Für Eve war unser Sex mit dem ersten Mal Anlass, noch mehr Ängste zu entwickeln. Sie befürchtete, dass ich sie, weil ich bekommen hatte, was ich wollte, nach kurzer Zeit als erlegt wieder abhaken könnte. Sie dachte, dass Sex das Ende von Romantik war. Weil ich ihren Hintern gesehen hatte, hielt sie dauerhafte Liebe für aussichtslos. Nach ein paar Orgasmen hatte sie, wie sie später eingestanden hatte, ihren Verstand innerhalb weniger Tage verloren. Sie rotierte. Sie hinterfragte ständig sich selbst. Sie war empfindlich und ausgesprochen melodramatisch geworden.
„Süße! Hätte ich gewusst, dass du heute schon kommst, hätte ich mich nicht selbst befriedigt.“
„Du hast was?“ Eve saß erneut aufgebracht im Bett, als ich ihr, ganz selbstverständlich und eher beiläufig, also erneut unvorsichtig, eine für die meisten Menschen gewöhnliche, sexuelle Praxis mit sich selbst eingestanden hatte. „Wie oft tust du das?“
„Wann immer mir danach ist.“
„Puh! Also ziemlich oft! Oder? Ist doch so, oder?“
Mit meinem Bekenntnis war Eve tief verletzt. Sie argwöhnte, mich nicht befriedigen zu können. Daraus entwickelte sie weitere Ängste, dass ich sie betrügen und letztlich verlassen könnte. Jede einigermaßen attraktive Frau war plötzlich schöner als sie und damit als Konkurrentin eine echte Gefahr. Es war sinnlos ihr zu sagen, dass ich, wenn ich masturbierte, ausschließlich an sie dachte. Sie sah die blonde Studentin, die jünger war als sie, größere Brüste besaß und geiler war beim Sex. Sie sah die langen Beine, die sich in meinem Bett räkelten, wenn sie nicht da war. Sie sah die Schlampen, die mir das Gehirn aushängen konnten, sie sah die Huren und Flittchen, die mir zu zweit ihre Ärsche vorhielten. Die Offenbarung, dass ich diese und andere Frauen hatte, bevor ich mit ihr zusammengekommen war, wäre der Auslöser für eine entfesselte Zornrede gewesen, in deren Verlauf Eve meine komplette Wohnung verwüstet hätte.
„Machst du es dir nie selbst? Ist doch ganz normal, wenn wir uns nicht sehen und dir danach ist.“ Ich war auf ihre Antwort allein insofern gespannt, welches Ausmaß sie artikulieren würde.
„Ich... na ja! Ich habe immer das Gefühl, dass mir mein Vater dabei zuschaut,“ hatte sie herumgedruckst.
„Es würde ihm bestimmt gefallen.“
„Mat! Du spinnst!“ sprach sie immer öfter in meiner Rückschau, als mir lieb war. Jeder Versuch, sie davon zu überzeugen, dass ihr Vater ein Mann war und sich aus Feigheit schwer damit tat, seiner Tochter Wahrheit mitzuteilen, weil er das seiner Frau zu überlassen für angebrachter gehalten hatte, war aussichtslos.
Im Supermarkt, wie mich eine andere Auseinandersetzung beschäftigte, trafen wir eine Frau, mit der ich vor langer Zeit eine Nacht verbracht hatte. Eine Begegnung war sie, nur eine, und mir fiel nicht einmal mehr ihr Name ein.
„Es war belanglos. Wir hatten Spaß. Es ist schon so lange her,” hob ich, frei von jedem Muss lügen zu müssen, beide Hände.
„Warum wart ihr dann zusammen?“
„Ich weiß es nicht mehr. Es ist nicht wichtig. Du bist mir wichtig.“
„Mat! Warum öffnest du dich nicht? Warum kannst du nicht einfach erzählen, was mit ihr damals war?“
„Das habe ich.“
„Ich glaube dir nicht. Wenn es so war, dann bist du reichlich oberflächlich. Und das finde ich schlimmer als...“
„Es ist völlig belanglos. Es ist aus, vorbei und lange her. Außerdem. Als ich mich dir das letzte Mal geöffnet habe, hast du es deinen Freundinnen auf der Toilette einer Bar erzählt.“
„Ich konnte nicht wissen, dass du auch auf dem Damenklo gewesen bist.“
Es war ohne Bedeutung gewesen. Ich hatte Eve lediglich gebeichtet, dass ich es gerne mochte, wenn sie ohne Höschen unter ihren Röcken aus dem Haus ging, so es das Klima zuließ. Dass ich Zeuge einer Diskussion in epischer Breite über eine meiner Vorlieben geworden war, weil die Pissbecken auf der Herrentoilette defekt gewesen waren, ärgerte mich nicht wirklich. Einhellig waren die Mädels auf meiner Seite. Bis auf Eve.
War ich müde und setzte ich Eve in ihrer Lust zurück, was vielleicht ein halbes Dutzend Mal vorgekommen war, quälten sie Vermutungen.
„Erinnere ich dich etwa an deine Mutter?“
Eves Geheimnis lag in der Hierarchie ihrer Ängste. Und jede Enttarnung ihrer Verschüchterung hatte zur Folge, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob sie mich für ein erfülltes Leben brauchte.
Geliebte. Eve verhielt sich mir gegenüber wie eine Geliebte. Was für ein antiquiertes Wort, dachte ich, als ich es zum wiederholten Male in allen Tonlagen ausgesprochen hatte. Passte es wirklich, war es ein Synonym für die aufgeklärte Frau? Das Wort knisterte voller Spannung wie ein Seidenstrumpf, der langsam von einem grazilen Frauenbein heruntergerollt wurde. Ihm haftete bisweilen ein gefährlicher Beiklang an und regte in mir geheimnisvolle Fantasien über eine schöne Unbekannte an, die stets im Halbdunkel blieb und mit Kamelien im Haar längst vergangenen Epochen entstammte. Ihr Schicksal in diesen Zeiten war es, Opfer zu sein. Anna Karenina und Effi Briest hatten für diese Rolle immerhin mit dem Tod bezahlen müssen. Die intelligenten Frauen von heute waren zweifelsfrei Täter geworden. In ihrem Beruf waren sie einigermaßen erfolgreich, finanziell also unabhängig. Sie brauchten keine alten Strukturen für ihr Lebensglück, keinen schrägen Alltag mit ihm, keine schmutzige Wäsche, kein Schnarchen und keine üblen Launen. Sie brauchten keinen Partner, der seine Defizite auf ihre Kosten auslebte.
Traf sie sich mit ihrem Lover, waren beide stets frisch geduscht, munter und in bester Stimmung. Dass der Umgang ohne Alltagstrott eine fast heimliche Qualität besaß, war eher eine Bereicherung als Verfehlung, zumindest am Anfang. Die Heimlichkeit befeuerte die Leidenschaft. Die Liebenden sperrten Weltgeschehen und Hamsterräder gleichermaßen aus, was sie noch inniger werden ließ. Die scheinbare Grenzenlosigkeit machte ihren Umgang immer intensiver. Alles war möglich, weil sich nichts an Wirklichkeit rieb, auf- und erregende Orte für die gemeinsamen Treffen samt Erkundung sexueller Vorlieben eingeschlossen. Das Zusammensein durchlief nie den Praxistest. Und beide Liebenden fühlten sich so jung wie zu ihren Jugendtagen, als sie ihre erste große Liebe vor den Eltern zu verheimlichen versuchten. Zweifelsohne war mit der Damenwelt aktueller Zeitrechnung ein neuer Typ Frau entstanden.
Patsch! Das Schwergewicht war soeben in das Kinderschwimmbecken gesprungen. Immer noch schwappten kleine Wellen über die Kacheln. Tatsächlich! Sie posierte mit ihren Pfunden. Ich verfolgte den Gang einer jungen Mutter, die ihr Kind aus dem Kinderbecken gefischt hatte. Sie hatte die Geburt ordentlich überstanden. Ich fragte mich, mit welchem Mann sie wohl zusammen war. Mir gefielen ihr kleiner Hintern und ihre langen Beine. Als sie an mir vorbeischritt, lächelte sie mich an. Jetzt erst erkannte ich sie an ihrem Bikini. Ihre anregende Figürlichkeit durfte ich bereits im Schwimmbecken bewundern. Ihr Blick verriet mir, dass sie ahnte, auf was ich geschaut hatte. Sie schmunzelte. Eine ganze Weile stand sie ein paar Meter von mir entfernt und wog ihr Baby hin und her. Dann kam Papa. Der Kerl war einer Freakshow entstiegen. Er sah aus, als hätte er einen Fußball verschluckt. Für ein bisschen Geborgenheit hatte sich diese Frau verkauft, dachte ich. Waren es wirklich nur die dummen Frauen, die weiterhin in der alten Rollenverteilung lebten und nach der vermeintlichen Sicherheit suchten, die ihr ein Mann bieten konnte?
Ich hatte es weitgehend mit den Töchtern der Emanzipierten zu tun. Mehr noch als ihre Mütter standen sie angeblich ach so erfolgreich und unabhängig mitten im erfüllten Leben. Tatsächlich waren sie nicht mehr als ein Produkt der Individualisierung, mit dem wesentlichen Merkmal im Leib häufig unfähig zu sein eine taugliche Bindung einzugehen. In einer Zeit, die längst keine Tabus und Geheimnisse mehr kannte und in der sogar die Besucher eines Swingerclubs vor Langeweile gähnten, war es für eine Frau noch nie so einfach, einen entsprechenden Idioten für diese ihre vermeintlich erstrebenswerten Ideale zu finden. Ein Mann reichte für eine Nacht, auch wenn der Sex schlecht war. Brachten sie eine normale menschliche Kontaktaufnahme nicht auf, kriegten selbst die ein paar Tastenbefehle zu den entsprechenden Internetportalen hin, die bei der mehrstündigen Übung eines Automobilclubs zum zügigen Einparken schon zum dritten Mal durchgefallen waren. Ich musste meinen Zynismus zügeln, denn ich war ja schließlich häufig genug ein Teil ihrer neuen Welt gewesen. Sie ließen mich in ihre Betten und mehr, um anschließend unverzüglich die Laken zu wechseln.
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