich mir gleich einen Termin beim Automechaniker geben lassen kann, weil der Unterboden mit Sicherheit auf der Straße aufgeht. Es half alles nichts – ich musste hoch, ob ich wollte oder nicht. Also habe ich Vollgas gegeben, sozusagen Anlauf genommen und bin mit laut heulendem Motor im ersten Gang den Berg hinaufgefahren. Als ich oben ausgestiegen bin, haben mir die Knie gezittert und ich war völlig nassgeschwitzt, als ich zum Ausguck ging.«
Hetty grinste. »Zumindest haben mich alle Leute, die nach mir kamen, darauf angesprochen, wie ich das denn geschafft hätte. Aber ehrlich gesagt – einmal und nie wieder!«
Pat lachte und folgte ihr Richtung Fußpfad. Auf die Erfahrung konnte sie auch dankend verzichten. Der ziemlich steile Weg hatte glücklicherweise nicht bayrische Dimensionen anzubieten. Schließlich war hier in Australien jede Erhöhung mit hundert Höhenmetern definitiv ein Hügel und alles darüber ein Berg. Aber wie immer, wenn man in diesem Land einige Meter in die Höhe ging, hatte man eine atemberaubende Aussicht. Allerdings war die hier hart erkämpft und der Schweiß rann in Strömen.
Doch der Rundumblick war dann wirklich die ganze Mühe wert. Der weiße Sandstrand auf beiden Seiten und die Buchten mit den dahinterliegenden bewaldeten Hügeln, hatten einfach typisches Karibikflair, da konnte man eigentlich nur noch nach einem Segelschiff unter voller Beflaggung Ausschau halten. Aber alles was kam, waren wieder einmal Japaner. Hetty hatte definitiv nichts gegen diese Bevölkerungsgruppe. Schließlich hatten sie Deutschland nicht bombardiert und das bisschen Markenklau konnte man problemlos verkraften. Aber die Urlaubsstrategie dieser Nation war für sie einfach nicht nachvollziehbar.
Als Pat ein entsetztes Stöhnen von sich gab, beruhigte sie. »Du wirst sehen, die sind in fünf Minuten wieder weg.«
Womit sie vollkommen recht hatte. Denn auch diese Touristengruppe machte Australien in zwei Wochen und da war keine Zeit vorhanden, mehr als einige Fotos an jedem Stopp zu schießen.
Während sie schwitzend dem Gewurle zusahen, fluchte Hetty. »Hier in den Tropen brauche ich mehr Geld für die Automaten an den Waschmaschinen und Trocknern, als für Essen und Trinken.«
Pat, die mit durchgeschwitztem T-Shirt neben ihr stand und einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche nahm, gab ihr vollkommen Recht. »Zumindest muss man nicht dauernd auf die Toilette, denn die meiste Flüssigkeit baut man durchs Schwitzen ab.«
Hetty wusste, nach wie vor, nicht mit Bestimmtheit, ob das den Nachteil aufwog, dass man, wenn man von einem Stuhl aufstand grundsätzlich aussah, als ob man eben diesen Gang zu lange hinausgezögert hätte. Da halfen auch die vielen Ventilatoren nicht, welche an den Decken der ganzen schönen Restaurants in der Hauptstraße zahlreich platziert waren. Sie ulkte beim anschließenden Mittagessen auf der überdachten Veranda ihres Lokals, das vom Ambiente her eindeutig für richtige Großverdiener gedacht war. »Besser beim Essen schwitzen, als beim Arbeiten!«
Wobei sie kurz darauf erst erfuhr, was schwitzen tatsächlich hieß. In aller Gemütsseelenruhe waren sie zum Parkplatz zurückgeschlendert, wo das Unglück dann über sie hereinbrach.
Als sie sich dem Fahrzeug näherten, entfuhr Hetty ein entsetzter Aufschrei. »Um Gotteswillen!«
Pat stand neben ihr und stöhnte. »Ameisen!«
Der schattige Baum hatte sich als trojanisches Pferd entpuppt. Denn in seinem Bereich lebte anscheinend eine Gruppe großer grüner Ameisen, die aus welchen Gründen auch immer, beschlossen hatten, dass dieser schöne Camper ein toller Aufenthaltsort war, auf den man übersiedeln sollte. Hunderte, nein tausende, dieser Tiere wuselten über den kompletten vorderen Fahrzeugbereich und Hetty hatte den Eindruck von Sekunde zu Sekunde würden es noch mehr werden. Einsteigen über die Fahrertüre konnte sie vergessen. Auch die Beifahrertüre und die Seitenfront waren ausgeschlossen. Sofort würden hunderte dieser Insekten den Innenraum okkupieren und sie konnten den Kammerjäger holen.
Nachdem sie eine Minute starr vor Verzweiflung die Armee der Sechsbeiner gemustert hatte, machte sie die Runde um den Camper. »Pass auf, ich mach jetzt die Hecktüre auf und hole den Besen.«
Es war eine Sache von Sekunden, aber als sie wieder im Freien stand, war sie sich ziemlich sicher, dass keine einzige Ameise es geschafft hatte, in den Innenraum zu kommen. Dann hieß es kehren. Und kehren. Und kehren. Irgendwie wurden die Tiere nicht weniger.
Schließlich wurde ihr bewusst, dass sie vor allem den Standort wechseln mussten, damit zumindest nicht noch mehr Insekten vom Boden zum Camper hochkrabbeln konnten. »Pat, ich mache dir jetzt deine Türe frei, du steigst ein und riegelst gleich mal die Aircondition ab. Dann komme ich und wir fahren ein paar Meter weiter.«
Gesagt, getan. Mit Vollgas und ohne jegliche Rücksicht auf die sechzig Stundenkilometer, welche in der Stadt vorgeschrieben waren, düste Hetty los. Bisher hatte sie noch nicht gewusst, welche Temperatur das Innere ihres Fahrzeugs bei ausgeschalteter Klimaanlage annehmen konnte, jetzt erfuhr sie, dass eine Sauna dagegen ein kühles Plätzchen war. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Pat, die genauso wie sie schweißüberströmt dasaß und leicht hysterisch die wuselnde Ameisenschar beobachtete, die sich erfolgreich gegen den Fahrtwind verteidigte.
Hetty setzte den Blinker, fuhr in den Parkplatz vom IGA-Einkaufszentrum und erklärte. »Du bleibst sitzen und verteidigst den Innenraum. Ich gehe jetzt raus und kehre wieder!«
Gleich darauf sprang sie, mit dem Besen in der Hand aus dem Wagen, schlug die Türe hinter sich zu und versuchte erneut der Meute her zu werden. Nach einigen Minuten saß sie wieder auf dem Fahrersitz und meinte schulterzuckend, während sie sich den Schweiß aus den Augen wischte. »Das Spiel werden wir öfter spielen müssen.«
Hetty startete den Wagen und wechselte wieder den Standort. Zwanzig Meter weiter begann ihre Kehrorgie erneut. Während sie verbissen versuchte die endlose Ameisenschar zu vertreiben, dachte sie bei sich, dass hoffentlich niemand mitbekam, was sie hier auf diesem Parkplatz veranstaltete.
Nach der vierten Haltestation meinte Pat. »Ich glaube, du hast sie erledigt. Puh! Das war jetzt wirklich widerlich. Können wir nun die Klimaanlage wieder einschalten?«
Hetty hatte bis dahin gar nicht beachtet, welche Frontarbeit ihre Mitfahrerin in der Zwischenzeit geleistet hatte. Denn Pat hatte, wie befohlen, jede Ameise die in den Innenraum kam, gnadenlos zerquetscht.
In einem Papierhandtuch lagen zahllose Leichen und sie meinte. »Die sollten wir besser bei der nächsten Mülltonne loswerden, nicht dass ihre Kumpel zur Beerdigung kommen!«
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