1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Hetty, die Vollgas Richtung Mossman unterwegs war, nickte. »Nur eine tote Ameise ist eine gute Ameise. Ich hasse diese Biester. Nicht umsonst sind alle Lebensmittel, auch das Brot, bei mir im Kühlschrank verstaut. Sonst kannst du das Zeug vergessen. Die kommen überall rein.«
Pat gab ihr recht. »So schön die Tropen sind, aber das Viehzeug ist echt widerlich!«
Damit bezog sie sich auf ihre abendlichen Einsprühorgien mit Insektenschutzmittel. Leider hielt das Zeug nur sechs Stunden durch, also bekam man trotz allem in den frühen Morgenstunden etliche Stiche ab, denn die Mozzies, wie die Australier ihre Mücken nannten, waren die ganze Nacht am Werk. Allerdings hatten die Biester in Hettys Augen einen großen Vorteil gegenüber ihren deutschen Verwandten – sie summten nicht. Was zumindest dafür sorgte, dass man nicht hysterisch nach ihnen schlug und sich selbst eine Ohrfeige verpasste. Nein, diese Teile pirschten sich lautlos an und auch der Juckreiz hielt sich in Grenzen.
Nach zehn Minuten flotter Fahrt setzte Hetty mit einem lauten Aufstöhnen den Blinker, denn sie hatte gesehen, dass erneut eine Armada Ameisen den Außenspiegel und die Fensterflächen besetzte. Anscheinend hatte sich ein Großteil des Heeres an irgend einem verborgenen Ort vor ihrer Wischorgie versteckt, um nun von dort aus anzugreifen. »Auf ein Neues!«
Wahrscheinlich würden sie für die Einwohner von Mossman Stadtgespräch werden, aber das war ihr im Moment egal. Die breite Seitenstraße eignete sich wunderbar für erneute Stopp-and-Go-Aktionen. Und langsam, aber sicher, wurden es tatsächlich immer weniger Ameisen.
Schließlich kehrte Hetty zufrieden in ihre Fahrerkabine zurück. »Die meisten sind weg, der Rest ist belanglos. Jetzt fahren wir zur Schlucht. Du kannst dir gleich den Bikini anziehen, denn wir werden baden!«
Wobei vor dem Anziehen, das Ausziehen stand. Und sie hatten damit alle beide ihre Probleme. Die vom Schwitzen klatschnassen Klamotten klebten am Körper und auch die Klimaanlage half momentan nicht viel. Hetty kam sich vor, wie eine Schlange, die sich ihrer alten Haut entledigte.
»Schlangen sind schlanke, behändige dünne Wesen. Das hat mit dir gar nichts zu tun.« Die Sarkasmusabteilung musste ihr unbedingt auch noch eine mitgeben. Als ob sie Gott heute noch nicht genug gestraft hatte.
»Du glaubst nicht an Gott! Wie kann er dich strafen?«
Zähneknirschend versuchte Hetty sich aus ihrem T-Shirts zu befreien, dass irgendwie nicht über den Kopf gehen wollte. Ja, schon gut. Sie war Atheistin. Aber irgendjemand hatte sie heute auf dem Kieker.
Wer auch immer das war, war anscheinend der Meinung, dass er Spaß genug gehabt hatte, und sorgte dafür, dass sie nach einer Stunde Wanderung durch den Regenwald, einen idyllisch gelegenen Felsenpool ganz für sich alleine hatten.
Pat war entzückt. »Super, und das Wasser ist sogar kalt.«
Was soviel hieß, dass es ungefähr siebenundzwanzig Grad hatte, das bedeutete in Australien sibirische Kälte.
Hetty seufzte auf. »Darauf habe ich mich gefreut!«
Sie hatten sogar einen Minisandstrand und einen Miniwasserfall. Der etwas größere Bach sprudelte über mehrere kantige Felsen in den Pool, um dann geruhsam weiterzufließen. Auch wenn das Becken nur zehn Meter im Durchmesser hatte, für eine erholsame Erfrischung war es allemal gut.
Beim Rückweg blieben sie an einigen seltsam geformten Eukalypten stehen. »Ich lese für mein Leben gerne diese Beschreibungen, aber ich vergesse sie leider sofort wieder«, gestand Hetty, nachdem sie gerade die Information verdaut hatte, dass das Laub dieser Pinie für Baumkänguruhs ein begehrtes Futter war.
Pat schmunzelte. »Glaubst du wirklich, ich kann unterscheiden, welcher Eukalyptus zu welcher Art gehört? Schließlich haben wir siebenhundert Sorten davon und ehrlich gesagt, finde ich es auch nicht wichtig. Ist halt ein Baum!«
Hetty lachte. »Genau diese Einordnung bevorzuge ich auch. Allerdings mache ich noch Unterschiede.«
Als Pat sie fragend ansah, erklärte sie. »Sehr schöner Baum, schöner Baum, Baum, uninteressanter Baum.«
Vor lauter Lachen wäre ihre Mitreisende fast über die nächste Wurzel gestolpert.
Als sie aufsah, meinte Pat. »Also das hier würde ich dann als sehr schönen Baum einordnen.«
Vor ihnen stand ein Prachtexemplar eines Fig-Trees und weil er so groß war, hatten ihm die Ranger auch eine separate Infotafel gegönnt. Diese Bäume gehörten in die Oberfamilie der Eukalypten, waren aber genau wie die Gumtrees eine eigene Untergruppe. Es gab natürlich zahlreiche verschiedene Arten, allerdings hatten alle Früchte, die wie Feigen aussahen, was dann auch die Namensgebung erklärte. Bei einer Führung im botanischen Garten in Sydney hatte Hetty allerdings erfahren, dass nur eine einzige Art essbar war. Selbstverständlich hatte sie sich nicht gemerkt welche, schließlich war Obst etwas, was nur sehr selten auf ihrem Speiseplan stand.
»Außer in flüssiger Form und mit vierzehn Prozent Alkohol!« Tja, sie trank halt ganz gerne ihren Rotwein und schließlich war ein Gläschen auch gut fürs Herz.
»Dann bräuchtest du die nächsten zehn Reinkarnationen keinen Wein mehr zu trinken! Die Ärzte sagen maßvolles Trinken ist gestattet, nicht Maßvolles!« Ihre Sarkasmusabteilung glänzte wieder mit Euphismen.
Schmunzelnd folgte Hetty ihrer Mitfahrerin, die bereits wieder unterwegs war. Pat hatte ein ziemlich flottes Tempo angeschlagen und sie hatten vereinbart, dass jeder seinen eigenen Trott gehen sollte.
Die Wanderwege in Australien waren grundsätzlich sehr gut markiert und man musste sich schon richtig anstrengen, um sich zu verlaufen. Was vermutlich daran lag, dass sie, wie hier, durch dichten Regenwald führten und außer diesem einem Pfad keine andere Möglichkeit vorhanden war, vorwärts zu kommen. Der vorher verabredete Treffpunkt war die stählerne Hängebrücke, welche den kleinen Fluss gute zwanzig Meter überspannte.
Pat stand in ihrer Mitte, blickte begeistert auf das durch große Felsblöcke dahin sprudelnde Wasser hinunter und meinte. »Schön nicht?«
Hetty nickte und sparte sich den Kommentar, dass dieser Anblick in jedem bayerischen Bergdorf zum Alltag gehörte. Australier verfielen jedes Mal in blanke Euphorie, wenn sie Wasser sahen, dass nicht gerade mal wieder die Straße überflutete. Tja, in einem Land in dem im Inneren meist große Trockenheit herrschte, war das wohl verständlich.
Kapitel 5
»Geht es dir nicht gut?« Fragend sah Pat Hetty an, die zum Frühstück nur Kaffee zu sich nahm und ein mickriges Brötchen gegessen hatte. Für jemanden, der grundsätzlich nicht unter drei Spiegeleiern und einem Berg geröstetem Speck mit Kartoffelkrusties vom Tisch aufstand, war dies dann doch ungewöhnlich.
Hetty schmunzelte und schüttelte den Kopf. »Ich hole das alles heute Abend nach. Aber ich werde leicht seekrank und da ist es besser, wenn ich nicht zu viel im Magen habe.«
Stirnrunzelnd versuchte Pat diese kryptische Bemerkung zu verstehen. Sie machten doch keine Schiffsreise, sondern fuhren heute nur zum Cape Tribulation.
Als sie im Auto saß und die detaillierte Straßenkarte studierte, ging ihr ein Licht auf. »Wir müssen auf eine Fähre!«
»Damit hast du den Jackpot gewonnen!« Hetty lachte. »Über den Daintree Fluss führt keine Brücke und deshalb ist Bootfahren angesagt.«
Während sie die letzten Kilometer zur Fähranlegestelle zurücklegten erzählte sie. »Das erste Mal, als ich hierhergekommen bin, hatte ich ziemliche Bedenken, wie das wohl mit meinem Camper funktionieren würde. Aber im Endeffekt war die Überfahrt dann das Kleinste meiner Probleme.«
Auch hier erging sie sich nicht in nähere Erklärungen, denn schließlich sollte Pat alles ganz neu erleben und nicht schon vorher wissen, was auf sie zukam.
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